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"Die CDU wird meistens überschätzt, wir werden meistens unterschätzt"

Der Anfang des SPD-Wahlkampfs sei nicht der "Höhepunkt unserer Spielkunst" gewesen, räumt Schleswig-Holsteins SPD-Vorsitzender Ralf Stegner ein. Jetzt müsse die Partei dafür kämpfen, noch vieles richtig zu machen. Die Geschlossenheit in der SPD sei so groß wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Ralf Stegner im Gespräch mit Dirk Müller | 16.08.2013
    Dirk Müller: Was ist in der SPD los? Das kann man sich wöchentlich fragen, im Moment eher wieder täglich, vor allem, seit Franz Müntefering abgerechnet hat mit der Steinbrück-Kampagne. Mit dem Steinbrück-Wahlkampf, der gar keine richtige Kampagne ist, wie Franz Müntefering sagt, weil von Beginn an, so das Argument, die Unterstützung des Kandidaten gefehlt hat, inhaltlich, personell, logistisch. Ein klarer Hieb auf den jetzigen Parteichef Sigmar Gabriel. Und was macht er? Er will einen kleinen Parteitag.

    Ralf Stegner, SPD-Landes- und Fraktionschef von Schleswig-Holstein, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Fahrradkette – fahren Sie Fahrrad?

    Stegner: Manchmal schon, ja.

    Müller: Schneller als Sigmar Gabriel?

    Stegner: Das weiß ich nicht genau, aber sportlich schon ganz okay.

    Müller: Soll Sigmar Gabriel bei 20 Prozent Wahlergebnis weitermachen?

    Stegner: Das ist völlig irreal, dazu wird es ja überhaupt nicht kommen. Ich glaube, wir haben momentan eine ganze Menge Betrachtungen, die im Kaffeesatz stattfinden, und wissen doch sehr genau aus den ganzen letzten Wahlen: Die Umfragen sind das eine, das Ergebnis das andere. Die CDU wird meistens überschätzt, wir werden meistens unterschätzt. Die Entscheidung ist am Ende auf dem Platz und entschieden wird am 22. September. Deswegen muss ich natürlich auch sagen, so recht der Franz Müntefering natürlich hat: Der Anfang des Spiels, das war nicht der Höhepunkt unserer Spielkunst. Das weiß wirklich jeder. Aber wir wissen natürlich auch, wenn wir uns jetzt ins Mittelfeld stellen und darüber diskutieren, wer an den ersten Gegentoren schuld ist, dann haut uns der Gegner die Bude voll. Wir wollen aber gewinnen und deswegen müssen sich alle konzentrieren, um in der Fußballsprache zu bleiben, aufs gegnerische Tor zu schießen. Das ist das, was wir jetzt zu tun haben. Das wissen alle, gerade auch Franz Müntefering, und insofern weniger Analyse, mehr Kampf. Das Ding heißt nicht Wahlspaziergang, sondern Wahlkampf, und den wollen wir gewinnen.

    Müller: Wir haben Franz Müntefering nicht fragen können, warum er das getan hat. Sie kennen ihn seit vielen, vielen Jahren, haben auch häufig mit ihm inhaltlich gestritten, haben häufig andere Positionen vertreten. Warum macht so ein "alter" Genosse, so ein solidarischer Genosse, wie er immer war, jetzt diesen Schritt?

    Stegner: Ach, das ist manchmal so. Menschen haben unterschiedliche Erfahrungen, haben Wahlsiege erzielt, haben Wahlniederlagen gehabt, betrachten ihre Nachfolger aus einer ganz eigenen Perspektive. Dafür habe ich schon Verständnis, dass das gelegentlich so ist. Wichtig ist, dass wir uns die Diskussion sozusagen jetzt nicht anziehen, sondern kämpfen. Über die Frage, was falsch gelaufen ist, kann man reden, wenn Zeit dafür ist. Jetzt gilt es, dafür zu kämpfen, dass noch vieles richtig gemacht wird. Und ich glaube, dass das notwendig ist. Übrigens Patentrezepte hat niemand. Die Behauptung, früher war alles besser, stimmt nicht. Ich bin 2009 bei dieser verheerenden Wahl ja auch angetreten als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, das war für uns ganz bitter. Der Sigmar Gabriel hat wirklich die Partei aus diesem Desaster von 2009 herausgeführt, wir haben inzwischen fast überall in der Republik Schwarz-Gelb geschlagen, wir sind wieder da und ich glaube, die Aussichten, dass wir deutlich besser abschneiden, als uns zugetraut wird, die sind so schlecht nicht. Wir werden unterschätzt von den anderen. Viele haben uns schon abgeschrieben und glauben, das geht jetzt weiter mit Schwarz-Gelb. Aber das ist so eine schlechte Bundesregierung, wirklich mit Abstand die schlechteste seit Jahrzehnten, die muss abgewählt werden und darauf konzentrieren sich jetzt alle. Das eine Interview, so oder so, das finde ich jetzt so erheblich nicht. In die gleiche Zeitung wird morgen auch wieder der Fisch eingewickelt.

    Müller: Dann gehen wir von Franz Müntefering zu Sigmar Gabriel. Warum macht er das jetzt mit diesem Parteitag? Das verstehen viele in der Partei nicht.

    Stegner: Das ist ja gar kein Parteitag, sondern das wird ein Parteikonvent sein. Das heißt, da treffen die Mitglieder aus vielen Landesverbänden zusammen, um das Wahlergebnis zu analysieren. Sie dürfen ja eins nicht vergessen: Die SPD ist nicht mehr die von 2005 und 2009. Sigmar Gabriels Leistung besteht ja auch darin, innerparteiliche Mitbestimmung wieder zu verstärken, besser zu machen. Da ist nicht mehr Basta und in irgendwelchen Hinterzimmern erklärt jemand, was jetzt geschieht, sondern die Partei will mitgenommen werden. Und dass jetzt Kaffeesatzleser hineininterpretieren, wir würden uns nur für die Wahlniederlage vorbereiten, das ist doch richtiger Unsinn. Schauen Sie, mir wird bestimmt keiner unterstellen, dass ich ein Freund großer Koalitionen wäre. Ganz bestimmt nicht! Das wollen wir nicht. Wir wollen rot-grünen Politikwechsel, der ist auch noch zu schaffen mit ein paar%en hin oder her. Aber dass die Partei diskutieren will und nicht Selbstausuferung haben möchte an Wahlabenden oder über Mikrofone, das ist ein Teil der Leistung von Sigmar Gabriel. Wir haben wieder mehr Mitbestimmung in der Partei, das brauchen wir auch, egal wie die Wahl ausgeht.

    Müller: Braucht Sigmar Gabriel die Partei, weil er keine Fraktion hat?

    Stegner: Ich glaube, Partei und Fraktion müssen zusammenwirken, und ich glaube, Sigmar Gabriel führt die Partei wirklich gut. Und nebenbei bemerkt: Die Geschlossenheit in dieser SPD ist doch so groß, wie wir sie seit 20 Jahren nicht mehr hatten. Und wissen Sie, mancher an der Parteibasis, der jetzt kämpft, der möchte nicht, dass in irgendwelchen Hinterzimmern oder Zuträger in Berlin erzählen, was sie alles werden oder nicht werden wollen, oder was passiert, wenn man verliert. Sondern die wollen, dass man sich jetzt zusammenreißt und gemeinsam für den Erfolg kämpft. Das muss man dem einen oder anderen, der in Berlin viele Hintergrundgespräche führt, auch mal sagen.

    Müller: War das 2009 – Sie haben das mehrfach angesprochen, Herr Stegner – ein Menetekel, als am Wahlabend noch (das waren 23 Prozent, schlechter kann man ja kaum abschneiden aus Sicht der SPD) dann Steinmeier und Müntefering sich gleich auf Steinmeier geeinigt haben, Fraktionsspitze? Darf das nie wieder passieren?

    Stegner: Jedenfalls war das vom Stil her, glaube ich, nicht gut. Ich will aber durchaus sagen, der Frank-Walter Steinmeier hat ja auch eine sehr gute Politik gemacht als Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. Er hat auch ein Verdienst dafür, dass die SPD wieder rausgekommen ist aus der Depression und eine gute Oppositionsarbeit gemacht hat. Mir geht es jetzt nicht um Schuldzuweisungen für Personen. Nur der Stil zu sagen, jetzt gehen wir mal hin und verkünden, was passiert, Basta, das macht die Partei nicht mehr mit. Wir sind eine demokratische, eine fröhliche, eine streitbare Partei, und ich glaube, wir haben ein hervorragendes Programm und zu dem sind wir nur gekommen, weil viele beteiligt waren, dass wir ein sehr fortschrittliches Programm haben, was Fortschritt und Gerechtigkeit verbindet und was übrigens auch eine klare Alternative ist. Wissen Sie, die meisten Menschen, mit denen wir hier reden an den Haustüren, die interessiert jetzt weniger, welche Konstellationen wir diskutieren, sondern was passiert beim Thema gute Arbeit, gibt es Gerechtigkeit bei Gesundheit oder Pflege, schaffen wir das, in Bildung zu investieren, indem wir die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker beteiligen, gibt es eine Energiewende, die ordentlich gemacht wird. Das sind die Fragen, die die Menschen interessieren, und um die haben wir uns zu kümmern.

    Müller: Das heißt, diejenigen, die die Wahlkampagne und den Wahlkampf von Peer Steinbrück verfolgt haben, mit den vielen Ausreißern verfolgt haben, kein Vertrauen aufgebaut haben zu Peer Steinbrück, die haben die SPD nur nicht richtig verstanden?

    Stegner: Nein. Dass da manches daneben gegangen ist, das ist doch klar, das ist doch gar keine Frage. Aber wissen Sie, zwischenzeitlich war das doch so: Da hätte doch Peer Steinbrück aus der Bibel vorlesen können, oder die Wetternachrichten kommentieren, und das wäre skandalisiert worden. Da darf man doch auch sich nicht vertun. Peer Steinbrück vertritt ein sozialdemokratisches Programm. Das passt den Leuten nicht, die wollen, dass das so bleibt, wie das ist. Die wollen gerne die Leute sozusagen gegeneinander aufbringen. Das gelingt aber nicht. Ich bin mit Peer Steinbrück wirklich nicht in jedem Punkt einer Auffassung. Aber wenn der den Finger in die Luft hebt, dann will der die Richtung anzeigen. Wenn Frau Merkel das macht, dann will sie den Wind testen. Das ist der Unterschied. Und wir müssen diesen Versuch von Frau Merkel, das Land einzuschläfern, so zu tun, als ginge es um nichts, man müsse gar nicht wählen gehen, wir müssen die Alternativen aufzeigen. Das kann der Peer Steinbrück richtig gut. Klare Kante, dafür habe ich ohnehin viel Sympathie, und ich kenne ihn auch sehr lange. Täuschen Sie sich mal nicht: Die Partei will mit ihrem Kanzlerkandidaten und mit einem sehr guten Programm gewinnen und kämpfen, und das werden wir tun. Wir haben noch ein paar Wochen. Und wenn wir wirklich so abgeschlagen wären, wie man die Öffentlichkeit das glauben lässt, dann wäre ja die Regierung ganz beruhigt. Das ist sie aber überhaupt nicht, das kann man ja erkennen. Ich glaube, wir müssen die Inhalte in den Vordergrund rücken, müssen zuspitzen, müssen übrigens auch sagen: Wenn die SPD in die Regierung kommt, dann gibt es einen flächendeckenden Mindestlohn, dann gibt es gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern.

    Müller: Haben Sie gerade getan. Herr Stegner, Sie spitzen zu.

    Stegner: Aber wir stehen dafür auch gerade. Das ist der Punkt. Wir wollen keinen Regierungswechsel, sondern wir wollen einen Politikwechsel.

    Müller: Franz Müntefering, Störmanöver, verzeihen Sie ihm jetzt?

    Stegner: Ach, ich glaube, dass das nicht so wichtig ist. Jeder hat übrigens auch bessere und schlechtere Momente, auch in Interviews. Das geht mir ja auch so, das gefällt ja auch nicht immer jedem. Ich würde das jetzt nicht so wichtig nehmen, ehrlich gesagt, sondern wir müssen zusammen dafür eintreten, dass es ein gutes Ergebnis gibt. Da wird auch der Franz Müntefering gebraucht, der auch populär ist in der Partei, und alle anderen auch, und da darf man sich jetzt nicht in Depressionen reden, nur weil der eine oder andere mal ein Interview macht, was vielleicht nicht in jedem Punkt gelungen ist. Wie gesagt, Entscheidung ist auf dem Platz. Das würde der alte Fußballer Franz Müntefering auch so sehen.

    Müller: Ralf Stegner bei uns im Deutschlandfunk-Interview, SPD-Landes- und Fraktionschef von Schleswig-Holstein. Danke für das Gespräch, einen schönen Tag noch.

    Stegner: Sehr gerne! – Tschüß, Herr Müller, Ihnen auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.