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"Die erste ehrliche Wahl seit Jahrzehnten in Griechenland"

Das Wahlergebnis zeichne "ein ziemlich klares Bild der griechischen Gesellschaft", meint Martin Knapp, Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer. Das starke rechts- und linksradikale Potenzial im Land käme in der momentan schwierigen Situation schneller zutage, bestätigt der Griechenland-Kenner.

Martin Knapp im Gespräch mit Silvia Engels | 07.05.2012
    Silvia Engels: Alle Meinungsforscher in Griechenland hatten damit gerechnet, dass die bisher regierenden großen Parteien, die sozialdemokratische Pasok und die konservative Nea Dimokratia, bei den gestrigen Parlamentswahlen Einbußen hinnehmen müssten. Aber dass es so schlimm werden würde, hat kaum jemand geahnt. Jetzt sieht es so aus, dass beide gemeinsam es noch nicht mal zu einer absoluten Mehrheit schaffen, und zugeschaltet in Athen ist der Griechenland-Kenner und Leiter der Deutsch-Griechischen Handelskammer Martin Knapp. Guten Morgen!

    Martin Knapp: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Hatten Sie mit einem solch harten Umbruch gerechnet, dass die Sparkursbefürworter de facto keine Mehrheit mehr haben?

    Knapp: Ja, damit habe ich gerechnet. Das war abzusehen. Man merkte ja: Es gibt auf der einen Seite eine deutliche Stimmung gegen das sogenannte Memorandum. Das Memorandum ist hier das Dokument, auf dem dieser Sparkurs beruht. Da gibt es also eine ganz deutliche Mehrheit dagegen. Dazu kommt noch eine Radikalisierung der Wählerschaft. Wir haben etwa 30 Prozent auf der linken und 20 Prozent auf der äußersten rechten, sodass die Radikalen zusammen etwa 50 Prozent inzwischen ausmachen. Das stimmt natürlich sorgenvoll.

    Engels: Das Lager, das bislang in Griechenland für den Sparkurs steht, ist auch gleichzeitig das Lager, das die Vereinbarung mit EU und IWF über die laufenden Hilfsmilliarden geschlossen hat. Rechnen Sie nun mit einer Aufkündigung dieser Absprachen durch Athen?

    Knapp: Man kann das noch nicht sagen im Moment, weil man ja nicht weiß, was jetzt kommt, denn keiner hat eine Mehrheit. Es wird jetzt der Staatspräsident hingehen und die erste Partei zunächst und die Zweite und dann die Dritte mit der Regierungsbildung beauftragen. Das wird einige Tage dauern und dann wird sich herausstellen, ob es überhaupt zu einer neuen Regierungsbildung kommt und wie die aussieht. Andernfalls gibt es relativ schnell eine Wiederholung der Wahlen, und dann zeigt sich das, ob die Wählerschaft dann eine andere Einstellung hat, oder ob sie dann wirklich dieses heutige Ergebnis wiederholt.

    Engels: Glauben Sie daran, dass sich an der Einstellung noch etwas ändern könnte, wenn den Griechen noch deutlicher bewusst wird, dass das der Ausstieg aus dem Euro wäre?

    Knapp: Viele Parteien haben ja jetzt gesagt, wir sind gegen das Memorandum. Sie haben aber nicht klar gesagt, was das bedeutet. Sie haben die Wähler in dem Glauben gelassen, dass man praktisch die Solidarität auch in einer anderen Form haben kann, dass man das neu verhandeln kann und dass dann etwas anderes dabei herauskommt. Es mag ja auch sein, denn inzwischen hat man ja vielleicht auch durch die Wahlen in Frankreich gesehen, dass zumindest die Austeritätspolitik, die Sparpolitik alleine es wohl nicht bringen wird, sondern dass es eine Wachstumskomponente geben wird, und man könnte sich gut vorstellen, dass auch auf europäischer Ebene der Kompromiss am Ende so aussieht, dass man zwar die Reformen weiter fordert und weiter fördert, das heißt also den staatlichen Bereich, der die Ursache aller Probleme in Griechenland ist, einzugrenzen, aber gleichzeitig eben den privaten Bereich stärker fördert, und dann könnte es noch klappen.

    Engels: Wie werden die Investoren auf die ja derzeit sehr unklare Situation in Griechenland Ihrer Ansicht nach reagieren? Sie beobachten das ja intensiv als Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Handelskammer.

    Knapp: Investoren kommen ja ohnehin im Moment nicht nach Griechenland oder Griechen selber, die investieren könnten, tun es nicht. Jeder wartet ab, was weiter kommt. Dieser Schwebezustand, den wir schon eine Weile haben, der wird sich noch verlängern jetzt, da wird sich im Moment nicht sehr viel ändern.

    Engels: Der Schwebezustand, den Sie ansprechen, der hält sich schon länger. Nun hatte es gerade Anzeichen gegeben, dass eine erste Ratingagentur Griechenland wieder etwas höher gestuft hatte, also etwas optimistischere Aussichten hat für die mittlere Perspektive. Ist das nun alles wieder völlig dahin?

    Knapp: Vor den Wahlen hat es ja auch relativ moderate Äußerungen von Politikern gegeben in ganz Europa in Bezug auf Griechenland. Man hat da wohl verstanden, dass es nicht viel Sinn macht, auf Griechenland einzudreschen, denn das führt nur zu einer Radikalisierung der Wählerschaft, die wir jetzt ja auch erlebt haben. Leider haben auch einige Politiker noch kurz vor den Wahlen wieder nachgelegt und leider auch in diese Richtung dann gewirkt, ohne es zu wollen.

    Engels: Sie sprechen die Radikalisierung an. Nicht nur die radikale Linke ist gestärkt, viele erschrecken sich auch darüber, dass eine rechtsextreme Partei mit über sechs Prozent in das Parlament einziehen wird. Ist das eine Protesterscheinung oder fürchten Sie ein tief greifendes Auseinanderklaffen in der Gesellschaft in die extreme Linke und in die extreme Rechte?

    Knapp: Wenn man so will, ist das die erste ehrliche Wahl seit Jahrzehnten in Griechenland, denn wir hatten früher immer den sogenannten Rustetty-Effekt. Rustetty nennt man dieses Klientelsystem, wo man Stimmen gegen Wohltaten eintauschte. Das hat in der Regel beziehungsweise immer wieder die jeweilige Regierungspartei beziehungsweise die Partei, die auch Regierungspartei werden könnte, also die zweite große Partei, begünstigt. Dieser Effekt fehlt jetzt, die großen Parteien können jetzt nicht mehr in irgendeiner Weise Stimmen kaufen, sie müssen jetzt sich praktisch auf diejenigen Wähler beschränken, die ihnen ideologisch nahestehen, und das sind eben nicht so viele und insofern ist dieses Ergebnis ein ziemlich klares Bild der griechischen Gesellschaft.

    Engels: Das heißt, es gibt da ein recht starkes rechtsradikales und auch linksradikales Potenzial?

    Knapp: Ja, das ist da, und in einer solchen schwierigen Situation tritt so etwas schneller zutage.

    Engels: Wie erwarten Sie die nächsten Wochen, die nächsten Monate in Griechenland?

    Knapp: Es wird spannend bleiben.

    Engels: Geht es auch noch etwas genauer?

    Knapp: Genauer können wir natürlich nicht wissen, was passiert. Wir wissen nicht, was die Politiker jetzt bei diesen Turbo-Koalitionsverhandlungen, die die griechische Verfassung vorsieht, beschließen werden. Wir wissen also nicht, ob wir demnächst eine irgendwie geartete Regierung haben werden, in den nächsten Wochen, oder ob wir Neuwahlen haben. Ich glaube, davon hängt so viel ab, dass man keine genauere Prognose wagen kann.

    Engels: Aber wir haben sehr von Ihren Einschätzungen hier profitiert. Vielen Dank an Martin Knapp, er ist der Geschäftsführer der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen und langjähriger Kenner des Landes. Vielen Dank.

    Knapp: Bitte sehr, Frau Engels. Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.