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Die Bibliothek wird kleiner

Das Goethe-Institut muss sparen und will sich zugleich neu orientieren. Abbau in Europa, mehr Präsenz in Asien, Indien und Afrika heißt die Devise. Betroffen von einer radikalen Verkleinerung ist auch die Dependance in Paris. Prominente Intellektuelle warnen vor einem Verkümmern der auswärtigen Kulturpolitik in Frankreich.

Von Kathrin Hondl | 14.06.2006
    Der Aufschrei war laut und kam von prominenter Seite. Mit einer Petition haben Intellektuelle und Politiker von Günter Grass bis Michel Tournier, von Alfred Grosser bis Jacques Delors gegen die geplante Bibliotheksschrumpfung protestiert: "Ein Vorhaben", so schreiben sie, "das dem kulturellen Aufbau Europas entgegenarbeitet, in dem es einen wertvollen Zugang zur deutschen Kultur verschließt."

    Dramatische Worte, die Angelika Ridder, der Leiterin des Pariser Goethe-Instituts zu weit gehen. Sie spricht lieber von einer notwendigen Verkleinerung, mit der das Profil der Bibliothek geschärft würde.

    "Wenn wir nur ein Budget haben, das müssen wir auch sozusagen an diese veränderte Welt mitanpassen. Und das machen wir mit der Bibliothek, wir konzentrieren uns auf weniger Bereiche, das heißt, wir sagen, wir wollen aktuellste neue deutsche Literatur liefern, das heißt ab 1989 bauen wir den Bestand weiter aus, und das andere haben wir als Referenzbestand, aber eben nur noch eine Werkausgabe und nicht zwei-, dreifach und noch mit französischer Übersetzung. Das ist so der Hintergrund. Ich glaube, das ist auch ein gesundes Überleben und Anpassen."

    Von 35.000 Titeln Mitte der 90er Jahre ist der Bestand schon jetzt auf rund 20.000 Bücher, CDs und Filme geschrumpft. Nach der radikalen Verkleinerung wird die Bibliothek nur noch 5000 bis 8000 Titel zur Verfügung stellen. "Ein bedeutender Teil der deutsch-französischen Erinnerung wird ausgelöscht", beklagen die Gegner des Vorhabens. Die Institutsleiterin widerspricht:

    "Ausgelöscht würde ja heißen, die Bücher gibt es nicht mehr. Es gab ja noch eine drastischere Formulierung: so, Ihr werft die Bücher auf die Straße. Das tun wir nicht. Es gibt einen Teil der Literatur, zum Beispiel die wir doppelt haben oder von der wir sagen, das braucht man jetzt nicht unbedingt als Referenzbestand. Da gibt es eine Bibliothek, die jetzt hier im Zentrum von Paris aufgebaut wird, die übernimmt den Bestand. Das heißt:Die Bücher bleiben zum größten Teil in Paris. Es geht natürlich auch so weit, dass wir schon natürlich überlegen, wenn es Bestände gibt, die bei uns nicht gebraucht werden, bei den Partnern nicht, beim Heinrich-Heine-Haus nicht, oder wo auch immer nicht. Dann ist da natürlich auch das Goethe-Netzwerk noch eine Anlaufstelle. Und natürlich da wieder im Sprachraum, das heißt unsere Übersetzungen zum Beispiel, also deutsche Literatur in Französisch übersetzt, braucht man in Paris eigentlich nicht vorrätig zu halten im Goethe-Institut. Das geben wir dann beispielsweise nach Ramallah. Kann sein, beispielsweise."

    Wenn Bücher von Frankreich nach Palästina wandern, dann ist das auch ein weiteres Symptom der strategischen Neuorientierung der auswärtigen Kulturpolitik. Die Logik der "Globalisierungsstrategie", wie die Gegner der Pariser Bibliotheksverkleinerung kritisieren. Während in der arabischen Welt oder in Asien neue Institute eröffnen, wird in Europa drastisch gespart. Das Goethe-Institut Paris ist seit letztem Jahr leitend für alle Goethe-Dependancen in Frankreich, Spanien und Portugal zuständig.

    "Es ist schon klar, dass gerade die Stellen in Westeuropa nicht die angenehmsten sind im Sinne von: Hier stehen Umstrukturierungen an, hier stehen Veränderungen an, und gleichzeitig ist mir natürlich auch klar, wenn ich mit einem Kollegen aus Delhi oder Kairo oder Johannesburg spreche, der sagt, wenn Ihr nur drei Stellen sozusagen verändert bei Euch in dem Komplex Süd-West-Europa oder Frankreich und wir würden die bekommen, damit könnten wir zwei Länder abdecken, zwei Länder mehr in Afrika."

    Abbau in Europa, mehr Präsenz in Asien, Indien, Afrika – die Folgen dieser strategischen Neuorientierung des Goethe-Instituts sind in Frankreich deutlich zu spüren. Weniger in Paris übrigens, wo zwar die Bibliothek verkleinert aber das Gebäude des Instituts gerade aufwändig renoviert wird, als in der Provinz.

    In Bordeaux zum Beispiel wurde die Bibliothek bereits letzten Herbst ganz geschlossen, die Deutschkurse eingestellt. In Lyon soll die Miete für einen Ausstellungsraum eingespart werden. Der Etat der insgesamt sechs französischen Goethe-Dependancen ist 2005 im Vergleich zum Vorjahr um eine halbe Million Euro gesunken – von 5,8 auf 5,3 Millionen. Und er wird weiter sinken. Von Schließungen ist zwar nicht Rede, doch es stellt sich die Frage, was außer den Türschildern eigentlich noch übrig sein wird von den Goethe-Instituten in Bordeaux, Lyon, Nancy, Toulouse oder Lille. Und es fällt auch der zuständigen Leiterin sichtlich schwer, dieses unaufhaltsame Verkümmern der auswärtigen Kulturarbeit in Frankreich schlüssig zu begründen. Globalisierungsstrategie hin oder her.

    "Wäre das Goethe-Institut nicht auch durch diese budgetären Thematiken, die letztlich aus dem Finanzhaushalt der Bundesrepublik kommen, gezwungen zu sagen, wenn ich was machen muss, wo muss ich dann eine Aufgabe nochmal überdenken, wo muss ich mich strecken und dehnen und vielleicht auch was lassen, was vielleicht auch nicht so viele genutzt haben… Wären wir nicht gezwungen, wir würden's wahrscheinlich nicht machen. Also dieses Schönreden heißt schon auch so eine Krise als was Positives sehen. So würd’ ich’s vielleicht verstanden wissen wollen."