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"Die Digitalisierung der Briefe ist wichtig"

Die Digitalisierung von Dokumenten ist für Elke Richter vom Goethe-Schiller-Archiv der Klassikstiftung in Weimar eine wichtige Begleitmaßnahme für die gedruckte Ausgabe. Man könne so die Qualität der Handschreiben sehen.

Elke Richter im Gespräch mit Berthold Schossig | 14.12.2010
    Rainer Berthold Schossig: Das Goethe-Schiller-Archiv der Klassikstiftung Weimar arbeitet seit Jahren an einer Neuedition der Goethe-Briefe. In gedruckter Form sind zwar erst wenige Bände erschienen, aber es gibt nun, leicht im Internet zu finden, ein Repertorium der Briefe Johann Wolfgang Goethes. Dieses Repertorium ist eine Vorarbeit für die wissenschaftliche Gesamtausgabe der Goethe-Briefe in einer neuen historisch-kritischen Edition und seit wenigen Tagen ist bereits der digitale Zugriff auf einen großen Korpus der Weimarer Goethe-Briefe möglich, nämlich der an Charlotte von Stein. – Frage an Elke Richter, Germanistin in Weimar und Herausgeberin der Goethe-Briefe: Das ist ein relativ großer Briefkontinent. Beim Durchwandern beziehungsweise Blättern oder Klicken der Dokumente könnte man schätzen, es sind über tausend Stück?

    Elke Richter: Ja. Es sind insgesamt etwa 1.700 Briefe Goethes an Charlotte von Stein überliefert.

    Schossig: Das Schöne an diesen digitalisierten Reproduktionen ist ja, dass man die kalligraphische Qualität der Handschreiben und auch die archivalische Akkuratesse sehen kann, mit der diese Blätter gesammelt wurden.

    Richter: Ja, das ist die Besonderheit dieser Briefe. Das sieht man auch in der Digitalisierung, dass die eingeklebt worden sind in Foliobände - insgesamt gibt es sieben davon -, allerdings schon im 19. Jahrhundert. Wir würden das heute in einem modernen Archiv natürlich nicht mehr tun, die auf Trägerpapier aufzubringen, aber so ist jetzt die historische Überlieferung und deshalb wird das bei uns erst mal so beibehalten. Und die Möglichkeit für den Benutzer ist eben jetzt gegeben, direkt über das Internet sich die Handschriften anzuschauen – digital.

    Schossig: Was man da sieht, das ist zum Beispiel, dass manche der Blätter wunderschöne Girlanden haben, also Schmuckformen, die ja dann in einer Printausgabe in Umschrift nicht mehr zu sehen sind. Insofern ist es schon was besonderes, was man da sieht?

    Richter: Ja. Das ist bei Briefausgaben besonders wichtig, weil auch die Materialität der Briefe schon Zeichencharakter besitzt, wenn man so will, weil der Adressat hat die Briefe in dieser Form vor sich gesehen und er hat zum Beispiel dann wahrgenommen, dass es ein Blättchen mit einer Zierborde war, oder dass es ein abgerissenes Stück Papier war. All das, was natürlich in einer gedruckten Ausgabe untergehen muss, was nur beschrieben werden kann, aber was man nicht zeigen kann, und deshalb ist die Digitalisierung der Briefe wichtig als eine Begleitmaßnahme für die gedruckte Ausgabe.

    Schossig: Ist das berühmte Gedicht Goethes an Frau von Stein, das mit den dunklen Worten beginnt, "Warum gabst du uns die tiefen Blicke", auch in der Digitalisation mit vertreten?

    Richter: Ja. Das ist eines wirklich der berühmtesten Beispiele von Gedichtbriefen, die Goethe an Frau von Stein geschickt hat, ein sehr persönlicher Text ist das auch, und er ist bei uns zu finden unter dem 14. April 1776. Er hat auch eine Nummer, Wenn man über die Weimarer Ausgabenummer 00436B+ sich suchen will, dann wird man direkt auf dieses Digitalisat stoßen.

    Schossig: Könnte es denn sein, dass wir nun mit den digitalisierten Bildern der Briefe einen neuen Blick auch auf die tiefen Blicke Goethes bekommen könnten?

    Richter: Das glaube ich doch schon, weil man, wie Sie schon sagten, einen ganz anderen Eindruck auch bekommt von der Materialität dieser Briefe, weil man die ungeheuere Vielfalt und Masse auch der Texte schon vor Augen hat, wenn man sich die Mühe macht, da ein bisschen drin rumzublättern und zu klicken. Auch die Schrift Goethes lässt viel erkennen von seiner inneren Verfassung. Es gibt Briefe, die sind wunderschön gleichmäßig, fast kalligraphisch geschrieben. Andere merkt man, er war innerlich erregt und der Brief ist dann flüchtig geschrieben, schwer zu lesen. Das sind alles Dinge, wo man die Möglichkeit jetzt erst hat, indem man sich die Digitalisate der Handschriften anschauen kann.

    Schossig: Es gehört ja seit Anfang der 60er-Jahre schon zu den langfristigen Vorhaben des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, die Briefe zu edieren. Etliche Bände sind erschienen. Welche Rolle spielt jetzt dabei für dieses Projekt die digitale Version?

    Richter: Das spielt eine zunehmend größere Rolle, nicht nur, weil es einfach die Möglichkeiten gibt und weil natürlich damit auch der Bedarf oder die Nachfrage nach solchen Angeboten immer mehr zunimmt, sondern weil man auch in den letzten Jahren in der theoretischen Diskussion über Briefeditionen immer mehr zur Erkenntnis gekommen ist, dass die Materialität der Briefe als Dokumente, als persönliche Dokumente eine ganz wichtige Rolle spielt und das irgendwie in den Ausgaben mitgeteilt werden muss. Da bietet sich geradezu dieses Medium an. Man kommt, glaube ich, bei modernen Briefausgaben um eine Digitalisierung gar nicht mehr drum herum.

    Schossig: So weit Elke Richter vom Goethe-Schiller-Archiv der Klassikstiftung Weimar über die digitalisierte Edition sämtlicher Briefe Johann Wolfgang Goethes, zu finden über das Stichwort Goethe Briefrepertorium. Und wenn sie dort die Nummer 00436B+ anklicken, dann können sie wirklich "Warum gabst du uns die tiefen Blicke" im digitalen Faksimile lesen.