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"Die Demokratie mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts wiedererfinden"

Für Klaus Peukert, Beisitzer im Vorstand der Piraten, geht es beim in der Partei heftig umstrittenen Aufbau einer Ständigen Mitgliederversammlung um Grundsätzliches: Solche Online-Parteitage würden das Versprechen tatsächlicher Basisdemokratie und Teilhabe in der Partei einlösen.

Klaus Peukert im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.05.2013
    Jürgen Zurheide: Mit den Piraten wollen wir uns beschäftigen. Sie setzen heute ihren Parteitag fort, gestern hat er begonnen. Auf der einen Seite gibt es, wie üblich, langwierige inhaltliche Diskussionen und die eine oder andere personelle Entscheidung, zum Beispiel eine neue Generalsekretärin. Interview mit Assmud Willersrud (MP3-Audio) Vom Parteitag berichtet Mario Dobovisek. Und mitgehört am Telefon hat Klaus Peukert, Beisitzender im Vorstand der Piratenpartei, erst mal schönen guten Morgen!

    Klaus Peukert: Schönen guten Morgen!

    Zurheide: Herr Peukert, was haben Sie denn nun entschieden? Omnibus-Demokratie, oder wird sich daran demnächst irgendetwas ändern?

    Peukert: Bei dem Thema SMV machen wir heute Abend weiter. Es gibt ja dort etwa ein Dutzend Anträge, und wir haben gestern die weitgehendsten, die sogenannten Hardcore-Anträge, die haben wir knapp nicht angenommen. Und heute Abend sind die dran, die ich persönlich für mehrheitsfähig halte.

    Zurheide: Es geht um die Frage Ständige Mitgliederversammlung, also ob man praktisch in einem permanenten Abstimmungsprozess ist. Sie haben gesagt, vorsichtig, dafür stehen Sie. Wofür stehen Sie?

    Peukert: Ich bin ganz klar dafür, dass wir mit dieser SMV die Demokratie mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts wiedererfinden, dass wir das Versprechen von tatsächlicher Basisdemokratie und Teilhabe innerhalb der Partei einlösen und dass sich die Basis unserer Partei selbst die Macht gibt, die sie die ganze Zeit haben will, aber im Moment gar nicht hat.

    Zurheide: Wie läuft das praktisch ab?

    Peukert: Wir würden heute Abend ein Instrument beschließen, wo die Basis sagt, wir können außerhalb von Bundesparteitagen ständig und online im Internet inhaltliche Entscheidungen treffen, sodass wir uns nicht mehr für verbindliche Entscheidungen irgendwo zusammenfinden müssen im Real Life, wo alle hinfahren müssen, wie Herr Lauer das meinte mit der Omnibusdemokratie, sondern dass alle jederzeit übers Internet da Entscheidungen treffen können.

    Zurheide: Das heißt aber, es gibt auch keine Entscheidung, die gültig ist, sondern jede Entscheidung ist ja nur gültig bis zur nächsten Sekunde, bis dann wieder abgestimmt wird, oder wie muss man sich das vorstellen?

    Peukert: Rein technisch läuft das ja nicht innerhalb von zwei Tagen, sondern das ist dann ein Prozess, der dann auch in mehrere Wochen geht vor so einer Entscheidung. Und das passiert ja auch bei Parteitagen nicht, dass auf jedem Parteitag dasselbe immer wieder abgestimmt wird und dann jeden Tag sich die Stimmung halt kippt. Also die Mehrheitsverhältnisse bleiben da ja konstant, und es ist nicht zu erwarten, dass in so einem Online-Tool dann ein Sachverhalt alle vier Wochen neu abgestimmt wird und sich dann irgendwie hin- und herwechselt.

    Zurheide: Aber man könnte ja auch fragen, dass das eine Art von permanenter Selbstbeschäftigung ist, die eigentlich nie ein klares Ergebnis bringt. Diese Gefahr sehen Sie nicht?

    Peukert: Nein, dieses klare Ergebnis bringt diese SMV überhaupt erst. Denn im Moment arbeiten wir mit gefühlten Mehrheiten, arbeiten wir mit Leuten, die halt laut sind, aber weniger, und mit so einer SMV können wir außerhalb eines Parteitags, der halt nur einmal im Jahr stattfindet für inhaltliche Sachen, jederzeit nachmessen, wie die Mehrheitsverhältnisse in der Partei sind, insbesondere zu Dingen, die auf dem Parteitag nicht drankommen wie zum Beispiel so kleinere Dinge, ein Positionspapier zum Afghanistankrieg oder zum Mali-Einsatz. Das ist zu klein. Und auf dem Parteitag kommen auch grundsätzliche Linien zur Abstimmung. Das kann man mit so einer SMV dann auch klären, dass man dort die Mehrheitsverhältnisse feststellt.

    Zurheide: Mir ist immer noch nicht ganz klar, welche Gültigkeit das dann haben wird. Sie sagen jetzt, na ja, man wird nicht alle vier Wochen abstimmen, aber dann vielleicht alle sechs Wochen oder acht Wochen zu bestimmten Themen, weil sich natürlich Haltungen auch wieder verändern können. Wie will man so was denn vermeiden, dass man so in diesem Prozess – ich nenne es mal zugespitzt – permanente Selbstbeschäftigung betreibt?

    Peukert: Also, ich würde die Tatsache, dass wir als erste Partei übers Internet politische Entscheidungen verbindlich treffen, jetzt nicht als Selbstbeschäftigung bezeichnen, weil es dann ja nicht darum geht, irgendwelche innerparteiliche Dinge zu entscheiden, sondern ganz klar, politische Punkte festzulegen und zu sagen zum Beispiel, dass die Piratenpartei sich in der Frage des Bundeswehreinsatzes in Mali positioniert, damit auch die spätere Bundestagsfraktion eine Unterstützung bekommt durch uns und wir sie auch kontrollieren können, denn sonst, ohne so ein Instrument, rennt der Profibetrieb Fraktion dem ehrenamtlichen Betrieb Partei einfach weg.

    Zurheide: Das heißt aber, es gibt dann so eine Art imperatives Mandat, der Parteitag beschließt, und die müssen im Bundestag das machen, oder wie steht denn das? Denn da sind dann ja neue Konflikte vorprogrammiert.

    Peukert: Na, dieses Spannungsfeld zwischen Parteibeschlüssen und freiem Mandat, das gibt es ja jetzt schon. Es ist ja nicht so, dass wir überhaupt keine Beschlüsse haben. Und die Abgeordneten haben natürlich weiter das freie Mandat, arbeiten aber dann nicht im luftleeren Raum, sondern haben halt die Unterstützung die Partei, dass, wie zum Beispiel bei dem Einsatz in Mali, dass sie wissen, was die Partei, für die sie im Bundestag sitzen, da denkt, und können dann sich daran orientieren oder halt ihrem Gewissen nach halt dort davon abweichen. Das funktioniert ja auch. Aber sie haben Unterstützung von uns und wissen, wie die Partei denkt und arbeiten halt nicht im luftleeren Raum.

    Zurheide: Was sind denn Ihre Ziele jetzt für den Rest des Parteitages, also A, die Fragen werden dann möglicherweise entschieden, wie Sie entscheiden wollen. Dann haben Sie ein Wahlprogramm, da liegen noch 250 Änderungsanträge vor. Sie hängen ein bisschen, haben wir gerade vom Kollegen gehört. Solche Fragen wie Grundeinkommen, Mindestlohn – gehen Sie davon aus, dass es da Entscheidungen geben wird, und verraten Sie uns vielleicht, welche?

    Peukert: Genau. Wir machen heute neben dieser SMV das Wahlprogramm, beginnen wir fertigzustellen, das passiert heute und morgen. Dann gibt es Anträge in allen Themengebieten. Die größten Anträge sind so im Bereich der klassischen Kernthemen, Freiheit und Grundrechte, Bürgerrechte, Datenschutz und so weiter. Es wird Anträge geben zum Mindestlohn als ersten Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, Anträge zu einem liberalen Asylrecht, zu einer freizügigen Familien- und Geschlechterpolitik, und Demokratie und Bürgerrechte ist auch noch ein großer Punkt.

    Zurheide: Wie ist Ihre Haltung zum Grundeinkommen?

    Peukert: Also ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft im 21. Jahrhundert dahin entwickeln sollen, dass das nicht mehr an Arbeit hängt, über die sich ein Mensch definiert, sondern dass wir als Gesellschaft jedem Menschen ein bedingungsloses Recht auf Teilhabe hat, und das wird zum Beispiel durch so ein Grundeinkommen realisiert, wo jeder einen Grundstock kriegt und, vom Staat gesichert, ohne Angst existieren kann und sich verwirklichen kann in der Gesellschaft.

    Zurheide: Und das alles steht zur Abstimmung beim Parteitag der Piraten. Das war ein Gespräch mit Klaus Peukert, dem Beisitzenden im Vorstand der Piratenpartei. Herr Peukert, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Peukert: Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.