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Die Bombe im Comic

Der Zweite Weltkrieg ist in Japan ein schwieriges Thema, Hiroschima ein Trauma. Dokumentationen befassen sich mit dem Desaster, wie Florian Coulmas in "Hiroshima. Geschichte und Erinnerung" berichtet, literarische Beschäftigung mit dem Thema sei aber selten. Auf sehr persönliche Art und Weise hat nun ausgerechnet ein Comic den Atombombenabwurf aufgegriffen: Keiji Nakazawas "Barfuss durch Hiroschima".

Von Detlef Grumbach | 18.05.2005
    Militärisch notwenig waren die Abwürfe der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki nicht. Der Krieg - in Europa schon am 8. Mai beendet - war auch im Pazifik kurz vor der Entscheidung. Dass am 6. und 9. August 1945 dennoch mehrere Hunderttausend Menschen sterben mussten - von den Spätfolgen einmal ganz abgesehen - war vor allem eine Demonstration technologischer Überlegenheit und eine Drohung für die Zukunft, auch in Richtung der Sowjetunion.

    Und womöglich so etwas wie eine späte Rache für das Desaster, das die Japaner den USA am 7. Dezember 1941 bereiteten, als sie in Pearl Harbour vier amerikanische Schlachtschiffe und fast 200 Flugzeuge zerstörten. So fasst es Florian Coulmas zusammen.

    Dem Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokyo geht es in seinem Buch "Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte" aber nicht so sehr um die Ereignisse selbst, als um das schwierige Erinnern daran in Japan, aber auch in den USA. Coulmas besucht die Orte des Gedenkens, zeichnet die Spuren nach, die die beiden Bomben im kollektiven Gedächtnis hinterlassen habe und legt den Finger in die Wunden. Ein Beispiel: So wie hierzulande Homosexuelle oder Sinti und Roma lange Zeit darum kämpfen mussten, bis sie als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden, müssen in Japan die koreanischen Opfern in Hiroshima und Nagasaki um ihre Rechte kämpfen.

    Korea stand unter japanischer Kolonialherrschaft, koreanische Zwangsarbeiter wurden in der Rüstungsindustrie Japans eingesetzt. Auf zehn Prozent schätzt Coulmas ihren Anteil an den Todesopfern - gedacht wird ihrer erst seit den neunziger Jahren - und das auch nur ganz am Rand. Heikel ist dieses Thema noch heute.

    Umso bedeutsamer ist es, dass es neben dem Pazifismus im Krieg führenden Japan eine durchaus wichtige Rolle spielt in einem mehr als eindrücklichen Zeugnis der Katastrophe, das in Deutschland jetzt erstmals vollständig erscheint: In einem Comic ausgerechnet, einem Manga, gezeichnet von dem Hiroshima-Überlebenden Keiji Nakazawa.

    Ralf Keiser, Lektor des Carlsen-Verlags, in dem das vierbändige Werk erscheint, hat es zumindest als sehr schwierig empfunden, mit seinen Vertragspartnern in Japan überhaupt über den Inhalt des Comics zu sprechen:

    "Wenn wir unseren Partnern gesagt haben, wir machen diesen Comic, war immer klar: jeder kennt ihn. Wobei natürlich in persönlichen Gesprächen immer schwierig ist, überhaupt über dieses Thema in Japan zu reden. Weil diese ganze Kriegsgeschichte und Kriegsaufbereitung ist da ganz anders gelaufen als bei uns."

    Keiji Nakazawa war sechs Jahre alt, als die Bombe fiel. Die Geschwister und den Vater hat er sofort verloren, seine Mutter starb 1966 an den Folgen der Bombe, er selbst leidet an Leukämie. Mit 22 Jahren zog Nakazawa nach Tokyo und begann seine Karriere als Comiczeichner. Aus Rache für seine Mutter veröffentlichte er eine "Schwarze Serie" von Mangas in verschiedenen Zeitschriften. Anfang der siebziger Jahre entstand die rund tausend Seiten starke Lebensgeschichte seines Alter Ego Gen: "Barfuss durch Hiroshima".

    Die Bilder schockieren. Und weil man es mit einem Comic zu tun hat, mit einem Medium, dass in Europa überwiegend von Kindern gelesen wird und dem Spaß vorbehalten ist, weiß man nicht so Recht, ob es wirklich die Bilder sind, von denen diese unmittelbare und nicht mehr aus dem Kopf zu bekommende Wirkung ausgeht - oder das Wissen um ihre Wahrhaftigkeit.
    "Man weiß, im Grunde ist der Hauptcharakter er selber. Das schwingt immer mit, dieses "es ist wahr". So schwer uns das heute einleuchten mag, dass das tatsächlich passiert ist. Und zum anderen denke ich, sind die Bilder auch wiederum so einfach, dass jeder selber noch genug Raum hat für seine Fantasie. Und das ist ja oft das, was am Schrecklichsten ist - die eigene Fantasie, die dann darüber hinausgeht und sich das ausmalt."

    Der erste Band der Biographie, "Kindes des Kriegs", ist schon einmal 1982 bei Rowohlt erschienen. Hiroshima im Comic. Ein Comic für Erwachsene? Das Buch konnte sich am Markt nicht durchsetzen. Die Serie wurde nicht fortgeführt.

    Dabei unterscheiden sich japanische Mangas - das Wort bedeutet nichts anderes als Comic - grundlegend von amerikanischen Disney-Produktionen oder von europäischen Schulen. Diese sind meist actionorientiert. Einmal entwickelte und feststehende Figuren wie Onkel Dagobert oder Fix und Foxi werden nach demselben Muster unermüdlich durch immer neue Geschichten getrieben.

    Mangas - in Japan von allen Bevölkerungsgruppen gelesen - gleichen eher einem Konzept von Ralf König. Hier werden Charaktere gezeichnet, die sich in vielschichtigen Sujets entfalten, die in der Zeit stehen, die mit den Geschichten und ihrem Autoren wachsen:

    "In der Tat leisten sich die Japaner beim Comiczeichnen, selbst in Abenteuergeschichten oder in actiongetriebenen Geschichten mal einen Break zu machen und dem Helden zu gestatten, mal über sich selbst oder das, was er tut, nachzudenken. Das ist schon eine andere Sache, und es werden in den Mangas durchaus - und das ist schon ein Charakteristikum - verschiedene Ebenen verquickt. Eben auf der einen Seite Action, auf der anderen Seite geht es aber um die Beziehung der Charaktere untereinander, wie stehen sie zueinander, wie entwickeln die sich."

    Kinderlachen, Kinderweinen. Maßlose Freude über den Weizen, der wächst, ein "Wamm", "Womp" oder "Whoooo", wenn Kinder sich prügeln. "Kinder des Kriegs" erzählt von der Zeit vor dem Bombenabwurf.

    Der Leser erfährt viel über den Alltag in einer Stadt im Krieg: Angst, Hunger, die Schwierigkeiten, die Familie zu ernähren. Der Vater, der seine Kinder durchaus auch schlägt, ist Pazifist, wird in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz geschnitten.

    Als einzige positive Figur neben der Familie erscheint der Koreaner Pak. Er bringt Reis, als der Vater wegen seiner politischen Einstellung ins Gefängnis kommt. Im zweiten Band - "Der Tag danach" - erzählt Nakazawa vom nackten Grauen. Feuersturm und Menschen, denen die Haut in Fetzen vom Leib hängt, die sich auflösen, die explodieren. Gens Vater und die Geschwister sind in Trümmern eingeklemmt, leben noch - und krepieren. Die Mutter - hochschwanger - bekommt ihr Baby. Sorge um das Kind, Suche nach Nahrung, Flucht aus der Stadt zu Verwandten, die die Mutter mit den beiden Kindern aus dem Haus jagt. Wer das liest, wer sich diese schlichten Schwarz-Weiß-Zeichnungen anschaut, wird einzelne Bilder nicht mehr aus seinem Kopf heraus bekommen.

    "Es ist Reduzierung und Konzentration auf das Wesentliche. Er muss eben, wenn er so einen Comic macht, überlegen, welches Bild greife ich heraus. Das ist ja wie ein Szenenfoto aus einem Film. Aber im Film, wenn solche Bilder auftauchen, sind sie vielleicht ein paar Sekunden da, dann sind sie wieder weg. Im Comic stehen sie da. Man betrachtet sie länger. Man kehrt immer wieder dahin zurück. Und wenn das ganze ungefähr 30 Jahre her war, als er das zeichnete, werden sich ja auch bei ihm Bilder eingebrannt haben in sein Gedächtnis und ich nehme an, dass er da wirklich die genommen hat, die er selber im Gedächtnis behalten hat und das eben so aufgezeichnet hat. Weil das sowieso die stärksten Bilder sind."
    In Japan, so Florian Coulmas in seinem Hiroshima-Buch, wurde die Geschichte sogar verfilmt, doch blieben der Film wie auch das Buch ein Solitär. Es gibt Dokumentationen über die Bombe. Fiktionale Beschäftigungen mit dem Thema sind selten. Das Kino beherrschten Filme wie "Godzilla" und seine zahlreichen Folgefilme, die von einer allgemeinen, monströsen Bedrohung ausgehen und vom Thema der atomaren Vernichtung wegführen.

    Nakazawas Zeichnungen "wirken hölzern, ja hausbacken und wenig nuanciert", schreibt dagegen der amerikanische Zeichner Art Spiegelman in seinem Vorwort über Keiji Nakazawas "Barfuss durch Hiroshima". Aber "ihre Ehrlichkeit verleiht ihnen eine solche Überzeugungskraft, dass das Unglaubliche und Undenkbare, das in Hiroshima wirklich geschehen ist, für den Leser erst fassbar wird."

    Spiegelman hat vor zwanzig Jahren mit seinen Comics "Maus I" und ""Maus II" für Aufsehen gesorgt, in denen der die Geschichte eines Holocaustüberlebenden im von Katzen bedrohten Mäusemilieu angesiedelt hat. In der Thematik besteht also eine große Nähe.

    "Auch das ist ein Comic, der ähnlich wie "Barfuss durch Hiroshima" sehr einfach gezeichnet ist, der durch Reduzierung gewinnt, durch Konzentration auf das Wesentliche. Diese Möglichkeit hat Comic schon seit Längerem, aber das ist ja gerade auch ein Anliegen von uns, zu sagen, Comic kann eben mehr und gerade auch bei Manga zeigen, dass auch Manga mehr ist."

    Es gibt also durchaus Anknüpfungspunkte, Comics mit großen Themen auf dem Markt zu platzieren, den Versuch zu wagen, das Medium wenigstens ein bisschen aus der Ecke für "Onkel Dagobert" und "Fix und Foxi" herauszuholen

    Florian Coulmas: "Hiroshima. Geschichte und Erinnerung" (C.H. Beck Verlag).

    Keiji Nakazawa: "Barfuss durch Hiroshima" (Carlsen-Verlag).
    Die ersten beiden Bände sind für je 12 Euro lieferbar, Band 3 - "Kampf ums Überleben" - und Band 4 - "Hoffnung" - erscheinen im Mai und im Juni.