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Die Entstehung von Krieg

Krieg existiert erst seit Einsetzen der Jungsteinzeit: Mit sozialen Abhängigkeiten und Landbesitz gab es Gründe, andere Gruppen zu überfallen. Doch sind kriegerische Auseinandersetzungen tatsächlich urmenschliche Handlungen? Die Frage beschäftigt Kulturanthropologen der finnischen Uni Vasa.

Von Michael Stang | 25.07.2013
    Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Krieg als einen organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten beziehungsweise zwischen sozialen Gruppen. Aber wann in der Menschheitsgeschichte sind diese Konflikte erstmals aufgetreten? Diese Frage beschäftigt den US-amerikanischen Anthropologen Douglas Fry, der an der Universität im finnischen Vasa forscht, seit Langem:

    "Es hat eine ganze Fülle an Büchern und Artikeln zum Thema Ursprünge des Krieges gegeben, etwa das Buch von Richard Wrangham "Demonic Males". Der Tenor ist immer der gleiche: Die Ursprünge liegen tief in unserer Vergangenheit, sind also ein Erbe aus der Erdgeschichte, denn Krieg sieht man auch schon bei kleinen nomadisierenden Gruppen. Aber, diese Aussage widerspricht unseren Daten. Wir glauben, dass viele einfach nicht wissen, was Krieg per Definition genau ist und was anderseits Formen tödlicher Auseinandersetzungen sind."

    Worum es in dem Buch von Richard Wrangham geht, das im Deutschen unter dem Titel "Bruder Affe. Menschenaffen und die Ursprünge menschlicher Gewalt" vertrieben wird, fasst der US-amerikanische Biologe von der Harvarduniversität so zusammen.

    "Das Verhalten von Schimpansengruppen zueinander erinnert durchaus an Krieg. Es gibt Bündnisse von Männchen, die bei günstigen Gelegenheiten plötzlich angreifen und mitunter auch Mitglieder anderer Gruppen töten."

    Zwar halten Schimpansengruppen normalerweise respektvollen Abstand von fremden Territorien, dennoch wagen sich manchmal kleine Gruppen in die besetzten Gebiete. Treffen die Männchen dann auf einen einzelnen Artgenossen, ist gemeinschaftlicher Mord nicht unüblich. Auch wenn Schimpansenmännchen meist Konkurrenten sind, verbünden sie sich gelegentlich bei der Ausweitung von Territorien. Genau hier liege die Urform des Krieges vor, so Richard Wrangham.

    "Nun, ich denke, dass diese Dinge, die wir bei Schimpansen sehen, sich in ähnlicher Weise auch in der Frühzeit des Menschen abgespielt haben könnten, vielleicht sogar sehr häufig. Demnach könnten diese kriegerischen Auseinandersetzungen in der Evolution in der menschlichen Psychologie ein Fundament für immer kompliziertere Formen des Krieges gewesen sein."

    Wenn Schimpansen zu ihrem Vorteil in Gruppen gewaltsam gegen andere Gruppen vorgehen, dann sei dies per Definition Krieg. Da Schimpansen unsere nächsten lebenden Verwandten sind, müsse dieser Trieb bereits in den ersten menschlichen Gesellschaften verwurzelt gewesen sein. Liegt der Krieg also den Menschen im Blut? Nein, sagt Douglas Fry. Genau diesen Irrtum will er nun mit seiner neuen Studie, die er zusammen mit Patrik Söderberg vorstellt, beseitigen. Um seine Meinung mit Daten zu untermauern, bediente sich Fry einer ethnografischen Datenbank, die Wissenschaftler aus der ganzen Welt regelmäßig bestücken. Darin finden sich Informationen von mehr als 180 Kulturen verschiedener Kontinente und verschiedener Zeiten, also von heute lebenden Populationen in Australien oder Afrika, bis hin zu historischen Gemeinschaften wie den Römern oder Babyloniern. Fry und seine Kollegen haben sich davon 21 Kulturen ausgesucht, die eine unseren Vorfahren ähnliche Lebensweise zeigen, also Nomaden, die in kleinen Gruppen lebend höchsten fünf Prozent ihrer Nahrung über Ackerbau und Viehzucht erhielten, also klassische Jäger und Sammler-Gemeinschaften waren.

    "Unsere Überlegung war: Nehmen wir uns doch einfach mal die ganzen Daten über tödliche Auseinandersetzungen in diesen Gesellschaften vor und schauen, wer, warum und wie dort zu Tode gekommen ist."

    In die Studie flossen186 Todesfälle ein. Bei allen Vorfällen war dokumentiert, wer Mörder und Opfer war, ebenso der Grund des Vorfalls.

    "Und dabei sahen wir, dass in 55 Prozent der Fälle, also die Mehrzahl aller tödlichen Auseinandersetzungen, eine Person von einer einzelnen Person umgebracht wurde. Und das hat nichts mit Krieg zu tun, weil sich Opfer und Mörder meist kannten, darunter waren auch Familienfehden, wo man auch nicht von Krieg sprechen kann, auch wenn da mitunter gezielt getötet wurde, aber das passt nicht in die gängigen Kriegsdefinitionen und schon gar nicht in das Modell moderner Kriege."

    In 85 Prozent der Fälle gar stammten Täter und Opfer aus derselben Gruppe. Ein Mann tötete seinen Nebenbuhler, ein Honigdieb wurde hingerichtet, ein Todesfall wurde gerächt. Er habe das ganze Spektrum an spontanen und geplanten Todesfällen analysiert, Mord und Totschlag gab es in vielen Gesellschaften, aber von Krieg könne nicht automatisch die Rede sein, so Fry. Zwar ereigneten sich diese Vorfälle größtenteils im 19. und 20. Jahrhundert, aber eben in Jäger- und Sammler-Gruppen. Daher geht der Forscher davon aus, dass sich seine Erkenntnisse auf urtümliche Gesellschaften übertragen lassen.

    "Krieg ist nichts, was es grundlegend in menschlichen Gesellschaften gibt und natürlich vorhanden ist. Krieg ist eine Institution, die es, ähnlich wie die Sklaverei, erst gibt, seitdem höhere soziale Hierarchien existieren. Das wissen wir auch von der Archäologie her. Krieg hat sich erst vor zehn- bis 12.000 Jahren parallel an mehreren Orten entwickelt. Krieg entstand erst mit sozialen Hierarchien, als die Populationen größer wurden, sich Ackerbau und Viehzucht entwickelten. Das sind recht moderne Entwicklungen, die der Krieg möglich gemacht und die wiederum den Krieg möglich gemacht haben."

    Krieg erscheint unter diesen Gesichtspunkten als ein Phänomen, das erst nach Einsetzen der Jungsteinzeit existiert. Erst mit großen sozialen Abhängigkeiten und dem Vorhandensein von Landbesitz gab es Gründe, geplant andere Gruppen zu überfallen – vor allem um ihnen ihre vermeintlich besseren Ackerböden wegzunehmen. Auch wenn Kritiker die Datenbank, aus der Fry seine Analysen ableitet, nur als zufällige Sammlung von Anekdoten ohne echte Methodik bezeichnen, so haben Douglas Fry und sein Kollege Patrick Söderberg doch erst einmal ein völlig neues Argument in die Debatte über die Entstehung des Krieges eingebracht.