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"Die Demonstrationen schaden dem Land gewaltig"

Die erneuten Proteste in Ägypten sind für den Tourismus und die Kultur eine Katastrophe, sagt Wafaa el-Saddik, ehemalige Direktorin des Ägyptischen Museums in Kairo. Jedoch habe auch die Regierung Mursi im letzten Jahr altertümliche Stätten geschädigt, indem sie bewusst Plünderungen und Zerstörungen hingenommen habe.

Wafaa el-Saddik im Gespräch mit Karin Fischer | 04.08.2013
    Karin Fischer: Auch Ägypten befindet sich am Scheideweg. Genau einen Monat nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi ist das Land gespalten wie nie zuvor. Fast 300 Menschen sind seit damals bei gewalttätigen Ausschreitungen ums Leben gekommen. Wafaa el-Saddik, die langjährige Direktorin des Ägyptischen Museums in Kairo, die seit Langem auch in Deutschland lebt, habe ich vor der Sendung gefragt, was der neuerliche Ausnahmezustand in Kairo zwei Jahre nach der Revolution für die Kultur bedeutet?

    Wafaa el-Saddik: Ja es ist natürlich eine Katastrophe. Bei uns kommen keine Touristen. Gestern habe ich einen Bericht gelesen, dass in einem Hotel in Luxor nur vier Zimmer belegt sind. Und die ganzen archäologischen Stätten sind ganz leer. Im Ägyptischen Museum habe ich angerufen und da waren nur sechs Besucher. Diese Demonstrationen schaden dem Land gewaltig und eigentlich sind die nicht, wie man hier in der Presse und bei den Nachrichten hört, friedliche Demonstrationen, die sind voller Gewalt und die schaden dem Land und der Sicherheit des Landes sehr.

    Fischer: Es gibt in solchen unsicheren Zeiten ja immer Diebe und Plünderer, die versuchen, aus den alten Schätzen Profit zu schlagen. Sie haben das damals vor zwei Jahren selbst erlebt in den Anfangstagen der Revolution, wo das ägyptische Museum eines Ihrer Ziele war. Bis heute ist allerdings unklar, ob das tatsächlich Plünderungen waren, oder ob die Sache irgendwie gesteuert ist. Weiß man da mehr?

    el-Saddik: Ich bin mir mehr sicher als früher, dass es gesteuert war, wenn man jetzt beobachtet, wie das läuft bei uns, weil da sind die Sicherheitsleute, die arbeiten 24 Stunden, die Polizei arbeitet auch die ganze Zeit und auch das Militär. Damals war das Museum allein, die Sicherheitskräfte haben das Museum verlassen und auch die Polizei. Gleichzeitig, wenn man die Demonstranten damals beobachtete, dann konnte man sehen, die haben überhaupt keine Geschäfte am Tahrir-Platz geplündert, die waren sehr friedlich, und Minuten, nachdem die gehört haben, dass Kriminelle im Museum sind, haben die eine Menschenkette um das Museum gebaut und haben seitdem das Museum geschützt. Deswegen war das wirklich von der Regierung geplant.

    Fischer: Heute ist die Situation ein bisschen anders und wir hören, dass die Islamisten auch mit zu den Feinden der Kultur gehören, indem sie im Namen des Islam Front vor allem gegen die archäologischen Stätten machen, gegen die Tempel, gegen diesen unislamischen Götzendienst.

    el-Saddik: Das Jahr, wo Mursi das Land regiert hat, war eigentlich eine Katastrophe für die Altertümer. Wir haben mehr als 80 Orte in Ägypten, die sehr schwer geplündert sind, besonders in Mittelägypten und im Ostdelta. Mursi oder seine Leute haben nie versucht, die archäologischen Stätten zu beschützen, und gleichzeitig war denen egal, dass die Leute ihre Häuser und ihre Gräber auf archäologischen Stätten bauten. Es gab überhaupt keinen Versuch, diese Kriminellen zu verhindern. Gott sei Dank, jetzt ist die Situation besser, aber es gibt bis heute noch Leute, die diese Möglichkeit zu plündern, nutzen, besonders im Ostdelta.

    Fischer: Aber im Prinzip glauben Sie, dass der Schutz der Kulturgüter jetzt wiederhergestellt ist?

    el-Saddik: Ja, es ist ein Versuch. Ich muss sagen, wir wissen, dass das Ägyptische Museum und wichtige archäologische Stätten wie Gizeh, Dahschur sind auch vom Militär geschützt, aber das Militär ist jetzt sehr, sehr beschäftigt mit Terrorakten im Sinai und auch mit dem Versuch, dass diese gewaltigen Demonstrationen von den Muslimbrüdern nicht in das ganze Land gehen.

    Fischer: Nun gibt es nicht nur die ganz alte Kultur im Land, sondern es gab auch eine neue, eine eher symbolische Kultur: Neue Protestformen, eine relative Emanzipation der Frauen, die auch mit auf dem Tahrir-Platz demonstriert haben, die Entdeckung der Möglichkeit, sich überhaupt zu artikulieren. Was ist daraus geworden?

    el-Saddik: Ja! Ich kann sagen, das ist natürlich sehr wichtig. Wir sehen jetzt auch heute, dass die Frauen stärker geworden sind. Ich muss leider sagen, auch auf der anderen Seite bei den Muslimbrüdern, da sieht man, dass jetzt auch die Frauen auf die Straße mit ihren Kindern gehen. Aber es ist eine Art, kann man sagen, die die Frauen und die Kinder ausnutzt. Die lassen die Kinder vorne in leichten Tüchern tragen und sagen, die sind Märtyrer. Das muss international verboten sein, dass die Frauen und Kinder so …

    Fischer: Instrumentalisieren!

    el-Saddik: Genau und nicht spontan, wie man auf dem Tahrir-Platz sieht. Die Frauen gehen auf die Straße, die kämpfen für die Freiheit Ägyptens und auch für ihre Rechte, die in diesem Jahr sehr, sehr begrenzt waren.

    Fischer: Das war Wafaa el-Saddik über die aktuelle Lage in ihrem Land. Ihr Buch "Es gibt nur den geraden Weg. Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens" ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.