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Die Dame vom Grill

Mit Operettenweisen reüssierte Brigitte Mira in den 20er-Jahren. Ihren großen Durchbruch als Schauspielerin erlebte sie allerdings erst mit 63 Jahren - in Rainer Werner Fassbinders Film "Angst essen Seele auf". Die Schauspielerin, auch bekannt durch die TV-Serie "Drei Damen vom Grill", wäre am 20. April 100 Jahre alt geworden.

Von Beatrix Novy | 20.04.2010
    "Warum weinst du?"

    "Weil ich so glücklich bin auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite halt ich das alles nicht mehr aus."

    Man könnte es so erzählen: 1973 wurde Brigitte Mira, Schauspielerin und Sängerin, endlich entdeckt. Da war sie 63 und spielte in dem Film "Angst essen Seele auf", einem kühlen Melodram von Rainer Werner Fassbinder, eine Putzfrau, die sich in einen marokkanischen Gastarbeiter verliebt. Ausgerechnet diese Rolle brachte ihr den Glamour, den sie bis dahin vermisst hatte.

    "Meine schönsten Stunden waren zum Beispiel in Cannes, als ich da diese Festspieltreppe herunterging und ich war auf einmal jemand."

    Als sie mit Fassbinder zum Festival in Cannes geladen war, hatte Brigitte Mira eine lange Karriere hinter sich: auf Operettenbühnen, in Kabaretts und Nachkriegsfilmen. Gar keine schlechte Karriere, aber nie erste Garnitur:

    "Ich hab ja auch in Berlin Theater gespielt. Und da waren immer ein paar sogenannte Stars dabei. Und dann wurde fotografiert und da stand ich daneben. Ich war nie wichtig."

    Aber - war das wichtig? Im Leben brachte sie es auf fünf Ehemänner und sogar auf ein erfülltes Familienleben mit Kindern und Enkeln.

    Rainer Werner Fassbinder hatte eine Schwäche für die deutschen Schauspielerinnen von früher, in denen mehr steckte, als sie im heruntergekommenen deutschen Showgeschäft je hatten zeigen können. Auch in Brigitte Mira, geboren am 20. April 1910, sah er mehr als eine gealterte Soubrette vom Dienst.

    Man konnte es doch auch mit Händen greifen: die Härte hinter der professionellen Heiterkeit, die Beißfertigkeit der dominanten Zähne, der abschätzige Mund im gar nicht so schönen Gesicht, das Brüchige, oft Kieksige der Stimme. Alles konterkarierte die Niedlichkeit ihrer 1,53 Meter hohen Erscheinung. Der traute man zu, dass sie in ihren hungrigen Elevinnenjahren sich von reichen Gönnern große Menüs spendieren ließ, um im entscheidenden Moment heimlich das Weite zu suchen. Und mit der Dreistigkeit der Verzweiflung hatte sich Brigitte Mira durch das Naziregime gespielt, immer in Angst vor allem um ihren Vater. Denn der Pianist Siegfried Mira war von Haus aus ein russischer Jude. Er hatte die Familie längst verlassen, als seine Tochter ihm nach 1933 falsche Papiere verschaffen ließ. Sie selbst spielte weiter, geschützt im Windschatten des Filmgeschäfts und durch einflussreiche Freunde.

    "Nach Wenningen fahren Sie doch?"

    "Ja, zu meiner Freundin, die ist da tätig."

    "So?"

    "In den Röhrenwerken. Das heißt, in den früheren Röhrenwerken."

    Ihr konnte man es nicht übel nehmen, dass sie im Dienst der NS-Propaganda die naive Blonde mimte, der ein feindlicher Spion alles aus der Nase ziehen kann. Ihr durfte man sogar glauben, dass sie, bevor die Naziwirklichkeit sie einholte, von Politik keinen Schimmer hatte. Sie hatte immer für die Bühne und auf der Bühne gelebt.

    Seit ihrem ersten Operettenauftritt Ende der 20er-Jahre war sie von Engagement zu Engagement gereist: von Köln nach Bremerhaven, von Reichenberg nach Graz. Viele Jahre später, 1997, nahm sie ihr Soubrettendasein selbst auf die Schippe.

    Als Rainer Werner Fassbinder 1982 starb, war der Grundstein für Brigitte Miras zweite Karriere schon gelegt. Originell und diszipliniert wie sie war, ging ihr die Arbeit im Fach der souveränen Alten nicht aus, über 100 Folgen der Fernsehserie "Drei Damen vom Grill" zeugen davon.

    Und als sie sich 87-jährig mit ihren Kolleginnen Evelyn Künneke und Helen Vita zusammentat - was konnte anderes daraus werden als ein Selbstläufer, der in der Ära des demografischen Wandels vom Sieg der Alten kündete?