Donnerstag, 25. April 2024

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Die Brücke vom Goldenen Horn

Bereits im zarten Alter von zehn Jahren verschrieb sie sich der Schauspielerei, trat am Theater auf, zuerst in ihrem Geburtsland Türkei, seit den siebziger Jahren auch in Deutschland. Emine Sevgi Özdamar, dem deutschen Publikum bekannt durch Rollen in Hark Bohms Film "Yasemin" sowie Doris Dörries "Happy Birthday, Türke", lebt seit einem halben Jahr in Frankreich, spielt dort unter der Regie von Matthias Langhoff in dem Euripides-Stück "Die Troerinnen".

Erdmute Klein | 08.05.1998
    1991 erhielt Emine Özdamar für ihr Romandebüt "Das Leben ist eine Karawanserei" den Ingeborg-Bachmann-Preis. In seiner poetischen Sprechweise und aufrüttelnden Ehrlichkeit behandelt ihr drittes Buch, das unter dem Titel "Die Brücke vom Goldenen Horn" soeben erschienen ist, ein wichtiges Kapitel türkisch-deutscher Geschichte: Mitte der sechziger Jahre kam Emine Özdamar als sogenannte Gastarbeiterin nach Deutschland. Jetzt - 30 Jahre später - legt sie einen Roman vor, der ihre Jahre zwischen 1966 und 1975 auf ebenso persönliche wie politische Weise verarbeitet. "Mit 18 man will ja aus der Wohnung raus", so Özdamar, "und das war schön, daß die Tür offen war und daß es da so ein Märchen gab: Deutschland, und dann - schön, dann konnte ich fliegen. Und da gab's auch so Geschichten in der Türkei, daß sogar die Tochter der Königin von England als Putzfrau in Finnland arbeiten würde, um die Sprache zu lernen. Solche Geschichten wurden erzählt, und dann hat man sich damit identifiziert, und so war's."

    Der Ausbildung zur Schauspielerin ging ein einjähriger Schichtdienst als Radiolampenfertigerin bei Telefunken voraus. Die Situation schildert Emine Özdamar mit dem ihr eigenen realitätsgestählten, dennoch nicht unversöhnlichen Blick. "Die Straßen und Menschen waren für mich wie ein Film, aber ich selbst spielte nicht mit in diesem Film. Ich sah die Menschen, aber sie sahen uns nicht", schreibt Özdamar, die damals - so wollte es die Ironie des Schicksals - in einem Frauenwohnheim vis à vis des Hebbel-Theaters untergebracht ist. Rezzan, Gül, Nur und Engel sind Schicksalsgenossinen im Trott zwischen Akkordarbeit und der Tristesse einsamer Nächte im türkischen Frauenghetto. Die Mädchen begegnen ihren Müttern in nächtlichen Träumen, lernen deutsch anhand von Schlagzeilen aus der Boulevard-Presse, werden sexuell flügge, singen alte ottomanische Lieder von Liebe und Sehnsucht im grauen Nieselregen am Ufer des Wannsees.

    "Ich war mit 18 in Berlin, und dann kam ich ungefähr mit 29 wieder. Und ich dachte: Berlin hat ein falsches Gebiß bekommen. Berlin war ein Bühnenbild des Krieges, fast eine Ruine noch, und in der Ruine haben wir, glaube ich, auch gerne gespielt wie die Kinder. Ich erinnere mich sehr gerne an Berlin, ich hab' die Wälder sehr geliebt, die Bäume zum Beispiel und diesen Wannsee; das war ein graues, aber sehr schön gemaltes Bild für mich. Und dort hab' ich auch Türken kennengelernt. Wäre ich in der Türkei geblieben, hätte ich sie nicht kennengelernt. Das würde mir fehlen, wenn ich diese Zeit nicht hätte, diese Fabrikarbeit nicht hätte." Ein Jahr später reist die Ich-Erzählerin, hinter der wir die autobiographische Stimme der Autorin vermuten dürfen, zurück in die Türkei. So, wie der Roman sich in zwei Hälften spaltet, die erste in Berlin bzw. Paris spielt, die zweite die Entwicklung zur Schauspielerin und leidenschaftlichen 68er-bewegten Sozialistin beschreibt, changiert der Roman zwischen Orient und Okzident. Auch lnstanbul ist eine "geteilte Stadt", verbunden durch Fährschiffverkehr, später durch die Brücke vom Goldenen Horn. Ekstase und das Bedürfnis nach weitumspannender Solidarität prägen das soziale Klima jener Jahre: "Die Zeit war wie 'ne Renaissanceblütezeit, das war phantastisch, wo alle Menschen von allen Gebieten und allen Klassen zusammengekommen sind, und daß man die Straßen verlängert hat - wie die Kinder - und immer in den Lokalen geredet hat, philosophiert hat, und dann plötzlich hat man die Macht kennengelernt."

    In bewegenden Bildern beschreibt Emine Özdamar den Aufbruch junger türkischer Intellektueller in die Moderne und wie dieser Aufbruch dank staatlicher Gewalt im Blut erstickt wurde. Wie sie selbst mit sehr viel Glück der Haft entkommt, nachdem sie versuchte, die Öffentlichkeit auf die verzweifelte Lage hungernder Bauern in Anatolien aufmerksam zu machen. Vier Jahre hat sich die Autorin Zeit genommen, um diese Phase ihres Lebens literarisch zu verarbeiten die Schauspielerei hängte sie solange an den Nagel. "Ich habe dann Zeitungen recherchiert. Tagebücher hatte ich nicht geführt, und damals, als besonders in der Türkei der Militärputsch war, natürlich eine Zeitung wie Cumhuriyet, das war wie Le Monde, sagen wir, eine Zeitung, die wir liebten, da haben wir immer eine Hoffnung gesucht darin; wir wollten immer zwischen den Sätzen lesen, und wie ich wieder in den Zeitungen geblättert habe, in der Türkei, habe ich gemerkt, wie intensiv ich sie gelesen habe, damals, daß ich schon wußte, ob der Kopf von de Gaulle auf der rechten Seite der Zeitung war oder auf der linken, und wie groß oder klein das war oder von den anderen Jungs, die getötet waren, wie die da auf der Straße lagen, wo das Blut gelaufen ist, links oder rechts, das wußte ich, das ist alles rausgekommen."

    Emine Özdamar ist Kosmopolitin geworden. Das Theater ist ihr Zuhause, ihre Aftbauwohnung in Düsseldorf steht oft monatelang leer. "Meine Erfahrung mit Städten ist immer ans Theater gebunden, das Theater ist natürlich ein Ort, man kann ja überall am Theater leben, auch in Uganda oder Berlin. Und dort begegnet man auch einer anderen Sprache, einer körperlichen, die Worte haben Körper am Theater; das wird auch von den Schauspielern so gespielt. Und das ist keine Sprache, die einen erzieht, das ist eine Sprache, die einen befreit."

    Emine Özdamar hat Übung darin, sich ihr Leben immer wieder neu zu erfinden. Büchner, Brecht, Joyce, Faulkner, die Sinnlichkeit der Lyrik Lorcas haben ihr Erleben geprägt. Wie überlebt die Schriftstellerin neben der Schauspielerin, und welche praktischen Konsequenzen hat der magische Moment der Verwandlung für ihr Leben? "Was ich empfinde beim Spielen und beim Schreiben, das ist, daß man die Charaktere ändert; die haben miteinander zu tun. Das ist ja wie Kameraführung: den Moment muß man ja klarmachen, auch im Theater, damit die Zuschauer wie mit einer Kameraführung in die Nähe kommen und dann wieder Distanz nehmen. Das gefällt mir sehr, und ich würde sagen, das gefällt mir auch in einem Buch. Nur natürlich, das sind sehr verschiedene Leben. Am Theater, da ist eine Institution, die dich provoziert, die holt aus dir was raus, oder du willst die Leute überraschen, die sind da, immer. Schon auf den Korridoren spielst du, vor dem Pförtner spielst du. Natürlich beim Schreiben fehlt das. All diese Figuren sind nicht mehr da. Du mußt alles selber sein, das heißt, du mußt der Arbeitgeber sein, du mußt der Arbeiter sein, du mußt deine Kollegen sein. Was ich beobachtet habe: Die Schauspieler essen, mit der linken Hand rauchen sie, mit der rechten essen sie; das ist wie schnell Benzin holen, damit man wieder auf die Bühne geht, und bei den Schriftstellern habe ich bemerkt, daß der einzige soziale Moment vielleicht das Essen ist. Man ändert schon seinen Charakter, wenn man schreibt."