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Die deutsche Doppelmoral

Die Champions League-Erfolge deutscher Vereine dominieren die Schlagzeilen, dabei geht ein Thema unter: die Absolution für FIFA-Präsident Sepp Blatter durch die hauseigene Ethikkommission. Dabei gäbe es gerade in Deutschland noch viel Redebedarf.

Ein Kommentar von Christian Bartlau | 01.05.2013
    Die FIFA hat den größten Schmiergeldskandal der Sportgeschichte zu den Akten gelegt - mit dem Abschlussbericht der Ethikkommission, einem kümmerlichen Bericht, der niemanden so richtig zu kümmern scheint - auch nicht in Deutschland. Der Fußball auf der Hochglanzbühne Champions League überstrahlt das Geschehen bei der FIFA, man hört Jubelschreie aus Dortmund und München statt eines kollektiven Aufschreis.

    Komisch eigentlich, denn alles läuft über Deutschland.

    Es ist ein deutscher Richter, der dem umstrittenen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter einen Freispruch geschenkt. Hans-Joachim Eckert legte streng juristische Maßstäbe an, und verweigerte sich einer moralischen Bewertung von Blatters Handeln - obwohl das der Auftrag der Ethikkommission war.
    Und es waren deutsche Topfunktionäre, die noch vor einem Jahr Blatters Rücktritt forderten. Am lautesten der Präsident der Deutschen Fußballliga, Reinhard Rauball, BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke – und Uli Hoeneß.

    Der entpuppte sich in den vergangenen Wochen als DIE deutsche Doppelmoralinstanz. Und ist das beste Beispiel für den deutschen Umgang mit den Skandalen beim Weltfußballverband. Hoeneß sagte im vergangenen Sommer wörtlich: "Viele Entscheidungen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sind nicht mit rechten Dingen zugegangen." Er forderte den DFB auf, bei der FIFA aufzuräumen.

    Nicht erst seit dem Fall Hoeneß erscheint dieses Tönen aus Deutschland scheinheilig. Denn mit der Aufarbeitung der Machenschaften der FIFA müsste man in Deutschland beginnen.
    Die ISL, um die es im Abschlussbericht ging, wurde gegründet von einem Deutschen: Horst Dassler, der Sohn von Adidas-Gründer Adolf Dassler. Die ISL hat 138 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld an Sportfunktionäre gezahlt – dabei ging es unter anderem um die Rechte an den Fußball-Weltmeisterschaften.

    Einer, der weiß, wie man mit Sportrechten handelt, ist Günter Netzer. Er leitete um die Jahrtausendwende eine Tochterfirma von Leo Kirch. Dieses Unternehmen zahlte horrende Summen für die Rechte an Testspielen des FC Bayern München gegen die Nationalmannschaften von Thailand, Malta und Trinidad – und das kurz vor der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland im Sommer 2000. Die Verträge verhandelte Netzers Firma unter anderem mit drei stimmberechtigten Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees.

    Offenbar war auch der Deutsche Fedor Radmann in die Verhandlungen involviert. Er war in der WM-Kampagne der entscheidende Mann hinter Franz Beckenbauer. Radmanns Karriere enthält einige bekannte Stationen: Adidas zum Beispiel, und die ISL.

    Es gäbe also genug zu untersuchen, wenn es um die Vergabe der WM 2006 an Deutschland geht. Und einige Vertreter des deutschen Spitzenfußballs, die es zu befragen gilt.

    Eine Untersuchung durch die Ethikkommission der FIFA müsste das Exekutivkomitee anordnen. Der deutsche Vertreter dort heißt Theo Zwanziger. Der sagte vor einigen Tagen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Hoeneß habe mit seiner Steueraffäre dem deutschen Fußball einen Bärendienst erwiesen. Schließlich könne niemand in Asien oder Afrika nun noch glauben, dass die Deutschen sauber sind. Fraglich, ob das jemals jemand geglaubt hat – außer die Deutschen selbst.