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"Die Europäische Kommission tut alles, um mögliche Hürden abzubauen"

Wer liefert künftig den Europäern russisches Gas? Das Nabucco-Konsortium wetteifert mit dem russischen Gazprom-Konzern - der kräftig daran arbeitet, Nabucco-Partner abzuwerben. Mitzureden hat jedoch auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger.

13.07.2010
    Dirk Müller: Es ist ein Kampf der Giganten, der Energiegiganten Europas, wo Milliarden und auch die künftige Gasversorgung des Kontinents auf dem Spiel stehen. Die Kontrahenten sind der russische Energieriese Gazprom, bei dem auch Gerhard Schröder eine Rolle spielt, und auf der anderen Seite das Nabucco-Konsortium, wo Joschka Fischer eine Rolle spielt. Demnach will Gazprom den deutschen Energieversorger RWE dazu gewinnen, sich aus dem Nabucco-Projekt zurückzuziehen, stattdessen künftig beim Konkurrenten South Stream anzuheuern. Beide, Nabucco und South Stream, wollen je eine Gas-Pipeline im Westen Europas bauen, die sich über viele Tausend Kilometer erstreckt.
    Am Telefon in Brüssel ist EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen.

    Müller: Herr Oettinger, hat sich Joschka Fischer schon bei Ihnen beschwert?

    Oettinger: Nein, überhaupt nicht. Wir haben einen guten Arbeitskontakt. Wir sind als Kommission mit allen Mitgliedsstaaten, durch die Nabucco und durch die Andere Leitungen im südlichen Korridor führen können, in Arbeitsgesprächen und ich glaube, es wird eine gute Entscheidung bis Jahresende möglich sein.

    Müller: Aber Sie sind eindeutig Nabucco-Fan?

    Oettinger: Es geht ja um Folgendes: Zum einen brauchen wir in den europäischen Markt hinein mehr Gas, da der Bedarf bei uns steigt und da unsere eigenen Vorkommen zu Ende gehen. Mehr Gas erfüllen viele Leitungen.
    Zum Zweiten geht es um die Erreichung des neuen Gasfeldes. Das wäre das größte Gasfeld der Welt im kaspischen Raum. Dort wird bisher eine Gasmenge Richtung China, zum Teil Richtung Nord-Iran und Richtung Russland transportiert, und es wäre für Europa wichtig, direkt an dieses Gasfeld zu kommen. Das könnte auch über die Russen geschehen, aber die russischen Partner sollten nicht alles Gas handeln, sondern wir wollten gerne neben Russland einen weiteren Partner direkt haben, und Nabucco erfüllt als einzige Leitung all diese Voraussetzungen. Deswegen ist Nabucco in einem hohen Maße im europäischen Interesse.

    Müller: Also sind Sie Nabucco-Fan?

    Oettinger: Ich bin kein Fan, denn dort handelt es sich um mein Arbeitsfeld, und ich bin davon überzeugt, dass das Konzept Nabucco langfristig richtig ist, und deswegen erwarte ich, dass die beteiligten Unternehmen im Laufe des Jahres entscheiden, ob sie und dass sie in die Leitung investieren, und die Europäische Kommission tut alles, um mögliche Hürden abzubauen.

    Müller: Das heißt, es gibt noch diese Chance, diese Möglichkeit, auch diese Drohung im Raum, dass das nicht klappen könnte?

    Oettinger: Das Ganze ist offen. Nabucco ist eine Chance, aber sie ist nicht entschieden. Es geht um viele Milliarden, die investiert werden müssen, in den Gasfeldern, im Leitungsnetz von Österreich über die Mitgliedsstaaten wie Türkei, Georgien, nach Aserbaidschan. Es geht um die notwendige Menge von mindestens 30 Milliarden Kubikmetern pro Jahr, die zum Beispiel Aserbaidschan allein nicht erbringen kann. Das heißt, das Ganze ist ein komplexes Gebäude, aber es wäre im Interesse der Europäischen Union und die Chancen stehen unverändert gut.

    Müller: Herr Oettinger, offen ist das Ganze auch wegen des Drucks aus Moskau. Müssen uns die Russen immer Ärger machen?

    Oettinger: Das Ganze ist legitim. Für die Russen ist Gas ein ganz wichtiger Faktor für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Gasexport spielt in den Bilanzen Russlands eine entscheidende Rolle und die Russen wollen nach Möglichkeit ohne Konkurrenz der alleinige Produzent und Großhändler für Gas sein, und deswegen versuchen sie, Nabucco in Frage zu stellen. Das kann ich nachvollziehen, das sehe ich sportlich, aber die russischen Interessen sind in einigen Bereichen mit unseren deckungsgleich, in anderen eben nicht, und bei Nabucco sind die Interessen nicht deckungsgleich.

    Müller: Warum wäre das so schlecht, wenn die Russen die größten Anteile an den Gaslieferungen hätten?

    Oettinger: Wir haben ja in der Gaskrise mit der Ukraine vor über einem Jahr und jetzt wieder mit dem Konflikt Weißrussland-Russland gesehen, dass es in Osteuropa zum Teil politische Meinungsunterschiede gibt, die mit dem Thema Gas ausgetragen werden, und dies darf nicht auf dem Rücken Europas geschehen. Generell gilt – das gilt für Lebensmittel, das gilt für Öl, das gilt für jedes andere Produkt -, ein Abnehmer, ein Verbraucher tut gut daran, sich nicht zu 100 Prozent von einem Lieferanten abhängig zu machen, sondern mehrere Lieferverhältnisse zu haben, und bei Gas ist dies eben unser elementares Interesse.

    Müller: Besteht die Gefahr auch jetzt schon, dass Moskau uns mit dem Gas, durch das Gas erpresst?

    Oettinger: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben von allem, was wir an Gas in Europa verbrauchen, etwa ein Viertel aus Russland. Wir in Deutschland haben in unserem Markt knapp 38 Prozent aus Russland. Das ist viel, aber das ist noch nicht beherrschend. Hinzu kommt ja, dass die Abhängigkeit beidseitig ist. Auch die Russen haben ein Interesse daran, dass Gas fließt, denn die Leitungen, die ihnen gehören – und die North Stream-Leitung gehört Gazprom mit über 50 Prozent -, werden ja von ihnen finanziert und die Finanzierung läuft nur, wenn das Gas fließt. Hinzu kommt, dass die Russen Devisen brauchen, um deutsche Maschinen, europäische Anlagen zu kaufen und so ihre industrielle Entwicklung nach vorne zu bringen. Das Ganze ist ein gutes Vertragsverhältnis. Die Russen sind unsere wichtigsten Partner in Sachen Energie. Aber es wäre falsch, wenn sie die einzigen Partner sind. Deswegen wollen wir eine starke Partnerschaft mit gegenseitiger Bindung mit den Russen und wollen weitere Partnerschaften, um so unabhängig zu sein.

    Müller: Halten Sie, Herr Oettinger, die Meldungen, die uns gestern beschäftigt haben, eben wonach RWE rausgekauft werden soll aus dem Nabucco-Projekt, für glaubwürdig?

    Oettinger: Nein! Das Angebot halte ich für denkbar. Wie ich höre, ist es noch gar nicht förmlich eingegangen, sondern nur über die Presse vermittelt worden. Aber ich bin mir sicher, dass das Konsortium für Nabucco steht und nicht spaltbar ist, und das Angebot ist von daher ein Manöver, das man sportlich sehen muss, aber nicht eine mögliche Veränderung der Grundlagen für Nabucco.

    Müller: Also Sie sind da ganz gelassen?

    Oettinger: Ich bin gelassen, ja.

    Müller: Wir reden noch über ein zweites Thema, was morgen in Brüssel auf der Tagesordnung steht. Sie werden morgen die Manager der wichtigsten Ölkonzerne treffen, die in der Nordsee aktiv sind, Öl fördern, nach Öl bohren, auch BP ist mit dabei. Welche Worte haben Sie sich parat gelegt?

    Oettinger: Wir haben morgen eine zweite Anhörung aller, in Europa tätigen Ölfirmen mit der Prüfung ihrer Plattformen und ihrer künftigen Planungsabsichten. Wir haben morgen darüber hinaus alle nationalen Kontrollbehörden eingeladen. Sie müssen sehen, dass die Aufsicht unserer Ölplattformen in den Händen der Mitgliedsstaaten liegt. Also haben wir die Ministerien und Fachbehörden eingeladen. Und klar ist: wir werden entlang der Fakten deutlich, aber objektiv und fair das Gespräch führen, und das Ziel muss sein, gemeinsam mit den Behörden, gemeinsam mit dem, was wir an Sachverstand haben und an Vorschlägen machen, und gemeinsam mit dem, was die Unternehmen verantworten können und müssen, den höchsten Sicherheitsstandard und die Minimierung von Risiken für die in Europa bestehenden und auch künftigen Ölplattformen zu erreichen.

    Müller: Herr Oettinger, können Sie mit BP neutral umgehen?

    Oettinger: Ich muss trennen zwischen dem, was mich als Bürger ärgert und was mich auch als jemand, der zum Beispiel den Golf von Mexiko kennt und Natur und Landschaft und Tiere und Menschen, aber auch den Tourismus und die dortigen Wirtschaftszweige schätzt und mag, einerseits und dem, was ich als Mitglied der Kommission andererseits objektiv machen muss, und da ist BP in Europa in wichtiges Unternehmen, übrigens auch ein Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen, und ich muss deswegen Fairness, Objektivität und nicht irgendwo Emotionen in den Mittelpunkt stellen.

    Müller: Blicken wir einmal auf das Jahr 2007. Wenn die Zahlen richtig sind, die wir recherchiert und gelesen haben, dann ist 2007 515mal Öl in die Nordsee geflossen. Das waren keine großen Mengen, aber Mängel bestehen.

    Oettinger: Überall, wo Technik und wo Menschen arbeiten, kommen auch Schäden und Nachteile vor. Aber dass das im täglichen Betrieb passiert, ist mit dem, was im Golf von Mexiko geschehen ist, überhaupt nicht vergleichbar. Im täglichen Betrieb gibt es gewisse Mengen, die fast notwendigerweise auch entweichen. Da werden wir über Nachrüstungen sprechen. Ich will bewusst das Thema Nachrüstung alter Ölplattformen, die zum Teil 20 Jahre und länger ihren Dienst tun, zu einem Thema morgen machen.

    Müller: Also ist die Sicherheit noch nicht ausreichend?

    Oettinger: Ich glaube, dass die Sicherheit durch Nachrüstung, vielleicht auch durch mehr Mitarbeiter und Qualifikation der Mitarbeiter und durch die Prüfung, wie tief gehen wir in das Wasser hinein, weiter ausgebaut werden kann. Der entscheidende Unterschied zwischen dem schrecklichen Katastrophenfall im Golf von Mexiko und unserem täglichen Betrieb in der Nordsee oder im Mittelmeer ist ja, dass unsere Ölplattformen im Regelfall Meerestiefen von unter 180 Metern haben, und die Meerestiefe, das heißt ab dem Zeitpunkt, von dem aus in das Erdreich gegangen wird, im Golf von Mexiko bei über 1.500 Metern liegt. Den Unterschied werden wir herausarbeiten und dann könnte man vielleicht zum Ergebnis kommen, dass tiefere Bohrungen bei uns gar nicht möglich sind. Tiefer heißt 500 Meter oder mehr. Und klar ist: da die Ölvorkommen endlich sind, werden die Ölfirmen geneigt sein, in immer tiefere und damit riskantere Ölvorkommen zu gehen.

    Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Also das schließen Sie aus, dass es bei uns viel tiefer geht? 400 Meter gibt es immerhin schon vor den Shetland-Inseln.

    Oettinger: Das muss man vom Stand der Technik abhängig machen, aber ich halte in jedem Fall 1.000 Meter und mehr im Augenblick für zu riskant, und solange nicht die Technik nachweisbar jedes Risiko ausschließt, sollten wir uns hier in Europa zurückhalten.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Oettinger: Einen guten Tag.

    <u>Zum Thema Gaspipelines und Gas als Energiequelle:</u>

    April 2010: Erdgas für Europa - Baustart der Ostseepipeline

    Mai 2010: Unbekannte Gefahr - Radioaktive Abfälle aus der Öl- und Gasindustrie

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