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"Die Bismarck"
Sophie Rois als politischer Redner im Parlament

So voll hat man die Berliner Volksbühne selten erlebt. Drei Chöre gleichzeitig: Die Berliner Sing-Akademie, der Staats- und Domchor sowie die Jungen und Mädchen aus den jeweils niederen Jahrgängen; geschätzte 150 Stimmen, zuzüglich Streichquartett, Schlagzeug und Flöte sowie drei Schauspiel-Kräften, darunter die Volksbühnen-Heroine Sophie Rois.

Von Michael Laages | 09.03.2015
    Noch nie, oder in jedem Fall ganz lange nicht mehr, ist es derart voll, um nicht zu sagen: überfüllt gewesen auf den Brettern, die viel Welt bedeuten, in der Ostberliner Volksbühne. Da tummelten sich nämlich gleich mehrere Chöre: die Berliner Sing-Akademie, der Staats- und Domchor sowie die Jungen und Mädchen aus den jeweils niederen Jahrgänge; geschätzte 150 Stimmen, zuzüglich Streichquartett, Schlagzeug und Flöte sowie drei Schauspiel-Kräften, darunter die Volksbühnen-Heroine Sophie Rois. Und obendrein ließen sich auch noch die Jagdhorn- und Parforce-Bläser aus dem sächsischen Taucha hören, in (vermutlich) historischer Kostümierung ...
    Das Theater selber spielt übrigens auch mit. Und zu Beginn sind durchaus auch Assoziationen zum 1941 von den Briten versenkten Schlachtschiff "Bismarck" möglich – so massiv fahren Bühnenmaschinerie und Eiserner Vorhang rauf und runter. "Die Bismarck bei der Arbeit" sei hier zu betrachten, raunt Sophie Rois dazu, zunächst noch nur aus den Lautsprechern – und vor den aufragenden Türmen und Gerüsten der Bühnen-Segmente (die sich hinterher zu drei großen Stufen für die Chöre sortieren) ist der "Eiserne" natürlich auch manches Wortspiel mit dem "Eisernen Kanzler" wert.
    Vor allem wird dann aber höchst patriotisch gesungen: und auch Lützows wilde verwegene Jagd geht mit den Sängern durch.
    Sophie Rois wird dann aus der Versenkung hochgefahren; erst als Standbild, später als politischer Redner im Parlament.
    Wilhelm Zwo, hier (wie historisch ja auch) ein Jungspund, allerdings hier auch noch ein "people of colour" wie frisch aus den afrikanischen Kolonien, rüffelt und entlässt den erfahrenen Politiker Bismarck der (genau!) Kolonialpolitik wegen; später kehrt Rois als Bismarck in quasi päpstlicher Robe zurück, erklärt die eigene Sozialpolitik als mindestens ebenbürtig zu den Theorien der Herren Engels und Marx – und verteilt dazu reihum an alle Chöre Heringe. Genau: Bismarck-Heringe.
    Ob's nun aber eher um derlei Witzischkeit gehen soll oder um eine halbwegs historische Annäherung vor dem Hintergrund patriotisch-nationalistischer Gesänge und Gedichte der Zeit? Wer weiß. Text-Monteur Christian Filips nutzt das hymnische Gejammer bei Bismarcks Hinschied 1899, etwa Ernst von Wildenbruch Weckruf an alle All-Deutschen: "Lass nie den "hier eben: die" Bismarck sterben in Dir!" Und er kontert derlei Geschwurbel mit steil revolutionärer Rhetorik von Marx bis Bakunin; aus Kindermund im Knaben-Chor klingt das eher ulkig.
    Aber zum Zurechtfinden zwischen einem und dem anderen Extrem ist der Abend eher nicht. Sophie Rois setzt auch nur die seriösesten Denk-Anstöße im mehrheitlich musikalischen Gefüge – das strahlende, den Abend prägende Zentrum ist sie nicht; soll sie im Konzept dieser Bismarckiade wohl auch gar nicht sein.
    So steuert die sonst so anarchische Volksbühne also eine Facette bei zur Bismarck-Reminiszenz der kommenden Wochen. Vorerst als einmaliges Spektakel – denn wann ließen sich all diese vielen Sängerinnen und Sänger aus Finsterwalde in Berlin wohl noch einmal zusammenrufen, um als Volk die Volks-Bühne zu überfüllen ...