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Die El Kaida Connection

Erst vor wenigen Wochen steuerte in Nigeria ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Auto ins UNO-Hauptquartier in Abuja. Zu dem Anschlag bekannte sich die islamistische Sekte Boko Haram. Sie soll enge Verbindungen zum Terrornetzwerk El Kaida haben.

Von Alexander Göbel | 10.09.2011
    Freitag, 26. August, 11 Uhr Ortszeit: Ein Autofahrer durchbricht mit seinem Honda die Sicherheitsschleusen der UN-Zentrale von Abuja, der mit Sprengstoff präparierte Wagen rammt den Eingangsbereich des Gebäudes und explodiert. Ein Augenzeuge:

    "Ich war zu Hause, als meine Kollegin mich angerufen hat. Ich bin dann sofort zum UN-Gebäude gerannt. Ich habe viele Leichen gesehen, mit abgerissenen Gliedmaßen und offenen Körpern. Es sieht wirklich aus wie ein Schlachtfeld."

    Zu dem Attentat mit 23 Toten und vielen Verletzten bekennt sich die islamistische Sekte Boko Haram. Kahalifa Makthoub, mutmaßlicher Sprecher der Gruppe, informiert noch am selben Abend einen nigerianischen Reporter. Der Angriff, so Makhtoub, sei "dank der Weisheit Allahs mit absoluter Präzision durchgeführt" worden.

    "Dies war nur der Anfang, weitere Aktionen werden folgen. Wir lehnen die Vereinten Nationen ab. Ihr Frieden ist nicht unser Frieden. Und wir weisen zurück, dass unschuldige Menschen sterben mussten. Wir haben alle davor gewarnt, sich mit den fremden Mächten einzulassen. Außerdem tötet der nigerianische Staat unsere Mitglieder – dies war unsere Rache."

    Bisher waren die radikalen Islamisten von Boko Haram vor allem dafür bekannt, dass sie in Nigeria das islamische Recht der Scharia einführen wollen und westliche Bildung als Sünde ablehnen. Doch längst sprengt Boko Haram nicht mehr nur Biergärten in die Luft, sondern verübt Selbstmordanschläge auf staatliche Einrichtungen, so wie im Juni auf das Polizeihauptquartier in Abuja. Mit dem Attentat auf das UN-Gebäude hat Boko Haram nun zum ersten Mal ein internationales Ziel angegriffen. Nigeria habe seinen 11. September erlebt, hieß es danach in nigerianischen Medien. Ein Vergleich, der nicht weit hergeholt ist. Schon lange wird darüber spekuliert, nun scheint klar: Boko Haram hat offenbar Kontakt zu El Kaida. Der französische Terrorexperte Mathieu Guidère:

    "Es ist eindeutig, dass es Verbindungen zwischen Boko Haram und AQIM gibt, also El Kaida im Islamischen Maghreb. Es gibt Beweise für mehrere Treffen zwischen AQIM Chef Abdelmalek Droukdal und den Anführern von Boko Haram, Droukdal hat den nigerianischen Extremisten Geld, Waffen und Ausbildung zu Terrorkämpfern zugesagt, das war im Jahr 2010."

    Damit nicht genug. Der US-amerikanischen Zeitung "Wall Street Journal" liegen Auszüge aus nigerianischen Geheimdienstakten vor. Dort heißt es, Mitglieder von Boko Haram seien schon 2007 in Terrorcamps in Afghanistan ausgebildet worden. Bereits 2002 hätten nigerianische Islamisten bei den Salafisten in Algerien und Mauretanien gelernt, wie man Bomben baut. Für Mathieu Guidère trägt der Selbstmordanschlag auf das UN-Gebäude in Abuja die gleiche Handschrift wie das Attentat auf das UN-Flüchtlingshilfswerk 2007 in Algier. Damals starben durch Autobomben mehr als 60 Menschen, das Bekennerschreiben kam von El Kaida.

    "Boko Haram ahmt El Kaida nach, um sich in Nigeria so zu positionieren, wie es die radikalen Salafisten der GSPC in Algerien seinerzeit getan haben, sozusagen die Vorgänger von El Kaida im Islamischen Maghreb. Es gibt viele Parallelen, in der Kommunikation, in der Art, Anschläge auszuführen. Die Methoden von Boko Haram erinnern immer stärker an die von El Kaida."

    Nigerias Regierung stellt Boko Haram zwar immer noch als lokale Rebellengruppe dar. Die Bewegung nennt sich allerdings auch "Sunnitische Bruderschaft in Ausführung des Heiligen Krieges" – was die wahren Ziele der Dschihadisten deutlich macht. Boko Haram habe es leicht, junge Fanatiker zu rekrutieren, so Harouna Yerima, Professor aus der Sektenhochburg Maiduguri. Für ihn ist das Phänomen Boko Haram auch ein Offenbarungseid der Politiker. Weil die seiner Meinung nach nicht dafür sorgen, dass der Erdölreichtum Nigerias auch bei den Menschen ankommt.

    "Die Armut hat sich tief in die Gesellschaft hineingefressen. Viele Menschen haben keine Arbeit, können weder lesen, noch schreiben, und die Korruption ist einfach atemberaubend. Insgesamt ist die Lage so schlimm, dass es mich nicht wundert, dass solche Gruppen wie Boko Haram entstehen und Zulauf haben."

    Wenn es je möglich war, hat Nigerias Politik die Chance verpasst, den Terror lokal einzugrenzen. Boko Haram droht, außer Kontrolle zu geraten. Schnelle und vor allem wirksame Rezepte gegen den Terror hat Nigeria nicht. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas ist zum Ziel des globalen Terrors geworden. Und zum Hort eines Netzwerks, das auf dem gesamten afrikanischen Kontinent immer weiter wächst. Boko Haram, so Mathieu Guidère, sei mittlerweile Teil der Strategie von El Kaida. Auch mit Querverbindungen zum Terror im Osten Afrikas.

    "Das Netzwerk versucht, sich in alle Himmelsrichtungen auszubreiten. Osten, Westen, Süden, Norden. Nach El Kaida im Maghreb scheint Boko Haram nun die neue Filiale im Süden zu werden, für Nigeria und ganz Westafrika südlich der Sahara. Im Osten gibt es in der Tat Kontakte zu Somalias Terrorgruppe Al Shabaab, Boko Haram selbst hat einige Kämpfer dort ausbilden lassen - und auch das ist wenig verwunderlich, angesichts dieses Riesenchaos in Somalia."

    Der nächste Terroranschlag in Afrika ist für viele Experten nur eine Frage der Zeit. Denn nach dem Fall des Gaddafi-Regimes in Libyen ist der Kontinent nicht sicherer geworden. Libyen hat sich in einen Selbstbedienungsladen für Waffen und Munition verwandelt. Eine Gelegenheit, die sich auch das Terrornetzwerk El Kaida nicht entgehen lassen dürfte.