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Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts

Auf dem Cover ist eine Standaufnahme der Amerikanerin Cindy Sherman (1979) zu sehen, die sich damit auf einen Film Antonionis bezieht: eine romantische Inszenierung der Künstlerin selbst, die barfüßig, in einem weißem Bustierkleid und in einer Haltung mädchenhafter Unschuld vor weiter, unberührter Landschaft sitzt. Das nostalgische Motiv, zusammen mit dem Titel "die bessere Hälfte" lässt nichts von dem anspruchsvollen kunsttheoretischen Inhalt der Publikation von Isabelle Graw erahnen. "’Geschlechterdifferenz’ auf dem Prüfstand" so kündet der Umschlagtext des Dumont-Verlages. Liefert Shermans filmstill also die zuckersüße Verpackung für einen schwer verdaulichen Inhalt?

Martina Wehlte | 01.09.2003
    Ich seh das ganz anders. Ich finde die Art und Weise, wie sie sich als Künstlerin auf einem Ast sitzend im Nachthemd inszeniert, das ist so was von überspitzt, dass ich’s nicht süßlich finden kann, sondern eher ein. Aufgreifen eines Sehnsuchtsmotivs und auch eines Klischees, das aber in irgendeiner Weise doch so’n schräges Moment hat. Zu dem Titel "Die bessere Hälfte" – das gefiel mir deshalb, weil es einerseits buchstäblich verstanden ja bedeutet, das sind bessere Künstlerinnen, und es geht mir in dem Buch auch darum, die künstlerischen Verfahren in einer Weise zu ihrem Recht kommen zu lassen, wie es vielleicht bishert noch nicht geschehen ist, andererseits war für mich ein persönlicher Witz daran, den Titel von Simone de Beauvoir "Das andere Geschlecht" sozusagen fortzusetzen mit "Die bessere Hälfte", und es ging natürlich auch darum, ein ansprechendes Cover zu machen...Ich hab das( jetzt) nicht so empfunden, dass (jetzt sozusagen) die Cover-Gestaltung und der Inhalt gänzlich auseinanderfallen würden, weil ich mich ja auch in dem Buch selber bemühe, sehr anschaulich und flüssig zu schreiben und auch komplizierte Sachverhalte in einer Art und Weise auszudrücken und zu erklären, die das Buch durchaus, denk ich, lesbar machen, auch für ein breiteres Publikum.

    Diesem Anspruch wird die Autorin gerecht, wenn auch gelegentlich doch ein Konglomerat wissenschaftlicher Termini in den Text gerutscht ist, das sich in eine einfachere, nicht weniger prägnante Formulierung hätte auflösen lassen: eine Forderung immerhin auch ans Lektorat, dem etliche kleinere Tippfehler entgangen sind, - kein Novum bei Dumont, wo unter dem Druck der halbjährlichen Neuerscheinungen die Sorgfalt etwas leiden muss.

    Die in drei Kapiteln strukturierte Untersuchung zu Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts deckt ein breites Spektrum von europäischen und amerikanischen Künstlerinnen ab; um nur einige zu nennen: Meret Oppenheim, Elaine de Kooning, Sherry Levine, Hanne Darboven, Bridget Riley, Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel und Isa Genzken oder – dezidiert kritisch - Marisol Escobar sowie - leider nur en passant - die zu Unrecht vergessene Video-Künstlerin Marie-Jo Lafontaine.

    Isabelle Graw, die seit 1990 die Zeitschrift Texte zur Kunst herausgibt, die eine Professur für Kunsttheorie an der Städelschule Frankfurt innehat und mit zahlreichen Aufsätzen hervorgetreten ist, kann als profilierte Vertreterin der feministischen Kunstwissenschaften gelten. Sie rekurriert durchaus auf Autorinnen wie Linda Nochlin, die in ihren frühen Aufsätzen das Augenmerk darauf richtete, dass man es in der Rezeption von Künstlerinnen mit ganz besonderen Festschreibungen, Vorurteilen zu tun hat, dass historisch gesehen die Ausbildungschancen von Künstlerinnen andere waren, dass es so etwas wie institutionellen Sexismus gab. Erst diese Vorarbeit ermöglichte es Isabelle Graw, statt der in den letzten zehn Jahren dominierenden identitätsbezogenen Herangehensweise nun ihren wissenschaftlichen Ansatz zu realisieren, nämlich vom ästhetischen Objekt auszugehen, die besondere Situation von Künstlerinnen aber mitzudenken. Provokant kämpferische Untertitel in ihrem neuen Buch – wie beispielsweise "Feindliche Übernahme" oder "Frauen am Machtpol" – dienen eher als Leseanreiz, denn als Absteckung eines kunstgeschichtlich exterritorialen Eroberungsraums. So lautet denn auch der einleitende erste Satz:

    Dieses Buch setzt mit einem Paradox ein: Es behandelt ausschließlich Künstlerinnnen und beschwört damit jenes Differenzdenken herauf, das es im Grunde bekämpft.

    Worum geht es der Autorin?

    Über künstlerische Arbeiten von Künstlerinnen zu reden, kann man nur sinnvoll, indem man sich auf die jeweilige Besonderheit und künstlerische Leistung der Arbeit einlässt, das ist bisher meines Erachtens zu wenig getan worden, weil meines Erachtens bisher immer wenn von Künstlerinnen die Rede ist, die Tendenz besteht biografisch vorzugehen, über ihre Schwierigkeiten im Alltag, im Leben nachzudenken, statt sozusagen bei den Arbeiten selbst anzusetzen. Ich möchte den Beweis antreten dafür, dass die entscheidenden künstlerischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts zu einem großen Teil auch von Künstlerinnen bewerkstelligt worden sind und sie in diese Kunstgeschichte in einer Weise einschreiben, die nicht bedeutet, Künstlerinnen arbeiten anders oder sind per se als Sondergattung zu verhandeln.

    Damit wendet sich Graw ausdrücklich gegen eine Biografistik bei Künstlerinnen, die eine werkimmanente, formale Angehensweise dermaßen hat marginal werden lassen, wie es für männliche Künstler nicht der Fall ist, dh. hier gab es in der Rezeptionsgeschichte bislang einen deutlichen Unterschied.

    Isabelle Graw hat zwar für ihren Ansatz innerhalb der feministischen Kunstwissenschaften viel der sozialwissenschaftlichen repräsentationskritischen Kunstgeschichte etwa einer Griselda Pollock zu verdanken. Doch andererseits distanziert sie sich davon und nimmt mit ihrer Arbeit einen Einstellungswechsel vor, insofern als sie dezidiert nicht mit der Kategorie Geschlecht arbeitet und nicht Rekurs auf frau nimmt, wenn sie über künstlerische Arbeiten spricht.

    Das mach ich deshalb nicht, weil ich glaube, dass die Kategorie Geschlecht ja zu so etwas geworden ist wie einem Routinebegriff, dass Geschlecht nur noch zur Verdinglichung der Geschlechterverhältnisse beiträgt und dass der analytische Wert dieses Begriffs für die Auseinandersetzung mit künstlerischen Arbeiten deshalb gering ist, weil wenn man über Geschlecht nachdenkt, wird man in den künstlerischen Arbeiten selbst immer nur nach Spuren von Geschlecht, nach Repräsentation von Geschlecht suchen und sie damit ja auf eine inhaltliche Ebene verkürzen und all das, was sie noch so zu bieten haben, übersehen.

    Zentrale Begriffe ihrer Untersuchung sind Aneignung, um die künstlerische Vorgehensweise zu analysieren und damit eine solide Basis für die Bewertung eines Werks zu schaffen, sowie Ausnahme, um sich mit dem Status von Künstlerinnen auseinanderzusetzen. Was ist damit gemeint? Das Verfahren künstlerischer Aneignung, also der Übernahme oder auch der kritischen Distanzierung von Gestaltungsprinzipien, von handwerklichen, stilistischen und inhaltlichen Spezifika, ist für jeden Künstler / jede Künstlerin und von jeher unabdingbar, denn er / sie arbeitet ja nicht im luftleeren Raum sondern steht in einer künstlerischen Tradition, mit der er sich auseinandersetzen muss, um sie weiterzuführen oder zu überwinden. Ein Sich-ins-Verhältnis-setzen zu normativen Vorgaben ist insbesondere seit Marcel Duchamp ein auffallend häufiges Verfahren. Namentlich die Appropriation Art der achtziger Jahre lebt geradezu aus dem Prinzip der Aneignung heraus. Frauen nun, das zeigt Graw, nutzen Aneignungsstratgieen systematisch und konsequenter als Männer. Nicht etwa, wie das gängige Klischee lautet, weil sie lediglich rezeptive und reproduktive Fähigkeiten hätten, weil ihnen die Kraft zu originärem Schaffen ermangle, sondern weil – so die Autorin – ihnen die Möglichkeiten zur Aneignung von Vorlagen historisch allzu lange vorenthalten worden sind.

    Wie funktioniert Aneignung? Es gibt im wesentlichen zwei Herangehensweisen:

    Einerseits der aneignende Bezug auf eine Vorlage kann mit dem Anspruch verbunden sein, sich an die Stelle dieser Voralge zu setzen, also Beispiel wäre die Künstlerin Andrea Fraser, die als Martin Kippenberger eine Performance macht und somit Anspruch erhebt selber auf die Position Martin Kippenberger, also das ist Ersetzung. Zugleich geht mit Aneignung aber auch die Möglichkeit her, das Angeeignete und die ihm inhärente Bedeutung zu verschieben, auszuhöhlen, zu verändern. Beispiel wäre die Künstlerin Cosima Bonin und die Art und Weise, wie sie sich sanktioniertes Material, formale Vorlagen, in ihren Arbeiten aneignet und sie zugleich in einer Weise aufweicht und verschiebt, die ihnen eine andere Bedeutung gibt.

    Dass dies etwa die Möglichkeit enthält, sich an die Aura eines Aufsehen erregenden Künstlers anzuhängen, zeigt das Beispiel Duchamps, der auffallend viele Nachfolgerinnen hatte. Oder die Möglichkeit, sich auf männliche Vorbilder einzuschießen, wie das Lynda Benglis 1974 mit dem genialen Coup einer Anzeige in der Zeitschrift Artforum vorführte. Als Antwort auf ein Ausstellungsplakat von Robert Morris, der sich in martialischer Haltung mit nacktem, glänzendem Oberkörper, Soldatenhelm, Sonnenbrille und schwerer Eisenkette hatte fotografieren lassen, posierte sie nun nackt, ebenfalls mit eingeölter, glänzender Haut und Sonnenbrille in Domina-Haltung und mit einem überdimensionalen Penis.

    Es fällt auf, dass Frauen relativ stark vertreten sind im Surrealismus, im abstrakten Expressionismus, in der Minimal Art und der Konzeptkunst, dh. in Kunstrichtungen mit einem ausgeprägten Regelsystem, bei den beiden erstgenannten mit geradezu einer Ideologie, die in Texten dargelegt ist. Wie lässt sich das erklären?

    Ich denke, je deutlicher diese Regelsysteme ausformuliert werden, desto mehr bedeutet das natürlich auch, dass man die Möglichkeit hat, sich mit etwas auseinander zu setzen und sich da einzuklinken. Andere Kunstrichtungen, wie zum Beispiel die Pop Art, die nicht über vergleichbare, auch von Kritikern ausformulierte Regelsysteme verfügte, weist ja zum Beispiel erstaunlich wenige Künstlerinnen auf und das könnte vielleicht damit zu tun haben, dass ein starkes Reglement immer auch dazu herausfordert sich mit ihm auseinander zu setzen und vielleicht einen Unterschied in ihm zu machen.

    Es scheint dieses Vorgehen besser geeignet, zu dauerhaft gültigen, hochwertigen künstlerischen Arbeiten zu gelangen, als etwa auf den sexistischen Aspekt abzuheben, wie Sarah Lucas oder Tracey Emin, bei denen sich Geschlechtsspezifisches und Privates nurmehr zu einem plakativen künstlerischen Amalgam verbinden. So ist auch auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich zumindest vorübergehend in Kunstzentren niederzulassen, um dort in bestehende Strukturen einzudringen, Formationen zu nutzen. Denn die Schrillheit der Kunstszene verdeckt nur deren Hermetik ebenso wie das scheinbare "alles ist möglich" die Gesetzmäßigkeiten und Machtstrukturen des Kunstmarkts. Eine Herausforderung nicht nur, aber besonders für weibliche Künstler.