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Die emotionale Apokalypse eines Jugendlichen

Die Ängste und Sorgen von Teenagern aus einer ganz eigenen Perspektive schildert der junge Hamburger Autor Lucas Jüliger in seinem Comic "Vakuum". Die Perspektive ist ebenso frisch wie der grafische Stil.

Von Kai Löffler | 11.02.2013
    Zwei Toastbrote, akkurat belegt und nebeneinander aufgereiht, daneben eine leere Butterbrottüte. "Damit hatte meine Mutter aufgehört, als ich zehn war", kommentiert der Ich-Erzähler aus dem Off. Er schnürt seine Chucks, verlässt das Haus. Sein Gesicht haben wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen.

    "Also, ich würde das jetzt nicht als Versuch, meine Generation festzuhalten oder darzustellen, bezeichnen, auf gar keinen Fall. Also, das ist eine persönliche, sehr persönliche Geschichte, aber natürlich hat da irgendwie auch ein Stück weit meine Generation ihren Weg rein gefunden."

    "Vakuum", das Debüt des 24-jährigen Zeichners und Autors Lukas Jüliger, ist aufgebaut wie ein illustriertes Tagebuch. Im Mittelpunkt stehen neben dem namenlosen Ich-Erzähler eine Schulkameradin und sein bester Freund, der sich nach einer katastrophalen Drogenerfahrung mehr und mehr aus der Realität zurückzieht. Der Autor selbst beschreibt den Band als "Coming of Age- und Liebesgeschichte im Schatten der nahenden Apokalypse".

    Tatsächlich geht es um das Ende der Welt, aber die vom Autor herbeibeschworene Apokalypse ist nicht zuletzt eine emotionale: Jüliger hat sich für die Geschichte von Erinnerungen an die eigene Schulzeit inspirieren lassen und erzählt von Depression, Angst, Apathie, der Vergewaltigung einer Mitschülerin, dem Selbstmord des Täters -und vor allem Einsamkeit.

    "Es heißt nicht umsonst Vakuum. Man kann einem Menschen noch so nah sein und noch so verliebt sein. Und trotzdem, irgendwie, steckt man in seinem Körper und ist doch ein bisschen allein."

    Inspiriert hat Jüliger, neben der eigenen Biografie, vor allem die Musik von Bands wie "Tool", "Grizzley Bear" und den New Yorker Noise-Rockern "Liars". Vakuum steht weniger in der Tradition anderer Comics als der des Kinos: Die Geschichte erinnert an Richard Kellys Endzeitdrama "Donnie Darko", und ein fantastisches Element beschwört die sexuell aufgeladene Symbolik David Cronenbergs herauf: Eine rätselhafte, feuchte Körperöffnung im Fußboden, die für die verbotene Frucht stehen könnte, für erste Erfahrungen mit Sex oder Drogen. Die wahre Inspiration dafür behält Jüliger allerdings für sich. Überhaupt ist die Geschichte so persönlich, dass er sich nicht vorstellen konnte, die Arbeit zu teilen. Komplett im Alleingang hat er geschrieben, gezeichnet, getuscht und coloriert.

    "Ich wollte, dass es wirklich meine Essenz ist. Ich wollte, dass jeder Strich und jeder Farbton von mir persönlich gewählt und eingefügt ist. Ich lese mir das jetzt durch oder guck mir Seiten an und es ist wie eine Karte von meinem Kopf."

    Für diese Entscheidung hat Lukas Jüliger einen hohen Preis gezahlt: Mehr als zwei Jahre hat Jüliger, der sein Illustrationsstudium ausgesetzt hat, Tag und Nacht an Vakuum gearbeitet. Seine emotional aufgeladenen Zeichnungen in Grau- und Pastelltönen haben einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. Einen Nachfolgeband wird es aber wohl nicht so bald geben.

    "Das Medium möchte ich jetzt erst mal eine Weile hinter mir lassen, auch, wenn mein Verlag das wahrscheinlich nicht gerne hört. Aber man ist einfach in so eine Form gepresst über eine echt lange Zeit, in der man zwar auch andere Ideen hat und die auch gerne umsetzen würde, auch in einem anderen Medium, zum Beispiel Malerei und dergleichen, und es einfach nicht kann, weil dieses verdammte Ding noch nicht fertig ist."

    Dabei ist das Medium Comic für Jüliger eine perfekte Ausdrucksform. Hier und da stolpert seine Erzählung. Und sprachlich fehlt der letzte Schliff, aber in Vakuum steckt beeindruckend viel Talent und Emotion: Der Band ist ein selbstbewusstes Statement, weitab von Klischees und festgetretenen Pfaden; rätselhaft, beunruhigend, gelegentlich verstörend und vor allem einzigartig.