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Die Brücke der Einheit

Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wird die Glienicker Brücke 1948 wieder aufgebaut. Die DDR nennt sie "Brücke der Einheit", doch 40 Jahre lang ist sie eher das Gegenteil: Quer über die Brücke ist eine weiße Linie gezeichnet; sie trennt DDR von BRD.

Von Joachim Hildebrandt | 05.11.2009
    "Zentraler Bestandteil der Dauerausstellung sind Zeitzeugenberichte und Fundstücke von Zeitzeugen. Wir haben also Potsdamer und Berliner aufgerufen, das, was sie selbst an der Glienicker Brücke oder in der Villa Schöningen erlebt haben, uns zu erzählen. Wenn sie Fundstücke haben, wie die sogenannte Stalinmatte, die man in Flussböschungen gelegt hat, um Fliehende davon abzuhalten, die andere Seite zu erreichen."

    Diese Exponate können wir in der Ausstellung besichtigen. In der Villa Schöningen, von dem berühmten Architekten Ludwig Persius gebaut. Wir sehen restaurierte Keramikfliesen und alte Holzvertäfelungen. Der Eingangsbereich des Hauses ist wieder in seiner ursprünglichen Qualität vor unseren Augen, auch die Rundbogenkonstruktion mit vergoldeten, plastisch wirkenden Sternen. Eine Dielung ist gelegt worden, die Museumsräume haben Parkett bekommen. Die erste Glienicker Brücke von 1660 war aus Holz. 1907 wird sie durch eine Stahlkonstruktion ersetzt. 1945, von Bomben schwer getroffen, versinkt sie schließlich in der Havel. Michael Dehnert erzählt über den Wiederaufbau der Glienicker Brücke, für die sein Großvater Hans Dehnert verantwortlich war.

    "1948 wurde gesagt, man möchte die Glienicker Brücke in ihrer alten Schönheit wieder restaurieren: technisch zu dieser Zeit wahnsinnig schwierig, da es eine genietete Stahlkonstruktion ist. Mein Großvater übernahm die Oberbauleitung. Das Besondere an der Aufbauleistung war, dass diese Kräfte es dann geschafft haben, auch so diesen Einheitswillen der Deutschen Einheit zu dokumentieren, dass die Brücke wieder geschlossen wird und in alter Schönheit wieder entsteht."

    Die Glienicker Brücke wurde in der Geschichte eine Brücke, die mehr trennt als verbindet. Die DDR nennt sie "Brücke der Einheit". 40 Jahre lang ist sie eher das Gegenteil. Quer über die Brücke ist eine weiße Linie gezeichnet, sie trennt Ost von West, DDR von BRD, den Warschauer Pakt von der NATO. Nach dem Mauerbau 1961 symbolisiert die weiße Linie den Eisernen Vorhang, der nicht zu überwinden zu sein scheint. Das bekommt auch Eberhard Fätkenheuer zu spüren, der schon bald nach Wegen sucht, die weiße Linie, hinter der für ihn die freie Welt beginnt, zu überqueren.

    "So wie ich überlegt habe, ob man einen Tunnel bauen kann. Ich habe Ballons berechnet, ich habe überlegt, wie man über die Ostsee kommt, kannte Beispiele von welchen, die über die Ostsee geflüchtet sind. Habe mir, seitdem es die Mauer gab, darüber Gedanken gemacht: Wie kommst du weg?"

    Eberhard Fätkenheuer lässt sich vom Geheimdienst CIA anwerben.

    "Es erfolgte eine regelrechte Agentenschulung. Wo ich eingewiesen wurde, wie man Geheimbriefe schreibt, über das Radio Geheimmeldungen der Amerikaner abhört und entschlüsselt. Und dann hatte ich auch schon meine ersten Aufträge, wo ich in Oranienburg und in Berlin selbst bestimmte Beobachtungen machen sollte. Mein geheimdienstliches Material war in einem Stullenbrett verborgen, hinter einer Kachel fest eingeklebt, und zu Hause habe ich es dann aufgemacht und mein Codebuch herausgeholt. Mithilfe des Codebuches konnte man die Radiosendungen entschlüsseln."

    Doch die konspirative Tätigkeit flog schließlich auf. Die Staatssicherheit kam ihm auf die Schliche, weil die Geheimbriefe handschriftlich abgefasst werden sollten.

    "Als dann mehrere Briefe nach München an eine Paula Hapis gingen und die Staatssicherheit dort in München recherchierte, es gibt gar keine Paula Hapis, wurde die Post in München am Postamt abgeholt. Man konnte zwar die Geheimschrift nicht entschlüsseln, aber man kannte meine Handschrift. Über meine Handschrift bin ich dekonspiriert worden."

    Im Jahre 1979 wurde Fätkenheuer inhaftiert und zu 13 Jahren Haft verurteilt. Am 11. Juni 1985 kommt es zu einem von mehreren spektakulären Agentenaustauschen an der Glienicker Brücke. Fätkenheuer hat Glück. Er wird mit 22 Häftlingen aus der DDR ausgetauscht gegen vier im Westen inhaftierte Spione. Bei der Grenzüberschreitung hat er das Gefühl,

    "… die Glienicker Brücke, dieser weiße Strich, da ist die Allmacht der Staatssicherheit zu Ende. Sie waren ja eine Marionette, ob Sie eingesperrt oder frei waren, egal, in den Händen der Stasi. Dieses Empfinden, jetzt ist es vorbei für diese Leute, jetzt verlässt du ein für alle Mal ihren Machtbereich, das war etwas ganz, ganz Gewaltiges."

    Im Museum an der Glienicker Brücke finden wir Aufzeichnungen von Eberhard Fätkenheuer über sein Leben in der DDR, ein kleines Flugzeug und einen Traktor, die er im Gefängnis für seinen großen Sohn basteln durfte. Bei der feierlichen Einweihung der Glienicker Brücke im Dezember 1949 glaubte er noch, wie viele andere auch, stark an die Deutsche Einheit.

    "Das drückt sich auch in dem Taufspruch aus: 'Schaffende Hände und schaffendes Haupt, jeder, der an ein ewiges Deutschland glaubt, bedenkt, was uns heute hier eint, soll auch ein Stein zum werdenden Bau, zum Deutschland von morgen sein.'"

    Dieser Einheitsgedanke konnte aber erst Wirklichkeit werden am 9. November 1989.

    "Wenn man nicht die Frage Ost-West, Kalter Krieg, wach hält, gerade jetzt zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, dann verwischt sich irgendwie alles. In dem Moment, wo man die Spionage selber, auch der Agentenaustausch selber, so ein bisschen in die Ferne gerückt war, da kriegte die Glienicker Brücke für mich einen neuen Blickwinkel. Sie war der entscheidende Punkt, wo sich mein Leben von der einen Seite in ein ganz neues Leben auf der anderen Seite umgewandelt hat."