Freitag, 19. April 2024

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Die ersten Tage des Berlinale-Wettbewerbs
Faszinierende Zeitlosigkeit

Christian Petzolds neuer Film "Transit" wurde mit großer Spannung erwartet. Dlf-Kulturredakteurin Maja Ellmenreich bescheinigt ihm "Absolute Bärentauglichkeit". Doch der Film über Flüchtende in den 1940ern ist nicht der einzige, von dem sie nach den ersten Berlinale-Tagen begeistert ist.

Maja Ellmenreich im Gespräch mit Michael Köhler | 18.02.2018
    Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film "Transit". Die Verfilmung des Anna-Segher-Romans wird auf der Berlinale 2018 im Wettbewerb gezeigt.
    Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film "Transit" (Schramm Film/Marco Krüger)
    Im Marseille des 21. Jahrhunderts lässt Regisseur Christian Petzold die Handlung des Seghers-Romans spielen: Die Schicksale mehrerer Deutscher, die darauf hoffen, sich mit einem der letzten Schiffe vor den nahenden Truppen nach Übersee retten zu können. Ein Drehort von heute und eine Geschichte von vor mehr als 70 Jahren?
    Christian Petzold erschafft durch diese ungewöhnliche Kombination den Eindruck einer faszinierenden Zeitlosigkeit, sagt Maja Ellmenreich. Dadurch bieten sich dem Zuschauer ganz unterschiedliche Assoziations- und Identifikationsmöglichkeiten. Der eine mag an die Originalzeit der Handlung in den 1940ern denken. Ein anderer vielleicht an die Flüchtlingswelle der jüngsten Zeit oder an die Gefahren, die der erstarkende Nationalismus in vielen europäischen Ländern mit sich bringen könnte. Dass "Transit" den Zuschauer in gewisser Weise in die Pflicht nimmt, das ist eine große Stärke des Filmes.
    Wundersame Wandlung in "Las herederas"
    Einen mitfühlenden Blick mit der Protagonistin Chela bescheinigt Maja Ellmenreich dem paraguayischen Film "Las herederas/Die Erbinnen" von Marcelo Martinessi. Die einst wohlhabende Dame aus der Oberschicht sieht sich gezwungen, ihre angestammte Komfortzone zu verlassen: Sie kutschiert in ihrem klapprigen Mercedes Nachbarinnen umher, um Geld zu verdienen. "Las herederas", übrigens der erste paraguayische Film in einem Berlinale-Wettbewerb, ist das bewegende Zeugnis einer wundersamen Wandlung in hohem Alter.
    Von der Droge Heroin zur Droge Religion
    Eine grundlegende Veränderung muss auch der junge Thomas durchleben – in Cédric Kahns Spielfilm "La prière/Das Gebet". Durch strenge Regeln, körperliche Arbeit und regelmäßiges Gebet soll der Drogenabhängige zurück auf den rechten Weg gebracht werden. Der Film dokumentiert den harten Entzug, das Aufbegehren gegen die Vorschriften, den unbedingten Willen, wieder an Stoff zu kommen, aber auch die Fürsorge, die die jungen Ex-Junkies füreinander übernehmen. Die Droge Heroin wird durch die Droge Religion ersetzt. Und man darf als Zuschauer durchaus seine Zweifel an dem Weg haben, der da vorgegeben ist.