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Die Eigenheiten der kanarischen Inseln

So mancher flieht vor dem Weihnachtsrummel und der Kälte auf die milden kanarischen Inseln. Jede der sieben Inseln hat eine Eigenheit, wie zum Beispiel der Schwarz-Weiß-Kontrast La Gomerras. Eine Reise mit dem Fährschiff von Vulkaninseln zu Vulkaninsel.

Von Stefan May | 23.12.2012
    Kein Pfannkuchen im heißen Fett, keine in den Stromkreis geratene Ratte, nein: Parkwächter des Naturparks Timanfaya haben als Showeffekt Wasser in ein Rohr im Boden geschüttet, und augenblicklich schießt heißer Wasserdampf empor. Das charakteristische Geräusch für Lanzarote: Denn auf dieser Insel ist der vulkanische Untergrund allerorts bemerkbar. Schwarzes Lavagestein, porös wie ein Badeschwamm, dominiert die Landschaft. Und hier oben, in einer Mondlandschaft aus Vulkankegeln wird es spürbar warm unter den Fußsohlen. Im Restaurant nebenan wird sogar über einem dieser Löcher im Boden, den Ventilen von Mutter Erde, gegrillt.
    Ein Bus fährt die Touristen durch die stumme Mondlandschaft, die an einen Tagebau erinnert:

    "Lanzarote – eine Insel vulkanischen Ursprungs, mit einer Gesamtoberfläche von 817 Quadratkilometern."

    Die jüngsten Zeugnisse stammen vom Ausbruch von 1730. Es ist eine Zone intensiver Ausströmungen, der Naturpark mit den Feuerbergen. Die Mitreisenden recken sich aus den Sitzen, fotografieren kantige Formationen mit schlierigen Mustern, schwefeligen Farben und schwarzen Kies, der über wie glatt gerechte Dünen abfällt, aufgebrochene Felsplatten, die geborstenen Betondecken ähneln.

    Es geht auf 18 Uhr, mir steht ein kilometerlanger Rückweg bevor, denn die Linienbusse der Insel meiden Touristenmagnete. Als es dämmert, hält ein Wagen neben dem Wanderer. Der Feriengast aus Hamburg am Steuer nimmt mich mit ins nächste Dorf, Yaiza, das schon mehrmals zum schönsten Dorf Spaniens gekürt wurde.

    In den Palmen und Büschen der Gärten machen die Vögel zum letzten Mal am Tag Lärm. Schneeweiß sind die kleinen Häuschen und die steinernen Einfassungen der Beete. Und auf dem Kirchenplatz ist eine riesige Modelllandschaft mit Krippe in der Mitte aufgebaut: Yaiza in Miniatur.

    Lanzarote ist ein Schwarz-Weiß-Film: Schwarz ist die Erde, weiß sind die stockwerklosen Häuser. Letzteres ist ein Verdienst des Künstlers und Architekten César Manrique, einem Sohn der Insel, der ihr im vorigen Jahrhundert seine Handschrift aufgedrückt und sie vor Bausünden anderer Touristenorte bewahrt hat.

    So wie die Jameos de Agua, eine Höhle am Meer, die er ausgebaut hat. Eine Stiege führt hinab in die tunnelartige Grotte, in deren Mitte still ein See ruht. Blinde Krebse sind nur als weiße Punkte im Wasser wahrzunehmen. Am Rand führt ein Steig zum gegenüberliegenden Aufgang, wo Bars in den Fels gehauen sind. Ein Stück oberhalb hat Manrique einen künstlichen Pool in Weiß und Himmelblau angelegt, samt Palme, eine Persiflage auf die Gaukeleien der Tourismusprospekte.

    Ein paar Kilometer weiter, an der Nordspitze der Insel, liegt Órzola. Zur vorgelagerten Isla Graciosa legen Katamarane ab. Die Wellen des Atlantik lassen das Boot auf und nieder tanzen. Graciosa hat keine befestigten Straßen, was dem Hauptort das Aussehen einer unfertigen Wildwestsiedlung verleiht. Sanft steigen dahinter Kraterberge an. Von ihrem Rand lässt sich in die verwachsenen Kessel blicken oder gefahrlos dorthin absteigen. Myriaden daumennagelgroßer Schneckenhäuser sind über das Inselchen verstreut und knirschen und krachen unter den Schritten. Auf der Rückfahrt stehen einige Kisten mit frisch gefangenem Fisch im Bug, gestampftes Eis darüber gestreut.

    Der nächste Tag bringt die erste Begegnung mit Naviera Armas, jener Reederei, die alle sieben kanarischen Inseln mit großen Fährschiffen verbindet. Sie sind weiß und rot gestrichen und tragen Namen von Vulkanen auf den Kanaren. Im Hafen von Playa Blanca wartet die "Volcán de Tindaya" aufs Ablegen. Nach nur 25 Minuten kommt sie in Coralejo auf der nächsten Insel an.

    Das charakteristische Geräusch für Fuerteventura machen die Atlashörnchen, die wie gestreifte Eichhörnchen aussehen. Flink und kaum scheu wuseln sie zwischen ihren Wohnlöchern im Boden der kaum bewachsenen Bergrücken dahin. Anders als Lanzarote ist Fuerteventura nicht vom Schwarz der Vulkanerde geprägt, es überwiegen Brauntöne, Ocker, Erdfarben. Fahl und kahl wirkt das Land, gefurcht und nur dünn besiedelt. Viele haben die Heimat verlassen und sind nach Südamerika gegangen. Fuerteventura erschließt sich erst auf den zweiten Blick, etwa das Städtchen Betancuria, das als grün-weißer Klecks wie eine Oase zwischen erloschen Vulkankegeln liegt.

    Im Hafen von Gran Tarajal liegt die "Volcán de Tejeda". LKW manövrieren in den Bauch des Schiffs, zwei, drei Stockwerke darüber lassen sich die Fahrer, erkennbar an ihren knalligen Signalwesten, in Plastiksitze an der Bar fallen, beginnen mit dem Kartenspiel oder mit dem Essen aus mitgebrachten Näpfen.

    Jede Ecke des Schiffs wird mit amerikanischen Weihnachtsliedern beschallt. In den Flugzeugsitzen der Salons ist es sonst aber ruhig, weil im Umkreis von fünf Stühlen kein Nachbar sitzt. Außer Berufsfahrern nimmt kaum jemand diese Route. Fünf Stunden später legen wir in Las Palmas, der Hauptstadt von Gran Canaria an.

    Das Tuten der Schiffe ist das Merkmal von Gran Canaria, der wohl geschäftigsten Insel der Kanaren. Zwischen den Anlegestellen der Fähren pendeln Shuttlebusse durch den ausgedehnten Hafen. Von der Stadt mit ihrer wuchtigen Kathedrale, der Casa Colón, dem Haus, das an den Aufenthalt von Columbus vor seiner Entdeckungsfahrt nach Amerika erinnert und den beiden Stadtstränden, führt eine stark befahrene Autobahn in den Süden der fast kreisrunden Insel. Im Unterschied zu den beiden vorigen Inseln ist Gran Canaria von einem dichten Linienbussystem überzogen. Man gelangt leicht ins berühmte Ferienparadies Maspalomas mit den fast abgezirkelt sich hinter dem Strand aufwölbenden Dünen, zum verschwiegenen Hafen von Mogan oder ins bergige Landesinnere, über eng gewundene Straßen im Fels entlang der Küste.

    Es ist Abend. Zwischen Containern und Takelagen erhebt sich mächtig in Rot-Weiß die "Volcán de Tijarate", ein mehrstöckiges Fährschiff mit sogar einem Swimming Pool auf dem obersten Deck. Das Schiff ist weihnachtlich geschmückt, "Feliz Fiestas" steht hier ebenso geschrieben wie an den Autobussen oder über den Hauptstraßen eines jeden Ortes der Kanarischen Inseln. Die Fenster der Fähre verhängen Netze mit Leuchtdioden. Und wenn nicht gerade "Christmas in New Orleans" aus dem Lautsprecher wimmert, dann wirken amerikanische Spielfilme auf die Fährgäste ein. Zweieinhalb Stunden dauert die Überfahrt.

    Es ist ein exotischer Anblick: Man befindet sich geografisch auf einer Insel vor Afrika, mitten im Atlantik, und unter Palmen fährt eine hochmoderne Straßenbahn durch die Hauptstadt Santa Cruz de Teneriffa. Scheinbar mühelos schwingt sie sich zwischen den alten Häusern den Berghang empor bis zur 500 Meter höher gelegenen Endstation im Nachbarort La Laguna. Seit ein paar Jahren gibt es sie, Wireless LAN hat sie obendrein an Bord. Außerdem ist für viel Geld eine Metro Teneriffe geplant, eine Schnellbahn, die in einigen Jahren fast die gesamte Insel umrunden soll.

    La Laguna ist eine ehrwürdige alte Rasterstadt: Über den Straßen hängen Weihnachtskugeln, in den Innenhöfen sind Krippen aufgebaut. Wer mit dem Auto von hier stets am Bergkamm entlang durch duftenden Kiefernwald weiterfährt, gelangt bald zu Spaniens höchstem Berg, dem Teide. Mit einer Tarnkappe aus Schnee ist seine Spitze, die Gleichmäßigkeit eines Vulkanbergs darstellend, erst gar nicht so leicht von den Wolken zu unterscheiden. Doch die Seilbahn zum Gipfel steht still. Zuviel Wind und Schnee, sagt ein Arbeiter an der Talstation. Ein gutes Stück weiter krallen sich die Häuser des ehemaligen Piratennests Masca an Felsnasen und -vorsprünge.

    Die Rückfahrt der Inselumrundung führt durch den Naturpark von Anaga an der Nordspitze. Ein Märchenwald hüllt die Straße ein, Nebel senkt sich, zwischen dem dichten Gehölz steht die Luft grau wie dichter Rauch. Je tiefer die Straße führt, umso wärmer wird es, Teneriffa, die Insel der bis zu zehn Temperaturzonen. Just am tiefsten Punkt, am Hafen von Santa Cruz, steht ein Eislaufzelt. Und da wartet auch schon die "Volcan de Taburiente", mit einem hohen aufgeputzten Weihnachtsbaum im Heck, bereit für die nächste Überfahrt.

    Auf dieser Überfahrt wird nicht nur auf Spanisch, Englisch und Deutsch angesagt, sondern auch so: Die Pfeifsprache, el Silbo, ist das Charakteristikum der Insel Gomera. Über die zerklüfteten Täler hinweg konnten sich so die Bewohner früher miteinander verständigen. Doch es ist nicht so leicht, jemanden aufzutreiben, der diese Sprache vorführen kann, auch, wenn sie in den Schulen ab dem fünften Lebensjahr gelehrt wird.

    Ich nehme den Bus vom Hafenort San Sebastián in die Berge. In Agulo ist alles recht sauber, aber mäuschenstill. Ein Ortsteil erhält bis Februar kein direktes Sonnenlicht. In der Schule stecken die Kinder in Weihnachtsvorbereitungen und basteln. Um Schüler beim Pfeifen aufzunehmen, bedürfe es einer Genehmigung, heißt es. Ein paar ältere Männer, die am Straßenrand sitzen, beherrschen die originelle Sprache nicht. Im Restaurant ist der Pfeifer heute nicht da. Ich nehme den nächsten Bus. In einem Ausflugsgasthaus an der Straße werde ich fündig: Luis, der Wirt, pfeift vor, was man als Wirt so zu sagen hat:

    "Pfiff - Buenos dias - Pfiff - vino tinto - Pfiff - vino blanco - Pfiffe - Hasta la vista."

    Es funktioniere ganz einfach, sagt Luis, das Gesprochene werde einfach gepfiffen. Seit 20 Jahren macht er das schon. Zur Verständigung dient die Sprache heute nicht mehr. Nur für Vorführungen oder Wettbewerbe oder anderes, aber um sich zu behelfen – nein.

    Nicht weit von hier beginnt, geografisch in der Mitte der Insel Gomera liegend, der Nationalpark: Erst kommt man noch an bizarren Felsformen aus gezacktem Gestein vorbei, wo Bauern den Steilstücken und Abbrüchen winzige Flächen für den Anbau abgetrotzt und später sie aufgegeben haben oder ausgewandert sind. Überwucherte Mauern, verblasste Tür- und Fensterrahmen. Dahinter aber beginnt dichtes Grün, aus dem Nebel nieselt es bisweilen auf den Forstweg, der auf dem Gipfel endet, wo Ureinwohner Steinkreise gelegt haben.

    Das Fährschiff spätabends hat diesmal mehr als eine Stunde Verspätung, doch niemand im Hafen wird nervös. Als es dann eintrifft, sein Maul ausklappt, um die Fahrzeuge aus seinem Bauch zu entlassen und die Passagiere die Treppe heruntersteigen, kommt Geschäftigkeit auf: Viele Bewohner von Nachbarinseln fahren über die Feiertage zum Verwandtenbesuch, selbst mit vierbeinigem Gefährten im Tragekäfig - Familienzusammenführung an der Hafenkante.

    Das Schiff selbst ist gut besetzt, doch heute ist die See rau. Mancher Passagier holt sich eine der überall aushängenden Tüten für den Fall von Seekrankheit. Unruhiges Meer, das kann vorkommen, sagt der dritte Offizier der "Volcán de Taburiente", Luis Gonzalez Reico. Er stammt aus Teneriffa und arbeitet seit einem Jahr für Naviera Armas. Reico steht auf der Kommandobrücke, der Schaltzentrale des Schiffs, einem fast völlig dunklen Raum, wo er und seine Kollegen stumm auf Bildschirme und Radarzeichen starren. Sein Beruf war schon ein wenig auch sein Jungentraum, gibt er zu. Die felsige Bucht von San Sebastián de la Gomera, die wir gerade verlassen haben, macht ihm beim Navigieren nicht zu schaffen, versichert er, im Gegenteil:

    "Nein, wenn man einmal drinnen ist im Hafen, ist es sehr sicher. Er ist geschützt vor dem Wetter. Es kann ein wenig Wind aus der Schlucht kommen, aber der hilft beim Anlegen. In Los Cristianos auf Teneriffa macht er hingegen vom Meer her Schwierigkeiten. Los Cristianos ist sehr stark vom Meer beeinflusst."

    34 Personen ist die Besatzung stark auf dem Schiff. Hochsaison sind die Tage im August und um Weihnachten. Keine Spur, dass das Schiff auch von alleine fahren könnte.

    "Nein, noch nicht. Man hat es zum automatischen Navigieren eingerichtet, aber man muss es korrigieren können. Aber das Schiff versteht das Meer nicht. Es kennt den Standort. Noch braucht es einen Offizier und einen Überwachung durch einen Seemann, damit nichts passiert."

    La Palma ist die Insel der Schluchten, in denen die Bäche glucksen, rauschen und plätschern. Der Linienbus benötigt fast einen Tag, um die Insel zu umrunden, indem er all die tief eingeschnittenen Täler ausfährt. Am Heiligen Abend fahre ich mit ihm ein paar Dörfer weit außerhalb der Hauptstadt Santa Cruz und spaziere vermeintlich einsam durch eine der Schluchten. An ihrem Ende stoße ich an einer Aussichtsplattform auf eine Truppe deutschsprachiger Wanderer mit Stock und Hut.

    Beim Abstieg begegnet mir zwischen den Gehöften ein junges Paar. Es wünscht frohe Weihnachten, er drückt mir einen Weihnachtsmann als Baumanhänger in die Hand. Und zeigt einen Zettel: Habe einen Sohn, keine Arbeit, steht darauf. Vielleicht als Belohnung, am Heiligen Abend nicht hartherzig weitergegangen zu sein, erreiche ich an der Küstenstraße den schon versäumt geglaubten Bus zur weiteren Inselumrundung.

    Eine Handvoll Passagiere fährt mit, meist mit Körben oder Beuteln voll Geschenke, auch eine schrullige Alte ist dabei, die in einem fort redet, doch niemand hört ihr zu. An weiten Bananenplantagen vorbei geht es wieder zurück nach Santa Cruz.

    Obwohl Heiliger Abend ist, sind die Straßen belebt, letzte Einkäufe werden gemacht, aus den Läden klingt Musik. Waren die Restaurants an den Vortagen durch diverse Betriebsweihnachtsfeiern gefüllt, so sind sie es heute ebenfalls. Und man hat nicht den Eindruck, dass es die Einsamen sind, die sich an diesem Tag im Wirtshaus treffen.

    Am Christtag weckt die über dem Meer aufgehende Sonne, die ins Hotelzimmer strahlt. Am Horizont zeichnet sich Teneriffa ab, mit der Schneemütze des Teide in der Mitte. Zeit, die Reise fortzusetzen. Doch im Hafen bekundet die Dame am Schalter, dass wegen der Feiertage das wöchentliche Schiff nach El Hierro heute nicht fahre. Erst wieder am 9. Januar. Hier endet der ausgetüftelte Reiseplan, mit dem Schiff geschickt alle kanarischen Inseln innerhalb von etwas mehr als einer Woche zu besuchen. Ich nehme eilig den Bus zum nahen Flughafen, wo heftig Betrieb herrscht. Zwar fliegt heute noch eine Maschine nach El Hierro, doch die ist ausgebucht, wird mir dort beschieden. Ebenso die morgen. Mir bleibt nur, mich ins Taxi zu schwingen und zehn Minuten vor Abfahrt des letzten Schiffes des Tages den Hafen zu erreichen. Ich werde El Hierro, die kleinste Insel der Kanaren, nicht kennenlernen. Stattdessen hänge ich zwei ungeplante Strandtage in Los Cristianos auf Teneriffa an.

    Schon flackern am Horizont die Weihnachtslichter, als hätte ganz Los Cristianos Wackelkontakt. Und als aus den Lautsprechern des Schiffes auch noch "Stille Nacht" erklingt, wird man in der für diese Tage ungewohnten Umgebung doch berührt. Natürlich wird mich daheim die Frage erwarten: Und welche Insel hat dir am Besten gefallen? Schwer zu sagen. Man müsste nochmals hierherkommen. Schon allein wegen El Hierro.