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Die eigentliche Arbeit kommt noch

Viele neue Abgeordnete, die zum ersten Mal nach Berlin gewählt wurden, müssen sich noch orientieren. Sie suchen Wohnungen, Büros und ihren Platz in den Fraktionen. Zwei der Neulinge sind der SPD-Politiker Michael Thews und die CSU-Politikerin Katrin Albsteiger.

Von Katharina Hamberger | 22.10.2013
    "Wir sind einfach zu viele", schreit der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer und versucht, sich mit den 56 Mitgliedern der CSU-Landesgruppe auf die breite Treppe in der bayerischen Landesvertretung zu quetschen.

    "Das müssen wir in zwei Etappen machen. Wo müssen wir eigentlich hinschauen?" - "Zu mir, bitte."

    Das Ziel: Ein gemeinsames Foto nach der ersten Sitzung kurz nach der Wahl. In der Mitte der Gruppe: Katrin Albsteiger, 29 Jahre alt. Sie zählt zu den Neulingen - auch wenn sie sich nicht so fühlt - die meisten der Kollegen kennt sie ja schon.

    "Andererseits habe ich‘s mir, glaube ich, auch noch nicht so richtig bewusst gemacht. Ich denke, das kommt dann, wenn man zum ersten Mal unbegleitet auch in die Gebäude des Bundestages reingehen darf."

    Und das macht die frühere Pressesprecherin bei den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm dann auch gleich am selben Tag - die erste Unions-Fraktionssitzung steht an.

    Lange sucht die Schwäbin in den Reihen nach einem Sitzplatz.

    "Man hat sich so ein ganz kleines bisschen gefühlt, wie beim Einführungsseminar an der Uni."

    Die CSU-Politikerin sitzt auf einer der schwarzen Bänke vorm Fraktionssaal der Union - und wirkt noch aufgeregt. Sie hat jede Menge Formulare dabei. Das alles will sie sich jetzt erst mal anschauen. Allerdings nicht zu Hause. Denn: sie hat weder Wohnung, noch Büro. Dass sie noch keinen Arbeitsplatz hat, liegt unter anderem daran, dass die CSU-Landesgruppe eben so groß geworden ist, da gilt es, für alle Zusätzlichen erst noch Büros zu finden. 44 Abgeordnete waren es in der vergangenen Legislatur, jetzt sind es allein 45 Direktkandidaten und 11 zusätzliche Listenplätze. Einen von denen hat Albsteiger bekommen. Sie stand sogar ganz oben auf der sogenannten Netto-Liste. Einen Platz, den sie sich in einer Kampfabstimmung geholt hat. Ehrgeiz und Durchsetzungswillen sind ihr nicht fremd. Knapp vier Wochen später wird das ihr Leben wieder verändert haben. Sie ist nun zum dritten Mal nach der Wahl in Berlin.

    "Ich bin jetzt auch zum dritten Mal in diesem Fraktionssaal drin gewesen und habe jetzt einen Platz gefunden. Das ist schon mal schön, das fühlt sich fast ein bisschen wie Heimat an. Es ist nicht mehr ganz so ungewöhnlich, die Kanzlerin sprechen zu hören."

    Sie wirkt entspannt. Dabei ist Albsteiger erst vergangenen Freitag nicht mehr zur Wahl zur Vorsitzenden der Jungen Union Bayern angetreten. Auch auf Druck aus den eigenen Reihen - sie habe die Junge Union zu sehr für ihre eigenen Zwecke genutzt. Albsteiger sagt, sie habe die Arbeit gerne gemacht und hätte sicher auch Bundespolitik und Landesvorsitz unter einen Hut gebracht. Andererseits: Jetzt habe sie den Kopf für ihr Bundestagsmandat frei. Aber, wo wird ihr Schwerpunkt sein, als Abgeordnete?

    "Ich kann Ihnen aber verraten, was ich nicht mach‘. Bildung wird nicht der Ausschuss sein, für den ich mich beworben hab‘."

    Auf Büro- und Zimmersuche
    Sie sei zwar Bildungspolitikerin, aber auch Föderalistin und Bildungspolitik sei in den Ländern besser aufgehoben. Ein eigenes Büro hat sie immer noch nicht; nur eine Telefonnummer, einen Laptop und ein Übergangsbüro seit eineinhalb Wochen.

    "Aber drin gewesen bin ich noch nicht, weil den Schlüssel, den muss ich noch abholen."
    Das wird sie nach Konstituierung des Bundestages tun. Andere Abgeordnete haben es da schon besser erwischt.

    Wer die Tür zu Michael Thews Büro öffnet, sieht: Kisten auf Kisten. Mittendrin der SPD-Abgeordnete. Es sieht so aus, als würde er es sich in dem Büro im Paul-Löbe-Haus schon einrichten. Aber daran will er knapp einen Monat nach der Wahl noch gar nicht denken:

    "Das sind alles noch Reste von Dieter Wiefelspütz, das wird alles ausgeräumt grade, deswegen stehen hier auch die Umzugskartons. Das heißt, momentan ist von mir persönlich hier noch gar nichts im Büro."


    Schlecht fände es Thews nicht, wenn das Büro an ihn gehen würde. Er durfte zumindest von der ersten Woche an hier unterkommen. Noch gehört es aber seinem Vorgänger im Wahlkreis Hamm-Unna II: dem Innenpolitiker Wiefelspütz. Und der Bundestag ist in dieser Hinsicht kein Wunschkonzert.

    "Wir haben ja noch kein endgültiges Büro. Das heißt, heute schauen wir uns erst mal Büros an. Dann geht’s darum, dass Computer angeschlossen werden. Momentan funktioniert noch nicht alles - jetzt gerade mit den E-Mails."

    Deshalb war eine der ersten Aufgaben an diesem Tag: Einen Techniker zu bestellen, der regeln soll, dass das mit den E-Mails funktioniert. Danach geht es auf Bürosuche:

    "Ich lauf jetzt nur hinterher. Die beiden wissen, wo’s hingeht. Ich hab keine Ahnung. Nein, ich hab mir das schon angeschaut, wo das auf dem Plan ist, aber ich hätte trotzdem Probleme, es zu finden."

    Auf dem Weg vom Paul-Löbe- in das Jakob-Kaiser-Haus, ebenfalls ein Abgeordnetenhaus, mahnt Thews Mitarbeiterin, die er ebenfalls von Wiefelspütz übernehmen konnte:

    "Michael, würdest du dich noch eintragen."

    Thews setzt seine Unterschrift auf die Anwesenheitsliste. Das hat er morgens vergessen. Mit 49 Jahren liegt er genau im Durchschnitt in der SPD-Fraktion. Im Gegensatz zu Albsteiger. Sie gehört mit ihren 29 Jahren zu den jüngsten Abgeordneten. Seit zehn Jahren ist sie parteipolitisch aktiv, Thews seit 15.

    Der Reichstag in Berlin
    Der Reichstag in Berlin (picture alliance / dpa)
    Zum ersten Mal auf den kornblumenblauen Stühlen im Plenarsaal
    Der Sozialdemokrat läuft mit seiner Lebensgefährtin seinen beiden Mitarbeiterinnen hinterher durchs Jakob-Kaiser-Haus. Ziel: Die früheren Räume der FDP-Fraktion. An vielen Türen sind schon gar keine Schilder mehr. Ein Bundestagsmitarbeiter schließt mehrere Büros nacheinander auf. Der Chemieingenieur und die drei Frauen inspizieren jedes einzelne. Es geht um Größe der Zimmer, Licht, Lärm von draußen, Wegstrecke zum Plenarsaal:

    "Das sind schon schöne Büros."

    Chemiker Thews hat eine ganz genaue Vorstellung, was seine Schwerpunkte sein sollen:

    "Mit dem Thema Energie, Umwelt war ich unterwegs im Wahlkreis. Also, alle wissen, dass ich in diesem Bereich auch gerne weiterarbeiten möchte und das Thema Arbeit interessiert mich natürlich."

    Und das wird er mit viel Ehrgeiz verfolgen. Wenn er Ideen habe, wolle er sie auch durchsetzen und sei dann auch gerne vorne mit dabei. Das verbindet ihn mit Albsteiger. Auch, dass die beiden wohl demnächst einer Koalition angehören werden. Und heute werden sowohl der SPD-Mann als auch die CSU-Frau zum ersten Mal unter der Glaskuppel auf den kornblumenblauen Stühlen im Plenarsaal Platz nehmen.

    "Der Zeitpunkt, wo man so richtig Abgeordnete wird."

    Sagt Albsteiger. Für beide heißt das aber noch nicht, dass sie sofort loslegen können. Thews fasst es so zusammen:

    "Es ist einfach jetzt momentan so ‘ne Zeit, wo man dazwischen hängt. Das heißt, Büro aussuchen, einrichten, Computer, das sind alles jetzt so Dinge, die im Vordergrund stehen und die eigentliche Arbeit, die kommt ja noch."