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Die Dieselschmuggler an der iranischen Grenze

Die gemeinsame Grenze zwischen dem Iran und der Türkei ist 500 Kilometer lang und in einer einsamen Landschaft gelegen sowie schwer zu überwachen. In diesem Landstrich floriert der Treibstoff-Schmuggel, allerdings mit tödlichem Risiko.

Von Gunnar Köhne | 02.02.2012
    Immer wieder zieht es Yunus Singil zum Grab seines Freundes Recep auf dem kleinen Friedhof vor seinem Heimatdorf Tulgali. Von hier aus sind es nur zwei Kilometer bis zur iranischen Grenze. Überwiegend junge Männer liegen hier begraben, kaum einer von ihnen älter als 25 Jahre. Sie waren Schmuggler und sie wurden von iranischen Grenzsoldaten getötet. So auch der 16jährige Recep. Es geschah vor einem Jahr . Sein Freund Yunus war mit ihm damals unterwegs:

    "Wir waren auf dem Rückweg nur ein paar Meter von der türkischen Grenze entfernt, als wir von iranischen Soldaten ohne Warnung beschossen wurden. Als wir flohen, wurde mein Freund Recep von einer Kugel am Kopf getroffen. Er stürzte zu Boden und blieb liegen. Wir trauten uns nicht, zu ihm zurückzukehren. Deshalb warteten wir in einiger Entfernung und riefen seinen Namen. Doch statt seiner, antworteten die iranischen Soldaten. "Wir haben euren Freund getötet. Ihr könnt ihn holen und in die Türkei mitnehmen."

    Die jungen Männer aus Tulgali schmuggeln billiges Dieselöl, das sie auf abgemagerten Pferden in Kanistern über die Grenze transportieren. Ihre Lieferanten sind kurdische Dörfler auf iranischer Seite. Die Winter im iranisch-türkischen Grenzgebiet sind lang und hart, andere Arbeit gibt es nicht für sie. Nur durch den Schmuggel mit dem Iran können sich die kurdischen Familien über Wasser halten. Vom türkischen Staat fühle sich Yusuf und sein Onkel Ibrahim allein gelassen.

    "Ich mache das wirklich nicht gern. Ich habe Angst. Aber was soll ich machen? Ich muss doch an meine Kinder denken. Wie soll ich die sonst ernähren?"

    "Wenn ich beide Kanister voll wieder zurückbringe, habe ich umgerechnet 20 Euro verdient. Dafür riskieren wir unser Leben."

    Die gemeinsame Grenze zwischen dem Iran und der Türkei ist 500 Kilometer lang - eine meist einsame und unwegsame Landschaft. Und die Grenze ist schwer zu überwachen. Das macht es Schmugglern leicht. Dennoch gab es allein in seinem Gebiet in den vergangenen eineinhalb Jahren 40 Grenztote, beklagt der kurdische Bürgermeister der nächsten Kreisstadt Özalp, Murat Durmaz:

    "Die Behörden lassen nur eine Autopsie der Toten machen. Das war's. Beschwerden und Klagen von Angehörigen oder Menschenrechtlern werden nicht beachtet. Natürlich ist Grenzübertritt illegal. Aber die Region ist sehr arm und wird von den Politikern in Ankara vernachlässigt. Wenn es hier sonst nichts zu verdienen gibt, warum sollten die Menschen dann Schmuggel als Unrecht ansehen?"

    Mitte Januar wurde das letzte Todesopfer der iranischen Grenzsoldaten an die türkischen Behörden übergeben. Ankara will das Verhältnis zum iranischen Nachbarn durch die toten Schmuggler offenbar nicht belasten - und schweigt. Die Iraner brauchen weder aufzuklären, noch Entschädigung an die Angehörigen zu bezahlen.

    Abendessen im Dorf Tulgali. Yunus und Ibrahim stärken sich vor dem gefährlichen Ritt hinüber auf die andere Seite. Auch der 17-jährige Yunus ist schon Vater eines kleinen Jungen. Er würde lieber in einer Fabrik arbeiten. Doch als Kurde findet er im wohlhabenden Westen der Türkei schwer Arbeit. Seine Tante Feleknaz fürchtet sich jedes Mal davor, dass die Männer von ihren nächtlichen Ausflügen nicht wieder zurückkehren:

    "Ich will natürlich nicht, dass sie rüber gehen. Aber uns bleibt nicht anderes übrig. Wenn sie nachts unterwegs sind, liege ich wach und frage mich, ob sie auch dieses Mal lebend zurückkommen werden."

    Der Preis, den das kleine Dorf für den Schmuggel bislang zahlen musste, ist hoch: Elf Tote, 40 Verletzte und 50 tote Pferde sind es bis heute. Dennoch machen die beiden Männer bei Einbruch der Dunkelheit wieder ihre Pferde bereit. Im Grenzdorf auf der iranischen Seite soll neuer Diesel angekommen sein.

    Dann geht es los. Auf ausgemergelten Pferden, bei zehn Grad minus und im Visier der iranischen Soldaten. Eine Stunde hin- und zurück. Wenn sie auch dieses Mal heil durchkommen.