Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die blinde und taubstumme Helen Keller promoviert zum Doktor der Philosophie

Für Mark Twain waren die beiden interessantesten Charaktere des 19. Jahrhunderts Napoleon und Hellen Keller. Freundschaftlich war er der taubblinden Amerikanerin verbunden, die 1880 auf dem Landgut Ivy Green in Tuscumbia im Staat Alabama als Tochter des Hauptmanns Arthur Keller und seiner Frau Kate geboren war. Fasziniert von der außerordentlichen Intelligenz und dem geistigen Charme des engelhaft ausschauenden kleinen Mädchens und der angenehm hübschen Frau später, die sich ihre Augen in feiner Einfühlung in die Welt außerhalb ihrer Grenzen durch Glasaugen ersetzen ließ. Fasziniert auch von der Energie und Hartnäckigkeit, mit der Helen Keller alles, was sie wünschte, erreichte. Sogar zu sprechen.

Von Ariane Thomalla | 19.09.2004
    Mit acht Jahren war sie dank eines Berichts des Perkins Instituts für Blinde in Boston das berühmteste Kind Amerikas, wurde sogar vom Präsidenten im Weißen Haus empfangen. Der von ihr autorisierte Film "The Miracle Worker", mit dem deutschen Titel "Licht im Dunkel", von l962 kann noch heute erschüttern. Wie ein eineinhalb jähriges Kind ein schweres Fieber – wohl eine Gehirnhautentzündung - überlebt, doch danach blind und taub ist.

    Mit entsetzlicher Plötzlichkeit kam sie vom Licht in die Dunkelheit und verwandelte sich in ein Phantom. Nichts hing mit irgendetwas anderem zusammen, und daher kam in ihr oft glühender Zorn auf.

    Schreibt Keller in einem ihrer Bücher von der totalen Isolation, dem Dunkel und der Stille, in die auch die Eltern, so sehr sie das Kind herzten und liebten, nicht eindringen konnten. Ein zunehmend ungezähmtes, wilderes, alle terrorisierendes Kind, das fern aller Erziehung heranwuchs wie ein aggressives kleines Tier, bis Anne Sullivan kam, die besondere Blindenlehrerin mit der besonderen Biographie. Selbst als Kind fast blind gewesen und nach dem Tod der Eltern in ein berüchtigtes Armenhaus abgeschoben, war es ihr beim Kurzbesuch einer Kommission gelungen, auf sich aufmerksam zu machen – mit der Chance danach auf die Blindenschule zu gehen und durch Operationen einen Teil des Augenlichts zurück zu gewinnen. Erst zwanzig Jahre alt, zähmte sie die widerspenstige Siebenjährige - anfangs fast mit Gewalt.
    Anne Sullivan berichtet Mrs. Keller: Helen habe zum ersten Mal auf einem Stuhl am Tisch gesessen, mit dem Löffel gegessen und - zuletzt sogar ihre Serviette gefaltet.

    20. März 1887. Mein Herz jauchzt vor Freude, ein Wunder hat sich ereignet. Das Licht des Verständnisses ist im Geist meines Zöglings aufgegangen. 5. April l887. Helen hat den zweiten großen Schritt in ihrer Erziehung getan. Sie hat gelernt, dass jedes Ding einen Namen hat und das Fingeralphabet der Schlüssel zu allem ist, was sie zu wissen verlangt.

    Das war nach dem Schlüsselerlebnis am Brunnen.

    Als das kalte Wasser hervorschoss und den Becher füllte, buchstabierte ich ihr "w-a-t-e-r" in die freie Hand. Das Wort, das so unmittelbar auf die Empfindung des kalten, über ihre Hand strömenden Wassers folgte, schien sie stutzig zu machen. Sie ließ den Becher fallen und stand wie angewurzelt da. Ein ganz neuer Lichtschein verklärte ihre Züge. Sie buchstabierte das Wort "water" verschiedene Male. Dann kauerte sie sich nieder, berührte die Erde und fragte nach deren Namen. Dann wandte sie sich plötzlich um und fragte nach meinem Namen. Ich buchstabierte ihr "teacher" (Lehrer) in die Hand. Auf dem ganzen Rückweg war sie im höchsten Grad aufgeregt und erkundigte sich nach dem Namen jedes Gegenstandes, den sie berührte, so dass sie im Laufe weniger Stunden dreißig neue Wörter ihrem Wortschatz einverleibt hatte.

    Erstmals wirft sich Helen dankbar in die Arme der Lehrerin. Ihr weiteres Leben ist – abgesehen von oft aufkommenden Geldsorgen - eine amerikanische Erfolgsstory. 1909 tritt sie in die Sozialistische Partei ein und streitet mit Feder und öffentlichen Auftritten jetzt nicht mehr nur für die Blinden, sondern auch für die Frauen und ihr Wahlrecht, für die streikenden Textilarbeiter und gegen den Eintritt Amerikas in den Krieg. Der Gefahrenpunkt ihres Lebens ist die Abhängigkeit von anderen, vor allem nach dem Tod von Annie Sullivan. Doch auch das meistert Helen Keller. Sie verweist alle, die über sie Macht haben, mit ihrer Klarheit und Liebenswürdigkeit in den Respekt. Auch das eine Erfolgstory.
    Eine Krönung ihres Lebens ist, als sie im renommierten Radcliff College, einem Annex für Frauen der Harvard University, l904 ihren Bachelor of Arts macht, damit als erster taubblinder Mensch überhaupt auf der Welt einen Hochschulabschluss erreicht. Mit 75 Jahren wird sie als erste Frau Ehrendoktor der Harvard-University. 1968 stirbt Helen Keller mit 87 Jahren, nach einem erfüllten Leben auch für andere.