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Die Brautprinzessin

Das Buch eines hierzulande weitgehend unbekannten Autors namens William Goldman mit dem herzigen Titel "Die Brautprinzessin", das schon auf dem Umschlag eine "Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern" marktschreierisch anpreist, mit einer gnadenlos kitschigen Umschlagillustration dem Auge weh tut und in der Fantasy-Genre-Ecke der Hobbit-Press erscheint, mag vielleicht eine Menge einschlägig konditionierter Leser erreichen, wird jedoch nicht damit rechnen dürfen, die geneigte Aufmerksamkeit seriöser Literaturkritik zu erregen. Und genau so erging es diesem Buch, das 1977 erstmals auf Deutsch erschien: Von der Kritik praktisch ignoriert, entwickelte es sich dennoch (vielleicht auch gerade deshalb) zu einem heimlichen Best- und hartnäckigen Longseller mit Kultstatus. Die Leserschaft besteht freilich keineswegs aus den üblichen Verdächtigen, die Trivialliteratur wie Cola-Light wegschlürfen, sondern aus literarisch beschlagenen, auch intellektuell durchaus belastbaren Leuten, und fast alle stimmen nach der Lektüre mit dem ersten Satz des Buchs überein. Der lautet nämlich: "Dieses Buch hier ist mir das liebste auf der Welt" - doch folgt diesem Satz die bemerkenswert verwirrende Einschränkung: "aber gelesen hab" ich es noch nie." Und die sich daraus ergebene Frage schließt William Goldman gleich an: "Wie ist so was möglich?"

Klaus Modick | 15.05.2002
    Möglich gemacht hat Goldman es mit einer ebenso gewieften wie komischen Editionsfiktion. Der Autor gibt nämlich vor, das voluminöse, über weite Strecken hoch gelehrte und also sterbenslangweilige Opus Magnum eines gewissen S. Morgenstern zu bearbeiten, indem er dessen gigantische Unlesbarkeit mittels entschiedener Kürzungen auf seine spannenden und sentimentalen Passagen reduziert. Diese Editionsfiktion erlaubt nun ein hinreißend hemmungsloses Suhlen in Kolportage und Comic-Strip-Ästhetik, Kino-Kitsch und Klischees, ein Bad in allem, was einem Autor sonst von Kritik und Lektorat um die Ohren gehauen würde. Das ad absurdum durchgespielte Schlammbad des schlechten Geschmacks bekommt seinen umwerfenden Charme, seinen durchschlagenden Witz und seinen subversiven literarischen Anspielungsreichtum dadurch, dass Goldman einerseits eine Rahmenhandlung erfindet, andererseits jedoch seine eigene Editionsarbeit permanent unterbricht, glossiert, in Frage stellt, den Leser anspricht, mögliche Einwände von Kritik und Literaturwissenschaft antizipiert und diskutiert und somit eine satirische Doppelt- und Dreifachbödigkeit ä la Lawrence Sterne konstruiert, deren ebenso trockener wie intelligenter Witz in der Literatur beispiellos ist.

    Mit diesen intertextuellen Verspieltheiten und satirischen Brechungen hätte "Die Brautprinzessin" eigentlich zu einem Schlüsseltext der literarischen Postmoderne avancieren müssen, zumal das Buch zu Beginn der Achtziger Jahre als Geheimtipp zu kursieren begann, zu einem Zeitpunkt also, da die Postmoderne die meistdiskutierteste ästhetische Kategorie war. Nur hatte die Kritik hier im falschen Moment gegähnt. Das mag sich mit der jetzt erschienenen, erweiterten Neuausgabe ändern.

    William Goldman, auch als Romancier und Sachbuchautor hervorgetreten, ist vor allem einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods, der mehrfach mit dem Oscar ausgezeichnet wurde und unter anderem die Skripts für "The Marathon Man" oder "Butch Cassidy and the Sundance Kid" schrieb. Und natürlich ist inzwischen auch "Die Brautprinzessin" verfilmt worden, worüber Goldman zu Beginn der erweiterten Neuausgabe nun berichtet. Beschlossen wird die Neuausgabe mit einer Fortsetzung des eigentlichen Buchs - genauer gesagt, und anders kann es hier gar nicht sein, mit einer unglaublich komischen Dekonstruktion dieser Fortsetzung/ die zugleich eine Dekonstruktion allen Fortsetzungsunwesens ist, mit Arnold Schwarzenegger und Stephen King in tragenden Rollen,

    William Goldman ist mit der "Brautprinzessin" ein Geniestreich geglückt, zumindest aber ein Werk von genialer, literarischer Schlitzohrigkeit. Und deshalb gilt für seine Leser und alle, die es noch werden wollen, auch der erste Satz der Neuausgabe: "Das hier ist noch immer mein Lieblingsbuch."