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Die Entzerrung des ptolemäischen Weltbildes

Claudius Ptolemäus oder auch Klaudios Ptolemaios. Ein griechischer Universalgelehrter. Mathematiker, Astrologe, Philosoph, Musiktheoretiker, Astronom und Geograf. Vor knapp 2000 Jahren versuchte er, die damals bekannte Welt, die Oikumene, aufzuzeichnen. Seine Geographike Hyphegesis, Geografie des Altertums, ist eine der wenigen Informationsquellen, die uns aus der damaligen Zeit überhaupt zur Verfügung stehen. Das Datenwerk könnte dank eines Forscherteams von der TU Berlin zukünftig vielleicht die archäologischen Forschungen einen großen Schritt nach vorne bringen.

Von Ursula Storost | 16.06.2011
    Es muss etwa im Jahr 150 unserer Zeitrechnung gewesen sein. Ein etwa 50-jähriger Mann sitzt in der Bibliothek von Alexandria. Mit Vollbart und einer Kappe auf grauem lockigem Haar. Aufmerksam studiert er Aufzeichnungen und Berichte aus allen möglichen Gegenden der Welt und macht sich Notizen.

    "Die Bibliothek von Alexandria war weltweit sicherlich eine der führenden, wenn nicht die führende Bibliothek. Nun stellen wir uns vor, wir gehen heute in eine Bibliothek. Nicht eine Stadtbücherei, sondern eine Schriftensammlung und wollen einen Atlas erstellen."

    Einen Atlas der Welt, sagt der Hamburger Landesarchäologe Professor Rainer Maria Weiss. Ohne dass es technische Möglichkeiten gibt, Telefon, Computer. Oder eine aufwendige Infrastruktur, Flugzeuge, moderne Verkehrssysteme. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber dem griechischen Universalgelehrten Claudius Ptolemäus gelingt dieser Geniestreich.

    "Das besiedelte Gebiet, das bekannte Gebiet ging vom Atlantik bis nach China. Und von Thule bis zum Äquator. Ptolemäus hat 6.500 Orte angegeben und zwar dort geografische Koordinaten. Länge und Breite. Das Problem war, die Koordinaten sind so verzerrt, dass man die Orte nicht mehr identifizieren konnte, es sei denn, man kannte die Orte. Wie zum Beispiel Rom ist Rom oder Köln ist Agrippinensis bei Ptolemäus. Die Frage war dann, kann man mit modernen geodätischen Entzerrungsmethoden eine Entzerrung dieser Karte durchführen."

    Professor Dieter Lelgemann vom Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik der Technischen Universität Berlin hat zusammen mit einem Geodäten und einem Altertumsforscher die berühmte Karte des griechischen Gelehrten tatsächlichen geografischen Gegebenheiten angepasst. Mithilfe spezieller Computerprogramme wurden die einzelnen Karten in heutige Längen- und Breitegrade überführt.

    "Der Ptolemäus hat seine Weltkarte aus Einzelkarten aus regionalen Gebieten zusammengestellt. Dabei kamen vor Maßstabsverzerrungen. Dabei kamen vor Verschiebungen der Einzelgebiete bei der Zusammenstellung. Und das Unangenehmste ist, in den Manuskripten gibt es auch noch eine Menge Schreibfehler."

    Es war eine knifflige Angelegenheit, die vor etwa 2000 Jahren festgelegten Koordinaten zu entzerren. Über Jahrhunderte hatten sich Kopierfehler eingeschlichen und in der fraglichen Zeit war es normal, dass Entfernungen nicht einheitlich gemessen wurden. Viele Städte und Orte, die Ptolemäus nennt, existieren nicht mehr oder ihr Name hat sich stark verändert.

    "Und jetzt kann man die nach Ptolemäus benennen. Das schönste Beispiel ist Amisia. man dachte grundsätzlich, der Ort hätte wegen der Namenähnlichkeit an der Ems gelegen. Das stimmt nicht. Amisia ist ein kleiner Ort, Obervorschütz in Hessen, wo auch viele archäologische Funde in der Nähe gemacht worden sind. Und da gibt es einen kleinen Fluss, der heißt auch Ems."

    Dieter Lelgemann und sein Team glauben jetzt herausgefunden zu haben, dass Ptolemäus schon vor nahezu 2000 Jahren eine erstaunlich genaue Kenntnis der Oikumene, der damals bekannten antiken Welt hatte.

    "Die Ortsangaben, die Ptolemäus macht, sind ungefähr genau auf zehn Kilometer. Das heißt, im Umkreis der Koordinaten, die wir transformiert haben, müsste sich im Umkreis von zehn Kilometern ein antiker Ort befunden haben. Das bedeutet, dass wir zunächst feststellen können, wo die Archäologen schon Funde gemacht haben, welche Orte das sind. Wir können also den archäologischen Fundstätten Namen zuweisen."

    Noch ist die Arbeit der Berliner Wissenschaftler allerdings längst nicht abgeschlossen. Und der Hamburger Landesarchäologe und Direktor des vor- und frühgeschichtlichen Helms-Museums ist skeptisch, ob die altgriechische Karte den Archäologen wirklich weiterhelfen kann. Zum Beispiel bezweifelt er, dass die von Ptolemäus an der Elbe eingezeichnete Stadt Treva, wie behauptet, wirklich Hamburg ist. Denn bislang hat man keinerlei Anzeichen dafür, dass es damals am Zusammenfluss von Elbe und Alster eine größere Stadt gab.

    "Unter dem Gefängnis Santa Fu, also dem berühmten Knast, ist ein eisenzeitliches Gräberfeld gelegen. Aber das ist auch nicht so großflächig und ausreichend, dass es so heraussticht im Verhältnis zu Dutzenden oder Hunderten anderen Gräberfeldern und Siedlungen, die leider nicht bei Ptolemäus auftauchen."

    Außerdem, so Rainer Maria Weiss, seien die Unterlagen, die Ptolemäus zur Verfügung standen, ungenau gewesen. Sicher hätten auch professionelle Landvermesser Daten zugeliefert. Aber der gelehrte Geograf habe genauso Reiseberichte, handschriftliche Aufzeichnungen von Kaufleuten und Soldaten mit einbeziehen müssen.

    "Und da gibt es dann manchmal Angaben, die heißen hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, noch eine Insel weiter, über den vierten Fluss, da ungefähr hauste dieser Volksstamm. Und andere sind einfach absolut präzise. Also ist das doch eine Gemengelage, die man Ptolemäus nicht übel nehmen, kann, sondern die den antiken Verhältnissen geschuldet ist. Aber da hören sie natürlich die skeptische Wissenschaftlermeinung."

    Unumstritten in der Wissenschaft ist indes, dass das Weltbild des Ptolemäus, wonach die Erde eine Kugel ist, jemals angezweifelt wurde.

    "Die Griechen wussten seit ungefähr 500 vor Christus, die Welt muss eine kugelförmige Gestalt haben. Im tiefsten, dunkelsten Mittelalter, hab ich eine Aufgabe für Schüler kennengelernt, die mussten den Erdumfang umrechnen in Fingerbreit, wie viel Fingerbreit das sind. Dass die Erde rund war, ist da überhaupt nicht bezweifelt worden."

    Dass die Menschen in der Antike oder im Mittelalter glaubten, die Erde sei eine Scheibe, sei eine Fabel der Aufklärungszeit, sagt auch der Hamburger Landesarchäologe Rainer Maria Weiss.

    "Das sind romantisierende Vorstellungen, dass man im Mittelalter glaubte, wenn das Schiff bis zum Horizont fährt, dann kippt es runter. So einfältig war man nicht man im Mittelalter."

    Wenn die Weltkarte des Ptolemäus in etwa zwei Jahren komplett entzerrt sein wird, sollten die Archäologen auf alle Fälle ihre Spaten nehmen und versuchen die antiken Stätten zu finden. Auch wenn viele von ihnen, so wie Rainer Maria Weiss nicht so recht an das Wunder der antiken Karte glauben:

    "Wenn wir ein Loch machen und nichts finden, dann ist da auch nichts. Und da können wir uns nicht irren. Sondern wenn wir ein Loch machen und im Loch ist nur Erde und keine Steine, Scherben und Ziegel, dann war da keine Stadt."