Freitag, 19. April 2024

Archiv

Die Bundeswehr und die sozialen Medien
Frieden schaffen ohne Waffen

Die Rekrutinnen der Bundeswehr bewegen sich auf dem Terrain der soziale Medien so sicher wie im Ausbildungslager. Die neue Youtube-Serie überzeugte Arno Orzessek mit Wackelkamera-Realismus und Postfeminismus. Das Urteil in seiner Glosse: bessere Unterhaltung als im "Dschungelcamp"!

Von Arno Orzessek | 28.11.2019
Eine weibliche Hand hält eine Kamera, mit der Soldaten gefilmt werden
Nach der Youtube-Serie "Die Rekruten" legt die Bundeswehr nun mit "Die Rekrutinnen" nach (picture alliance/dpa/Stefan Sauer)
"Kaputte Truppe", hieß es in der Zeit; "Trümmertruppe" in der Tageszeitung, "Schrauben locker" im Spiegel. Und man muss sich fragen, was in letzter Zeit stärker zugenommen hat: Die bösen Schlagzeilen über die Bundeswehr oder die Sanierungskosten für die Gorch Fock? Die auf See nie etwas versenkt hat, dafür auf der Werft Steuergeld in dreistelliger Millionenhöhe.
Den jüngsten Jahresbericht zur Lage der Bundeswehr hat das TV-Satiremagazin Extra 3 jedenfalls so zusammengefasst: "Wer Deutschland erobern will, sollte jetzt zugreifen." Das Witzige daran: Der Spruch ist gar keine Satire – und abzuwarten bleibt, inwiefern er Putins Landhunger beeinflusst.
Aber im Ernst: Möchten Sie der Bundeswehr nicht auch manchmal über den Kopf streicheln? Wo sie doch an ihrem viel beklagten Siechtum nicht allzu viel Schuld trägt? Das unverzichtbare Politiker-Bashing fügen Sie an dieser Stelle bitte selbst ein. Wir wollen hier nämlich lieber die Power loben, mit der die Bundeswehr trotz des Schlamassels in die Offensive geht. Wenn auch nur in die Charme-Offensive. Denn fahr- und flugbereite Fahr- und Flugzeuge, um in den echten Kampfzonen zu attackieren, sind ja rar.
Nein, kein schlüpfriges Projekt!
Da wäre also die 62-teilige Youtube-Serie "Die Rekrutinnen", von der es im Trailer heißt: "Sieben junge Frauen... 12 Wochen... Und du bist hautnah dabei". Nein, Ihr blöden Sexisten, das ist kein schlüpfriges Projekt! Das ist die Fortsetzung des Youtube-Renners "Die Rekruten" von vor drei Jahren. Und da muss man sagen: Ja, die Bundeswehr kann sehr wohl soziale Medien!
Und folgt dabei dem Prinzip 'Nichts als die ungeschminkte Wahrheit', die dann auch sprachlich ohne Rouge rüberkommt: Die Rekrutinnen sollen im Bus "aufsitzen", sie werden in ihre Kaserne "eingeschleust", ihre Haare müssen "gezopft" und das Gesicht, na klar, "abgeschminkt" sein.
Entfährt ihnen ein ziviles 'okay', brüllt der Uffz: "Das heißt 'jawohl'!" - und das finden sie bald echt okay. Denn ihr lebenskluges Allzweck-Motto lautet: "Das gehört hier wohl dazu." So wie der Schweiß, der Muskelkater, semi-sexy Stuben, enge Spinde, 'Stillgestanden!' und nicht nur Freudentränen.
Emanzipation? Ist vorhanden!
Der Wackelkamera-Realismus der Videos ist überwältigend, raffiniert ihre Symbolik: Auf dem Kasernengelände, quasi am Set von "Die Rekrutinnen", ruht ein ausrangierter Starfighter auf dem Sockel. Ein Exemplar des Typs, von dem fast 300 abgestürzt sind – 116 Piloten starben – und insofern ein Memento mori, das der Bundeswehr als Galionsfigur so gut stünde wie die schrottige Gorch Fock.
Und wie steht's um Emanzipation? Ist vorhanden! Leah etwa meint: "Wenn man Soldatin zu mir sagt, ist das okay, aber Soldat ist auch okay. Ich persönlich halte nicht so viel von dem Gender-Wahnsinn, der gerade abgeht, wir sind halt eine Truppe." Bei gutem Willen geht das als Postfeminismus durch. Kurz: Gucken Sie "Die Rekrutinnen"! Sie werden bereuen, Ihre Zeit je mit "Dschungelcamp" verplempert zu haben.
Als professionelle Influencer-Truppe vermarkten
Schade nur, dass nicht alles, was unsere liebe Bundeswehr postet, so Netflix-tauglich ist wie "Die Rekrutinnen". Kürzlich zeigte sie etwa auf Instagram das Foto einer hakenbekreuzten Wehrmachts-Uniform, um den Einfluss des Militärs auf die Mode zu belegen. In der Sache ist das nicht restlos falsch. Trotzdem raten wir der Truppe davon ab, als Nächstes die Verhungerten von Stalingrad zu Vorbildern aktueller Abnehm-Kuren zu stilisieren.
Aber nun. Im Blick auf die neuen Medien muss die Bundeswehr ihr Visier halt ständig neue scharf stellen. "Social Media ja, aber mit Vorsicht", zeigefingerte sie noch vor sieben Jahren. Den aktuellen Social-Media-Guidelines gilt dagegen jeder Soldat als willkommener "Influencer". Der indessen einen Dämpfer akzeptieren muss: "Eine gesonderte Vergütung" gibt’s fürs Influencen nicht. Und zur Dienstzeit zählt es auch nicht. Was sich aber bestimmt noch ändert, wenn die sieben Rekrutinnen Generalinnen sind.
Denn wenn erst gar nichts mehr fliegt, fährt oder schwimmt, kann sich die personell darbende Bundeswehr eigentlich nur noch als professionelle Influencer-Truppe vermarkten. Das aber dürfte sie so attraktiv machen wie nie zuvor. Und wie dann ihr Slogan lautet, ahnt man schon: Frieden schaffen ohne Waffen.