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Die Causa Wulff

Christian Wulff ist zurückgetreten. Wie reiht sich dieser Bundespräsident im Rückblick in die Reihe seiner Vorgänger ein? Und welche Folgen hat sein Rücktritt für das Amt, das Einigung und Weitsicht in das politische Leben bringen sollte?

Eine Sendung mit Beiträgen von Catrin Stövesand und Norbert Seitz | 17.02.2012
    Christiane Wirtz: Christian Wulff ist zurückgetreten, nachdem die Staatsanwaltschaft gestern beantragt hat, seine Immunität aufzuheben. Die gute Nachricht: Deutschland hat eine unabhängige Justiz, die auch vor dem Schloss Bellevue nicht haltmacht. Die schlechte Nachricht: Deutschland hat in knapp zwei Jahren zwei Bundespräsidenten verloren. Sehr zum Leidwesen der Kanzlerin, denn die muss schon wieder einen Kandidaten suchen:

    "Und in diesem Geiste werden CDU und CSU und FDP sich nun beraten und anschließend unmittelbar auf die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen zugehen. Wir wollen Gespräche führen, mit dem Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen zu können.""

    Wirtz: Kaum hatten sich heute Vormittag im Schloss Bellevue die Türen hinter Christian und Bettina Wulff geschlossen, da begann auch schon die Suche nach einem Nachfolger. Neue Namen braucht das Land: Norbert Lammert wird genannt, auch Ursula von der Leyen, Frank-Walter Steinmeier und Joachim Gauck.

    Wirtz: Ich bin jetzt mit Robert Leicht verbunden, er war Chefredakteur der Zeit und ist heute ihr politischer Korrespondent. Herr Leicht, Die Kanzlerin gibt sich zuversichtlich, dass sie sich mit den anderen Parteien
    auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen kann. Wird sie das schaffen oder wird der Fall Wulff am Ende zu vorgezogenen Neuwahlen führen?

    Robert Leicht: Na, vielleicht will sie das ja gar nicht – jetzt sagt sie das. Aber man muss mal die Lage sehen: Sie hat – und das ist der Segen des frühen Rücktritts von Christian Wulff, immer noch eine Mehrheit in der Bundesversammlung und die Sozialdemokraten könnten nur jemanden durchsetzen, wenn sie mit der Links-Partei zusammen gehen, was sie – um Gottes willen – vor der Bundestagswahl nicht wollen, also hat die Kanzlerin eine gewisse Vorhand. Sie wird versuchen, einen gemeinsamen Kandidaten zu finden, aber man kann sie am Ende nicht zwingen.

    Wirtz: Wir werden gleich im Laufe der Sendung noch einmal in die Zukunft blicken. Zunächst wollen wir erst einmal die Arbeitsbedingungen klären. Mein Kollege Norbert Seitz ist der Frage nachgegangen, welche Stellenbeschreibung die Verfassung für den Präsidenten vorsieht.

    Nach den leidvollen Erfahrungen mit der starken Position des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik haben die Verfassungsgeber das Bundespräsidentenamt eher kärglich ausgestattet. Seine Befugnisse sind eingeschränkt, sein Aktionsradius ist deutlich abgesteckt. Wenn aber dem Amtsinhaber zwar wenig Macht, dafür aber viel Autorität bescheinigt wird, dann haben die Vorgänge der letzten Wochen dem Amt beträchtlich geschadet. Die Verfassung weist nämlich dem Bundespräsidenten die Funktion des Zusammenhalts in einer pluralistischen Ordnung zu. Über den Parteien stehend gilt er gleichsam als Symbol staatlicher Einheit. Zunächst fallen ihm sogenannte staatsnotarielle Aufgaben zu. Er überprüft verabschiedete Gesetze, ob sie mit dem Grundgesetz übereinstimmen, ehe er sie unterschreibt. Eine eigene politische Meinung kann er dabei nicht geltend machen, sondern lediglich Bedenken anmelden, die die Verfassungsmäßigkeit betreffen.

    So zögerte zum Beispiel Walter Scheel in den 70er Jahren die Unterzeichnung der Wehrpflicht- und Zivildienstnovelle hinaus, welche die Kriegsdienstverweigerung per Postkarte ermöglichte. Und Richard von Weizsäcker verweigerte 1991 der Privatisierung der Flugsicherung seine Unterschrift. Außerdem ernennt und entlässt unser Staatsoberhaupt Bundesminister, aber auch Bundesrichter, Bundeswehroffiziere und Bundesbeamte. Und doch ist er mehr als bloß Staatsnotar oder Repräsentationsonkel, der Ordensverleihungen vornimmt, Botschafter akkreditiert, Sommerfeste veranstaltet und Bürgerinitiativen empfängt. So kommt dem Präsidenten bei der Auflösung des Bundestages und der Regierungsbildung und eine gewisse Entscheidungsfreiheit zu. Natürlich kann er als erster Mann im demokratischen Staate keine Ministerlisten korrigieren. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es jedoch zwei berühmte Fälle, wo Präsidenten Minister abgelehnt haben: Theodor Heuss wollte seinen Parteifreund Dehler nicht zum Justizminister ernennen, nachdem dieser das neue Bundesverfassungsgericht kritisiert hatte. Und Heinrich Lübke sträubte sich in den 60er-Jahren gegen die Ernennung des Christdemokraten Gerhard Schröder zum Außenminister, weil er an diesem die Sorge um das geteilte Berlin vermisste.
    Auch bei einer vorzeitigen Bundestagsauflösung tritt der Bundespräsident entscheidend auf den Plan. Freilich ist er dabei stets auch zum Spielball der Parteien geworden. So wurden Gustav Heinemann, Karl Carstens und Horst Köhler nach fingierten Vertrauensabstimmungen im Bundestag vom jeweiligen Kanzler dazu gedrängt, den Weg für eine Parlamentsauflösung und Neuwahlen freizumachen. Dass der Bundespräsident von den Parteien auch hin und wieder als Schlichter in Anspruch genommen wird, erlebten wir dann 2002 nach einer tumultartigen Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat - als Ministerpräsident Stolpe (SPD) und sein CDU-Minister Schönbohm entgegengesetzte Voten abgegeben hatten. Rau entledigte sich dieser Aufgabe diplomatisch. Er unterschrieb zwar, delegierte aber die endgültige Entscheidung an Karlsruhe und rüffelte den Vorgang in einer bis dato noch nicht vorgekommen Weise:

    ""Ich rüge das Verhalten des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und seines Stellvertreters. Ich rüge aber auch alle übrigen, die zu diesem Ansehensverlust beigetragen haben. Ich erwarte, dass das Amt des Bundespräsidenten nicht in die parteipolitischen Auseinandersetzungen hineingezogen wird."

    Trotz aller Lobreden auf dieses Amt darf nicht übersehen werden, dass es immer Erneuerungsversuche gegeben hat. Dabei wurde die Volkswahl häufig in die Debatte geworfen, so auch vom früheren Amtsinhaber Horst Köhler:

    "Ich glaube, dass es kein schlechtes Modell wäre, den Bundespräsidenten direkt zu wählen. Vielleicht sogar nur für eine Periode von sieben oder acht Jahren. Dann ist auch das Gerangel um die Wiederwahl ein bisschen eingegrenzter."

    Bliebe nur noch hinzufügen, dass sich die Befürworter meist um die Frage herumdrücken, welche zusätzlichen Kompetenzen ein direkt gewählter Bundespräsident bekommen müsste.

    Wirtz: Herr Leicht, wir haben es gerade gehört: Er hat wenig Kompetenzen, der erste Mann im Staat – umso wichtiger sind Respekt und Wertschätzung, die ein Präsident in der Bevölkerung genießt. Wie sehr hat Wulff dem Amt geschadet? Inwieweit hat er auch sich selbst geschadet?

    Leicht: Also dem Amt selber hat er natürlich nicht geschadet. In dem Moment, wo eine überzeugender Nachfolger oder Nachfolgerin gewählt ist, dauert es wenige Wochen und dann ist die Episode vergessen. Da würde ich mich nicht so furchtbar dramatisch erregen.

    Wirtz: Aber meinen Sie ein Nachfolger oder einer Nachfolgerin würde es in kürzester Zeit wieder gelingen, den Respekt sich wieder zu erarbeiten in der Bevölkerung?

    Leicht: Wenn es die richtige Person ist, ist es eine Frage von wenigen Tagen und Wochen.

    Wirtz: Christian Wulff hatte neun Vorgänger im Amt; sie alle haben auf ihre ganz persönliche Art das Amt mit Leben gefüllt. Wir hören jetzt erst einmal meine Kollegin Catrin Stövesand, die sich die Galerie der Präsidenten noch einmal angesehen hat.

    Staatstragend – verantwortungsvoll - vereinend – mit hohem Anspruch trat nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland der erste Bundespräsident sein Amt an.

    1949–1959 Theodor Heuss:

    "Indem ich es übernehme, stelle ich dieses Amt und stelle unsere gemeinsame Arbeit unter das Wort des Psalmisten. Gerechtigkeit erhöhet ein Volk."

    Autorin
    Verantwortung bedeutete für Heuss auch den Versuch, bewusst die begrenzte Kompetenz seines Amtes zu erweitern, Regierungsentscheidungen zu beeinflussen. Er scheiterte an Kanzler Adenauer. Der Liberaldemokrat war kein unbeschriebenes Blatt. Als Reichstagsabgeordneter – damals für die Demokratische Partei hatte Heuss 1933 dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten zugestimmt. Allerdings machte er daraus später kein Geheimnis – im Gegenteil:

    "Es hat keinen Sinn, um die Dinge herum zu reden. Das teuflische Unrecht, das sich an dem jüdischen Volk vollzogen hat, muss zur Sprache gebracht werden. Sind wir, bin ich, bist Du schuld, weil wir in Deutschland lebten?"

    Mit dieser Offenheit, mit diesem Einstehen für Vergangenheit und Neuanfang gewann Heuss das Vertrauen der Bürger eines Staates, der sich eine neue Identität schaffen musste. Und er prägte das Gesicht des neuen Staates.

    1959-1969 Heinrich Lübke

    Menschlich wurde es mit dem Sauerländer Lübke. Ein Mann aus dem Volk:

    "Ich komme aus einem Dorf im Sauerlande, von kleinen Leuten."

    Lübke war weder Wunschkandidat, noch war der Posten sein Herzenswunsch. Und so vermochte er das Amt auch nicht entsprechend der Heussschen Fußstapfen auszufüllen. Der CDU-Mann war umstritten – seine Reaktionen auf die 68er-Unruhen wirkten nicht vereinend.

    1969-1974 Gustav Heinemann

    Die Demokratie stärken – das war die Maxime des ersten Sozialdemokraten im höchsten Staatsamt. Heinemann versuchte wie Heuss, den Wandel seiner Zeit unterstützend zu begleiten. Dementsprechend hob er die Bedeutung der Bundesregierung und des Bundestages hervor, nicht die des Bundespräsidenten:

    "Es ist ausgeschlossen, dass der Bundespräsident eigene politische Aktionen, zumal auf dem Gebiet der Außenpolitik übernimmt."

    1974-1979 Walter Scheel

    Rheinländer, volksnah und populär. Für das Amt hatte sich der damalige FDP-Chef selbst ins Gespräch gebracht. Mit diesem Selbstbewusstsein versuchte auch er, die Befugnisse des Bundespräsidenten auszuweiten – ohne Erfolg.

    1979-1984 Karl Carstens

    Als Wanderpräsident wurde er bekannt, und sein Hobby kam beim Volk gut an. Der CDU-Mann bemühte sich um Neutralität im Amt, um Dialog der politischen Kräfte:

    "Diskussion ist die Stärke unserer Demokratie. Und wir sollten dieses Mittel auch gerade in der Auseinandersetzung mit denen einsetzen, die meinen, diese Demokratie ablehnen zu müssen."

    1984-1995 Richard von Weizsäcker

    Für viele Bürger der Bundespräsident schlechthin. Über die Parteigrenzen hinweg erntete der CDU-Mann Anerkennung und Ansehen durch seine Amtsführung. Von Weizsäcker erfüllte die Rolle als Mahner. Rhetorik war seine Stärke, seine Reden zeigten Wirkung. Besonders sein Auftritt am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende:

    "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

    1994-1999 Roman Herzog

    "Der Nachholbedarf an Reformen hat sich bei uns geradezu aufgestaut. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen."

    Die berühmte Ruck-Rede von 1997. Herzog wollte ein politischer Präsident sein. Seine klaren Worte machten ihn populär, zwei Drittel der Deutschen hätten den CDU-Mann gern in einer zweiten Amtszeit gesehen.

    1999-2004 Johannes Rau

    Der ehemalige Landesvater Nordrhein-Westfalens gab sich auch als Staatsoberhaupt versöhnlich, mischte sich aber zugleich ein, etwa in die Gentechnikdebatte. Und er thematisierte offen den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik. Auf den Tisch hauen, das wollte der frühere SPD-Kanzlerkandidat nicht:

    "Willy Brandt würde sagen, außer dem Tisch wird das niemanden beeindrucken. Und ich glaube auch nicht, dass das die Rolle des Bundespräsidenten ist."

    2004-2010 Horst Köhler

    Der Nicht-Politiker, der Bürgerpräsident. Er kritisierte Parteipolitik, machte seine Distanz zum politischen Geschäft mehr als einmal deutlich. Das machte ihn beim Volk beliebt, der Rückhalt in der Politik aber schwand. Letztlich der Grund, warum Horst Köhler im Mai 2010 seinen Hut nahm.

    Juni 2010 – 17.Februar 2012 Christian Wulff

    Der frühere niedersächsische Ministerpräsident galt als blasser Bundespräsident. Bürger und Politik vermissten Reden und Auftritte nach dem Vorbild Weizsäckers und Herzogs. Die vordringlichen Aufgaben der Gesellschaft zu begleiten, das sah Christian Wulff zwar als seine Aufgabe an, erfüllen konnte er sie jedoch nicht:

    "Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland braucht einen Präsidenten, der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird."

    Wirtz: Herr Leicht, die Erwartungen an einen Bundespräsidenten sind eher diffus. Also, ganz klar kann man nicht sagen, was soll er tun und was soll er lassen? Der nächste Kandidat, die nächste Kandidatin: Welche Kriterien muss der erfüllen?

    Leicht: Na, jedenfalls muss er in seinem privaten oder privat-dienstlichen Verhalten über jeden Zweifel erhaben sein. Wir können nicht noch einmal ein Ermittlungsverfahren gebrauchen. Zweitens, er sollte innerhalb der politischen Klasse respektiert werden als jemand, den man ernst nehmen muss und mit dem man nicht Kinderspiele anstellen kann. Und drittens, er muss gehärtet sein in der politischen Auseinandersetzung. Der bitte nicht den Kopf und die Nerven verliert. Gleichzeitig soll er sehr sensibel sein für die geistigen und sozialen Trends in unserer Gesellschaft. Das ist dann eine Überforderung, zu der dann Herbert Wehner einmal gesagt hat: Die Deutschen hätten gerne einen Professor, General Doktor Professor von Hindenburg. Also, man sollte vielleicht einfach die Anforderungen an das Amt oder die Erwartungen ein bisschen säkularisieren und darin nicht einen Heilsbringer sehen. Und dann gibt es doch eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die dem gewachsen sein könnten.

    Wirtz: Die Verhältnisse in der Bundesversammlung sind denkbar knapp: Schwarz-gelb hat gerade mal zwei bis vier Stimmen Vorsprung. Angela Merkel ist also gut beraten, wenn sie sich mit der Opposition verständigt. Gibt es diese Frau, diesen Mann, diesen "everybodys darling"

    Leicht: So eindeutig nicht, im Übrigen bleiben die natürlich bei aller Rhetorik über einen gemeinsamen Präsidenten, denken sie alle an ihre politischen Erwartungen für den Bundestags-Wahlkampf. Ich habe ja schon angedeutet, die SPD ist ja gar nicht so stark, denn sie kann auf die Stimmen der Linken nicht rechnen und wir haben schon Bundesversammlungen gesehen, dass es im dritten Wahlgang sehr knapp ausgegangen ist. Ich denke an die Wahl von Gustav Heinemann. Also noch und zwar weil die Wahl ja noch vor den nächsten Landtagswahlen stattfindet, hat die Kanzlerin eine relativ starke Position, auch rechnerisch, aber sie handelt natürlich klug, wenn sie zunächst einmal dem Bedürfnis nach einer breiten Mehrheit nachgibt. Aber das wird dann zwischen den Parteien ausgehandelt, und wenn sie eben keinen gemeinsamen Kandidaten finden, dann wird sie sich um eine Kandidatin/Kandidaten bemühen, der jedenfalls im Lager der Opposition nicht auf allzu großen Widerspruch stößt.

    Wirtz: Wann rechnen Sie denn mit dem ersten Namen, den die Kanzlerin nennt?

    Leicht: Sie wird zunächst einmal sich so verhalten müssen, dass die FDP nicht aus dem Fenster springt – und wenn sie dann ein Namenstableau haben – es wird sicher nicht einer sein – dann wird man auf die Oppositionsparteien zugehen und wahrscheinlich nicht auf Rot/Grün als eine Koalition, sondern einzelne Parteien. Und ich denke, das dauert schon noch ein paar Tage. So schnell geht das nicht. Aber – wie gesagt – ich halte es für durchaus möglich, dass die Kanzlerin am Ende sagt, ein gemeinsamer Kandidat ließ sich leider nicht finden – wir haben aber eine ganz tolle Persönlichkeit – und wer gegen die etwas hat, ist selber schuld.

    Wirtz: Trauen Sie sich denn, jetzt einmal ein, zwei Namen zu nennen, die infrage kommen könnten?

    Leicht: Nein, nicht wirklich! Wobei schon Einige sagen, hätten wir doch gleich Joachim Gauck gewählt!
    Ich bin da ein bisschen vorsichtig, denn die SPD hatte ihn ja nicht vorgeschlagen, um ihn durchzusetzen oder um die Kanzlerin zu ärgern. Und ob die Kanzlerin nun Gauck vorschlägt, um die SPD zu ärgern, das weiß ich nicht. Im Übrigen: Ich würde der Kanzlerin nicht raten, einen Vorschlag zu machen, bei dem man ihr hinterher höhnend sagt: "Warum nicht gleich so!"

    Wirtz: Werden damit jetzt, mit der Auswahl dieses Präsidenten, oder ist das eine Möglichkeit für die Kanzlerin, die Weichen für die nächste Bundestagswahl zu stellen? Also möglicherweise sich der SPD anzunähern oder eben von der FDP abzusetzen?

    Leicht: Das spielt natürlich im Hintergrund eine Rolle. Machen Sie mal das Kalkül auf, die Kanzlerin wäre so bösartig und würde Frank Walter Steinmeier vorschlagen. Da würde die FDP in der Tat sagen, das ist ein Casus Belli – die SPD würde sagen, den brauchen wir aber für den Wahlkampf. Natürlich wird jeder, wie immer diese Entscheidung ausfällt, daraus Kalkül ableiten. Nicht, wenn es jemand wie Klaus Töpfer würde, der ist innenpolitisch neutralisiert, Joachim Gauck wäre insofern auch keine Koalitionsaussage. Aber wie gesagt, dieses "Herumspekulieren" bringt gar nichts. Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass nach dem Rücktritt von Horst Köhler Angela Merkel nun ausgerechnet mit Christian Wulff kommt.

    Wirtz: Herr Leicht – vielleicht noch eine ganz kurze Frage zum guten Schluss: Die Staatsanwaltschaft wird jetzt ermitteln. Was glauben Sie, passiert denn, wenn die Staatsanwaltschaft sagt, wir haben nicht genug Beweise, um auch Anklage gegen Herrn Wulff zu erheben?

    Leicht: Damit muss man ja rechnen. Ich würde auch in der ganzen Causa Wulff nicht sagen, was falsch wird. In dem Moment, wo die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen einstellt. Das ist aber dann folgenlos. Da gibt es noch ein paar Tränen hinterher, aber politisch bedeutet das nichts mehr.

    Wirtz: Herr Leicht, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.