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Die Ehe als Schlachtfeld

Maeve Brennan erzählt in "Mr. und Mrs. Derdon", wie sich ein Ehepaar in einem ruhigen Dubliner Vorort das Leben zur Hölle macht. Die Ehe ist bei Brennan eine Institution, die auf einer falschen Annahme beruht. Sie ist das Schlachtfeld. Der Kampf, den Maeve Brennan zeigt, ist der des Menschen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.

Von Liane Dirks | 22.06.2006
    "Rose stand herum und wartete darauf, dass der Tanz, ein Walzer, zu Ende ging. Es war ihr unangenehm so ganz ohne Partner dazustehen." "Eine freie Wahl" titelt das erste Kapitel im Beziehungsdrama von Mr. und Mrs. Derdon und der erste Satz macht klar, dass hier gar nichts frei ist, nichts und niemand. Denn wer von Anfang an wartet, dass etwas so schönes wie ein Tanz zu Ende geht, und wer das einfachste der Welt nicht gut kann, nämlich alleine in der Gegend herum zu stehen, der ist weder frei noch glücklich. Wer nicht glücklich ist, wartet darauf, dass etwas oder jemand ihn glücklich macht. Die Institution, die auf dieser Fehlannahme aufbaut, nennt man Ehe, sie wird oft mit Liebe verwechselt, aber Liebe ist etwas ganz anderes. Nicht nur Rose weiß das, weshalb sie auch eine so große und niemals endende Sehnsucht danach hat, auch ihr Verehrer Hubert Derdon wünscht sich von einem anderen Menschen erkannt zu werden, mehr noch: Erlöst möchte er werden. Und als er Rose beim Empfang des reichen Kaufhausbesitzers, den dieser für seine Angestellten gibt, oben auf dem Treppenabsatz stehen sieht in ihrem blauen, selbst genähten Ballkleid, da weiß er: Sie ist es: "... das Licht, das ihn bestimmen und auf Dauer umhüllen würde." "Ich habe Angst vor der Treppe", sagt sie und in der nächsten Geschichte erfährt man, dass sie durchaus recht hatte. Denn nun steht Hubert Derdon, als Gemahl, jeden Freitag an der Treppe und hält ihr wortlos das abgezählte Haushaltsgeld hin, und wenn er mal keine Lust dazu hat, dann macht er es eben nicht.

    Maeve Brennan erzählt uns, wie sich ein Ehepaar in einem ruhigen Dubliner Vorort das Leben zur Hölle macht, und dass es so kommt, weiß man von der ersten Seite an, und dass es so nicht sein soll, spürt man von der ersten Seite an. Hubert wird sich an seinem Arbeitsalltag festhalten, Rose an ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, in ihrem Sohn John will sie sich einen besseren Mann erziehen, einen, der Verständnis hat, einen, der immer zu ihr hält, der sie nie verlässt. Dem Sohn bleibt kein Ausweg als die Flucht ins Priesteramt, er verschwindet in der "größten Gletscherspalte des irischen Familienlebens", wie Brennan bissig formuliert. Rose bleibt nur die Phantasie dem Sohn als Haushälterin zu folgen, wogegen dieser sich freilich aufs heftigste wehrt.

    Vom ersten Kennenlernen bis zu Roses Tod begleiten wir die Derdons, "von ferne hatte sie geleuchtet, doch in der Nähe hatte sie aufgehört zu leuchten", resümiert Hubert Derdon am Schluss. Ist das alles? Bei weitem nicht. Nicht nur Hubert Derdon wühlt nun die Leere hinter der Tür auf, in dem Raum, in dem einmal ein Mensch gelebt hat.

    Er weiß nämlich, dass dieser Raum gar nicht leer sein müsste, doch Hubert kann nicht durchdringen, zu dem, was ihn füllen würde und Rose konnte es auch nicht. "Manchmal kommt es Hubert vor", schreibt Brennan, "als trenne ihn lediglich eine Luftspiegelung und sonst gar nichts von jenem Ort, an dem er wüsste, wie er sein Leben zu führen hätte: in Übereinstimmung mit dessen wohlverstandenem Sinn."

    Es geht in diesen Geschichten nur vordergründig um die Ehe. Sie ist nur das Schlachtfeld. Der Kampf, den Maeve Brennan zeigt, ist der des Menschen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Dieser "Sinn", wenn es ihn denn gibt, wäre die Liebe. Aber vielleicht gibt es ihn gar nicht, vielleicht ist alles leer. Aber man kann doch nicht "... irgendeinen Fremden anhalten und sagen: Ich begreife nichts. So handelten nur Verrückte", lässt Brennan ihren Protagonisten denken. Nicht nur Verzweiflung löst diese Erkenntnis aus, sondern auch Wut, eine ungeheure Wut. Eine Wut, die das ganze Buch durchzieht, sie ist so groß, dass man sie kaum bändigen kann. Hubert lässt sie an Rose aus und Rose an Hubert, und die Autorin lässt uns einfach damit zurück. Sie hat nämlich keine Lösung. Verletzt, wach, ungeheuer genau und bebend vor Liebessehnsucht schreibt Brennan, zieht die Armseligkeiten unserer Verblendungen uns unter den Füßen weg, auf dass wir ihn sehen können, den Boden, der zugleich ein Abgrund ist. Da hilft nur noch sich selbst zu trösten. Hätte Rose das gekonnt, sich selber trösten, wer weiß, ihre Ehe mit Hubert wäre vielleicht gut gegangen.

    Maeve Brennan: "Mr. und Mrs. Derdon" - Geschichten einer Ehe, aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser, Steidl Verlag, 185 Seiten, 16,00 Euro