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Die ersten Popstars Bayerns

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die Kultur der sogenannten Münchner Volkssänger, die in einfachen Lokalen auftraten. Karl Valentin und Liesl Karlstadt gehören zu den wenigen, die bis heute auch außerhalb Bayerns bekannt sind.

Von Carola Zinner | 27.07.2010
    München, August 1915: Eine junge Sängerin, verkleidet als Chinese, steht auf der Bühne und singt ein Lied, das ihr Kollege Karl Valentin für sie geschrieben hat.

    Einige Jahre zuvor hatte der berühmte Komiker die knabenhafte kleine Frau überredet, seine Partnerin zu werden.

    "Ich war engagiert bei den Volkssängern als Anfangssoubrette, und der Karl Valentin, in einem Flitterkleid hat er mich gesehen und hat gesagt: Eine Soubrette muss ja viel frecher sein wie Sie und muss dick und stramm sein - und ich war damals ganz mager. Und der Valentin hat eine Parodie auf eine Soubrette gemacht, und das hab ich dann ausprobiert auf der Bühne und hab selber dann gemerkt, dass ich damit einen größeren Erfolg hab als wie im echten Flitterkleid."
    Liesl Karlstadt, geboren 1892 in der Münchner Vorstadt Schwabing - als fünftes von neun Kindern. Sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater war Bäcker, die Vorfahren stammen aus dem Süden.

    "Mein Familienname ist Elisabeth Wellano, ein italienisch klingender Name, unter dem ich sehr viel zu leiden hatte, schon in der Schule. Meine Schulkameradinnen haben immer geschrien: "Wellano, italiano, lebst aa no…"

    Auch Valentin gefällt dieses "Wellano" nicht. Zu gespreizt für eine Volksschauspielerin, befindet er und tauft die Partnerin um in Liesl Karlstadt. Der "Blödsinnkönig" macht sie zu seiner Blödsinnkönigin.

    Auszug Valentinaden aus "Die Orchesterprobe":

    "- "Jetzt mach ma des neue Stück, das ich gestern geschrieben habe – des Ding da…"
    "Ja die Hoffmanns…. – Hofmannstropfen oder so ähnlich!"
    "Hofmanns Erzählungen."
    "Ja, des hammmer aber noch nie geprobt, gleich ohne Probe…"
    "Na, da braucht mer doch keine Probe dazu, des muss mer wegspielen können."
    "Ja, wenn aber in den Noten ein Fehler ist, dann spielen wir den Fehler auch mit."
    "Da ist kein Fehler drin. Die Noten hab ich selbst geschrieben."
    "Ja, drum mein ich ja."
    "So meine Herren, mit Gefühl!""

    Die Karlstadt wird zum unersetzlichen Pendant ihres Mentors und heimlichen Geliebten Karl Valentin. Ob als würdevoller Kapellmeister, der einen renitenten Musiker in Schach halten muss oder als Verkäuferin, die erfolglos protestiert, als ihr Kunde Schallplatten zerbricht, um die Qualität zu prüfen – immer ist ihr Spiel der Hintergrund, vor dem die zerstörerische Anarchie des Partners erst richtig zur Geltung kommt.
    Eine ähnliche Rollenverteilung findet sich auch im Alltag des Duos, sagt Andreas Koll vom Münchner Valentin-Karlstadt-Musäum:

    "Er hat improvisiert, er hat sich aber auch nichts merken können, und sie war für alles Praktische zuständig, also für die Organisation, für das Finden neuer Aufträge, neuer Spielorte, sie musste heimlich die Sachen, die beim Improvisieren so rausgekommen sind, auf so kleine Zettelchen schreiben und hat dann zuhause diese Zettelchen zusammenmontiert, und so sind die Theaterstücke entstanden."
    Karl Valentin: "Die Frau…. die Frau… ja, jetzt weiß ich wieder ihren Namen nimmer. "

    Liesl Karlstadt: "Das sieht Ihnen wieder ähnlich."

    "Sie spielte sozusagen das Diesseitige in der Welt, und er konnte den Verrückten spielen, der mit der Welt nicht zurechtkommt. Aber sie musste sich an diese ganzen Spinnereien, die diesem Menschen eingefallen sind, immer wieder anpassen, und sie macht das auf eine grandiose Art und Weise."

    Liesl Karlstadt:
    "Es war eine schöne Zeit, allerdings auch eine schwierige Zeit, denn der Karl Valentin hat das Leben sehr schwer genommen, und ich musste immer diejenige sein, die es ihm ein bissel leichter gemacht hat."

    Zudem ist Valentin, wiewohl verheiratet und Vater zweier Kinder, ein extrem eifersüchtiger Liebhaber. Immer weniger kommt Karlstadt mit der Last zurecht, die ihr der anstrengende Partner aufbürdet. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch und wird mehrmals wegen Depressionen in einer Klinik behandelt. Endlich kann sie sich zum beruflichen Alleingang durchringen.

    "Sie hat angefangen, in Filmen mitzuspielen, auch in Theaterstücken, die mit dem Valentin nichts zu tun hatten, und der Valentin ist dann 1948 gestorben, und das hat ihr wohl sehr geholfen, dass sie da schon ein bisschen gelernt hatte, auf eigenen Beinen zu stehen."

    In den 50er Jahren ist die Karlstadt in Filmen zu sehen wie "Das doppelte Lottchen" oder "Die Trapp-Familie". Dazu kommen Rundfunkauftritte, die sie zur populärsten Schauspielerin Bayerns machen.

    Auf dem Höhepunkt ihrer zweiten Karriere stirbt Liesl Karlstadt völlig überraschend am 27. Juli 1960. Auf den Tag genau ein Jahr später wird auf dem Münchner Viktualienmarkt ein Brunnen mit ihrem Denkmal eingeweiht - nur wenige Meter entfernt vom Karl-Valentin-Brunnen.