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Die Crux des Räubers

Chemie. - Wer an der Spitze der Nahrungskette steht, der frisst mit seiner Beute auch deren konsumierte Nahrung - nebst Umweltgiften. So auch der Hai, der indes immer öfter auf unserem Speisezettel steht. Neue Tests belegen eine hohe Quecksilberbelastung des schmackhaften Räubers.

Von Wolfram Koch | 20.09.2005
    Gelangen anorganische Quecksilberverbindungen aus natürlichen Vorkommen oder industriellen Abfällen in ein Gewässer, dann werden sie von Mikroorganismen aufgenommen und verarbeitet. Egal, ob in Süß- oder Salzwasser, am Ende kommt bei diesem Prozess hochgiftiges Methylquecksilber heraus. Über die Nahrungskette erhöht sich eine anfänglich geringe Konzentrationen von Tier zu Tier bis zum Ende der Kette – bis zum Hai. Das Problem ist der Nachweis: Bisher konnten wenige Labors Methylquecksilber zuverlässig nachweisen. Darum werden Lebensmittel nur selten daraufhin untersucht. Am Institut für Analytische Chemie der Universität Mainz hat eine Gruppe um Professor Klaus Heumann ein neues Nachweisverfahren anwendungsreif entwickelt:

    "Unser Verfahren nennt sich eine Kopplungsmethode zwischen einer Gaschromatographie und einem induktiv gekoppelten Massenspektrometer. Damit können wir die Verbindungen sehr empfindlich nachweisen. Wenn vorher in der Gaschromatographie die verschiedenen chemischen Bindungsformen vom Quecksilber getrennt werden, so dass wir eindeutig die Zuordnung machen können, was also dem Quecksilber als anorganischem und dem Quecksilber als Methylquecksilber zuzuordnen ist."

    Der neue Nachweis ist alles andere ein Schnelltest wie er beispielsweise für Drogen verwendet wird. Brauchte man früher für die Analyse eine Woche, sind jetzt nur noch zwei Tage erforderlich. Und das mit wesentlich genaueren Ergebnissen. Die Haischutzorganisation Sharkproject ließ damit Schillerlocken, die Bauchlappen von Dornhaien, Blauhaisteaks und Seeaal testen. Die Ergebnisse überstiegen die schlimmsten Befürchtungen bei weitem, erklärt Andreas Keppeler von Sharkproject:

    "Das Institut für Analytische Chemie Mainz hat für uns Haiproben untersucht und wir haben Werte von bis zu 1400 Mikrogramm pro Kilogramm Haifleisch gefunden, was bei einer aufzunehmenden Menge einer normalen Mahlzeit für einen 70-Kilogramm-Mann bei 300 Gramm Haifleisch einer Menge von 420 Mikrogramm entspricht. Das ist das 60fache des als Gefahrengrenze festgelegten Wertes."

    Das heißt, ein 70 Kilogramm schwerer Mann würde mit dem Konsum von nur fünf Gramm Haisteak die empfohlene Höchstgrenze der internationalen Umweltschutzbehörde EPA erreichen. Jedes Gramm mehr schädigt das Nervensystem, es drohen Nierenschäden und Einschränkung der Zeugungsfähigkeit. Noch weiter reichende Folgen sieht Hermann Kruse, Toxikologe an der Uni Kiel, für das ungeborene Leben:

    "Methylquecksilber ist ein Trojanisches Pferd und kann zum Beispiel die Blut-Hirn Schranke überwinden, dort hineingelangen und sehr lange gespeichert werden. Auf der anderen Seite kann es die Plazenta überwinden und das Ungeborene schädigen. Die bekannten Schäden sind beispielsweise, dass beim Kleinkind die kognitiven Entwicklungen gestört sind. Bei Erwachsenen kann es zu Schäden am zentralen Nervensystem kommen, was sich an Kopfschmerzen, Merkschwierigkeiten oder Depressionen äußern kann. "

    In den 50er Jahren leitete die Chisso AG in der japanischen Minamata Bucht quecksilberhaltige Abwässer ins Meer. Der Verzehr der kontaminierten Fische, die Hauptnahrungsmittel der Bewohner der Bucht waren, führte zu Nervenschäden, Missbildungen und bis heute zu 3000 Todesfällen. Giftkonzentrationen, die Haien offensichtlich nichts anhaben können. Die Tiere speichern sehr viel Methylquecksilber zeitlebens im Gewebe. Erst nach dem Tod des Räubers gelangt es wieder in die Nahrungskette. Entweder zersetzen Mikroorganismen den toten Hai und werden selber zum Futter für weitere Lebewesen. Der Kreislauf beginnt von vorne. Oder aber Menschen ernähren sich von Haiprodukten wie getrockneten Flossen, Haisteaks oder Suppen. Mit den Giftkonzentrationen wird der menschliche Körper aber nicht fertig. Demnach, so die Naturschützer von Sharkproject, sind Haie für alle Menschen extrem gefährlich - aber nur wenn man sie isst.