Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die falsche Hand und das richtige Hirn

Im Mittelalter wurden sie als Hexen verbrannt, bis ins 20. Jahrhundert hinein mit zum Teil brutalen Methoden umerzogen und heute werden sie weitgehend ignoriert. Aber was ist es eigentlich, das einige wenige Menschen zu Linkshändern macht?

Von Monika Seynsche | 17.06.2007
Ein Experiment: Suchen Sie sich einen Punkt in der Ferne und deuten Sie mit dem ausgestreckten Arm darauf! Jetzt schließen Sie das linke Auge! Ist der Punkt immer noch dort, wo ihr Arm hinzeigt? Dann sind Sie ein Rechtsäuger. Wenn Punkt und Arm nicht mehr übereinstimmen, gehören Sie zur Minderheit der Linksäuger.

Jede Katze hat eine Lieblingspfote. Genauso wie jede Maus, jeder Hund, jede Ratte. Damit steht der Mensch also nicht allein da. Nur: Die Hälfte aller Katzen kratzt sich lieber mit rechts, die andere Hälfte mit links. Auch bei den nächsten Verwandten des Menschen, den Affen, gibt es - wenn überhaupt - nur eine leichte Vorliebe für die rechte Hand.

Beim Menschen dagegen war diese Vorliebe immer schon stark ausgeprägt - alle prähistorischen Steinwerkzeuge, Zeichnungen, historischen Gemälde und Schriften erzählen die gleiche Geschichte: von sehr vielen Rechtshändern und sehr wenigen Linkshändern.

Da drängt sich der Verdacht geradezu auf: Rechtshändigkeit hat etwas mit der Evolution zum Menschen zu tun.

Dieser Theorie widerspricht nur leider, dass Asymmetrien zwar unter den anderen Säugetieren selten sind, aber im restlichen Tierreich überall vorkommen. Fast alle Papageien sind starke Linksfüßer, Zebrafische schauen bevorzugt mit ihrem linken Auge und so weiter und so fort. (So gesehen ist der Mensch mit seinem Hang zur rechten Hand also doch nichts Besonderes.)

Mythen und Legenden Teil 1. Linkshänder sind intelligenter als Rechtshänder.

" Das stimmt nicht, Na ja, es stimmt nicht ganz. Es stimmt ein bisschen. "

Chris McManus, rechtshändiger Professor für Neurologie und Händigkeitsforscher am University College London.

" Es gibt eine ganze Reihe von Studien dazu. Wir haben zum Beispiel 11 tausend Kinder in Großbritannien auf ihre Händigkeit und ihren Intelligenzquotienten untersucht. Der durchschnittliche IQ von Rechtshändern und Linkshändern war dabei fast identisch. Aber sobald man sich die beiden Extreme angeschaut hat, stimmte das nicht mehr. Unter stark zurückgebliebenen Kindern, mit großen Lernschwierigkeiten gab es wesentlich mehr Linkshänder als unter normal begabten Kindern. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass auch unter den besonders Hochintelligenten deutlich mehr Linkshänder vorkommen als im Durchschnitt. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so klar und er scheint auch weniger mit Intelligenz allgemein als mit speziellen Fähigkeiten zu tun zu haben. In den USA zum Beispiel werden Kinder regelmäßig in Mathematik getestet. Und unter den besten 0,1 Prozent sind 25 Prozent Linkshänder. Wie es dazu kommt, können wir nicht erklären, aber ähnliche Ergebnisse zeigen sich in vielen Studien. Der durchschnittliche IQ ist also der gleiche, aber die Verteilung ist eine andere."

Menschen bevorzugen nicht nur eine Hand sondern auch ein Auge, einen Fuß und ein Ohr. Etwa 70 Prozent gucken in erster Linie mit dem rechten Auge. Und den rechten Fuß ziehen sogar 80 Prozent aller Menschen dem linken vor. Reichlich stiefmütterlich ist die Ohr-Dominanz bisher untersucht worden, aber die wenigen Daten, die vorliegen, deuten darauf hin, dass mehr als die Hälfte aller Menschen ihr rechtes Ohr bevorzugen.

Es gibt Familien in denen Linkshändigkeit gehäuft vorkommt. Die Vermutung liegt also nahe, dass Händigkeit vererbt wird. Und zumindest in diesem Punkt sind sich die allermeisten Forscher auch einig. Die Frage ist nur, wie wird sie vererbt? Denn wenn man sich die Verteilung der Linkshänder anschaut, wird die Sache sehr seltsam.

Punkt eins: Das Verhältnis von Rechts- und Linkshändern ist etwa 9 zu 1 - mit einem einfachen Genmodell á la Gregor Mendel ist das nicht zu erklären.

Punkt zwei: Sowohl linkshändige als auch rechtshändige Paare bekommen eher rechtshändige Kinder.

Punkt drei: Es gibt mehr linkshändige Männer als linkshändige Frauen.

Punkt vier: Es gibt eineiige, also genetisch identische Zwillinge, bei denen der eine Zwilling Rechtshänder und der andere Linkshänder ist

Ein Gen für Händigkeit hat bisher niemand gefunden, aber der Pschychologe Chris McManus ist überzeugt davon, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist. Er hat ein Modell entwickelt, das die meisten Besonderheiten der Händigkeit erklären kann.
" Es scheint ein Gen mit zwei Allelen zu sein, von denen ich das eine D für dextral oder rechtshändig und das andere C für Zufall genannt habe. Jeder, der zwei Kopien des D-Allels hat, wird rechtshändig. Wenn Sie aber eine doppelte Portion des C-Allels haben, heißt das nicht, dass Sie linkshändig werden. Es bedeutet, dass sämtliche Kontrollmechanismen für die Händigkeit verschwinden, sodass der Zufall entscheidet, ob Sie Linkshänder oder Rechtshänder werden. Es ist, als ob Sie eine Münze werfen: manchmal fällt sie auf die Zahl, manchmal auf den Kopf."

Die Chancen stehen also fifty fifty. Wenn ein Mensch von beiden Allelen jeweils eins hat, also DC, stehen sich die beiden nach Ansicht von Chris McManus gleichberechtigt gegenüber. Das heißt, in der Hälfte der Fälle werden sie rechtshändig. In der anderen Hälfte entscheidet wieder der Zufall. Mit diesen unterschiedlichen Kombinationen kann Chris McManus das seltsame 90 zu 10 Verhältnis von Rechts- und Linkshändern erklären. Und auch die ungleiche Verteilung der Händigkeit bei eineiigen Zwillingen.

" Da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen, denn ich habe Zwillingstöchter, Anna ist rechtshändig und Franziska ist linkshändig. Das ist natürlich merkwürdig, schließlich sind sie ja genetisch identisch. Dem genetischen Modell zufolge ist die Lösung einfach - beide tragen jeweils eine oder zwei Kopien des C-Allels. Das heißt, bei beiden hat der Zufall über ihre Händigkeit entschieden. Und dieses Phänomen ist gar nicht mal so selten - jedes fünfte eineiige Zwillingspaar unterscheidet sich in seiner Händigkeit."

Onur Güntürkün ist ebenfalls Rechtshänder und Professor für Biopsychologie an der Ruhr Universität Bochum. Auch er ist davon überzeugt, dass die Händigkeit vererbt wird. Aber dass dafür ein bestimmtes Gen verantwortlich ist, wie es Chris McManus und andere Kollegen vorschlagen, glaubt er nicht.

" Sie erklären einen existierenden Datensatz, das muss ja nun eine Theorie mindestens tun, denn sie ist ja auf Grundlage dieses Datensatzes entwickelt, sie sind aber nicht in der Lage, alle Problemfälle zu erklären. Problemfälle wie zum Beispiel, warum Männer und Frauen sich in ihrer Händigkeit, wenn auch leicht, unterscheiden; warum es so ist, dass die anderen Assoziationen mit anderen Hirnasymmetrien so nicht funktionieren und vor allem, warum eben eineiige und zweieiige Zwillinge so eklatant allen Genmodellen widersprechen, weil nämlich sowohl ein- wie auch zweieiige Zwillinge haben die gleiche Konkordanz in ihrer Händigkeit, dass heißt, sie sind gleichhäufig beide links-, beide rechts- oder der eine links-, der andere rechtshändig. Genau das darf einfach nicht passieren, wenn wir von einem einfachen Gen-Ort ausgehen, aber das ist die Realität. "

Wenn es ein Gen für Händigkeit gäbe, müsste es seiner Ansicht nach schon lange gefunden worden sein. Onur Güntürkün vermutet vielmehr, dass es so ein Gen gar nicht gibt, sondern dass andere Mechanismen genetisch festgelegt sind, die ihrerseits die Händigkeit beeinflussen.

" Wir haben zum Beispiel den Fall für die visuelle Asymmetrie bei Vögeln. Diese visuelle Asymmetrie bei Vögeln wird nicht im visuellen System festgelegt, sondern der, der das festlegt ist eine genetische Kombination, die determiniert, dass die Embryonen vor dem Schlupf ihren Kopf nach rechts drehen. Dadurch liegt ihr rechtes Auge näher der Eischale, das linke Auge ist durch den eigenen Körper abgedeckt. Licht, das durch die Eischale fällt, stimuliert das rechte Auge und unterstützt in den letzten 48 Stunden vor dem Schlupf die Entwicklung des visuellen Systems, das vom rechten Auge ausgeht. Das legt die Asymmetrie in allen Denk- und Verarbeitungsprozessen im visuellen System zum Beispiel von Tauben oder Hühnerküken auf lange, lange Zeit fest, bei Tauben für den Rest des Lebens dieser Tiere. Wenn Sie jetzt nun hingehen würden und sagen würden, ist dies eine Asymmetrie des Gehirns? Wäre meine Antwort ja. Ist sie vererbbar, wäre meine Antwort ja. Ist sie genetisch im visuellen System festgelegt, wäre meine Antwort nein. Sie ist in den Genen festgelegt, die die Drehung des Embryos im Ei festlegen."
In dem Fall gäbe es also gar kein Gen für Händigkeit - aber dadurch werden die Fragen auch nicht weniger.

Mythen und Legenden - Teil 2: Linkshänder sterben früher als Rechtshänder

" Das ist einer der berühmtesten Mythen. Da wissen wir sogar ganz genau, wie es zu diesem Mythos kam. Stan Coren, ein kanadischer Psychologe veröffentlichte 1988 einen Artikel im Fachmagazin Nature, in dem er erklärte dass linkshändige Baseball-Spieler jünger sterben als rechtshändige. In einer noch berüchtigteren Nachfolgestudie nahm er sich Krankenhaus-Akten aus Kalifornien vor und rief die Verwandten aller kürzlich Verstorbenen an."

" Er fragte, entschuldigen Sie, können sie mir sagen, ob ihr verstorbener Verwandter Rechts- oder Linkshänder war? Und unter den jungen Verstorbenen waren mehr Linkshänder als unter denen, die in hohem Alter verstorben waren. Also ein klarer Beweis, dass Linkshänder früher sterben, oder? Nicht im Geringsten! Coren hat einen ganz klassischen Fehler gemacht - er hat sich die Lebenden nicht angeguckt. Unter jungen Menschen gibt es mehr Linkshänder als unter alten, schlicht und einfach weil die Menschen heutzutage nicht mehr umerzogen werden."
Die linke Körperhälfte wird von der rechten Gehirnhälfte kontrolliert und umgekehrt. Die Ursachen für Linkshändigkeit müssten sich also irgendwo im Gehirn finden lassen. Da sieht man allerdings nicht sehr viel. Die Bereiche im Gehirn, die die Hände dirigieren, sind bei Linkshändern in der rechten Gehirnhälfte, bei Rechtshändern in der linken Gehirnhälfte stärker ausgeprägt. Das ist aber auch schon fast alles, sagt Onur Güntürkün.

" Die naive Vorstellung ist, dass das Gehirn der Linkshänder gespiegelt ist zu dem der Rechtshänder. Das ist schlicht falsch. Bei den Linkshändern zeigen sich die gleichen Asymmetrien wie bei den Rechtshändern, sie sind ein wenig abgeschwächter, das ist eigentlich alles. Linkshänder haben zum Beispiel ihr Sprachzentrum nicht in dem Ausmaß in der linken Hirnhälfte wie Rechtshänder."

Die meisten Menschen haben ihr Sprachzentrum links. Bei den Rechtshändern sind es 95 Prozent, bei den Linkshändern immerhin noch etwa 70 Prozent. Ein gewisser Zusammenhang ist also schon da. Und deswegen stürzen sich die meisten Neurologen auch auf das Sprachzentrum, wenn sie versuchen, Händigkeit zu erklären. Eine alte Theorie ist, dass sich die Vorliebe für die rechte Hand zusammen mit der Sprache entwickelte.

" Sprechen ist zum Beispiel etwas, das ist eine unglaublich komplizierte Abfolge von feinsten Muskelbewegungen, die just in time mit einer unglaublichen Genauigkeit auch in der Stärke und Koordination hergestellt werden müssen. Das ist eine wahnsinnige Leistung. Damit einhergehend können wir Sprache verstehen und wenn Sie Sprache einfach mal physikalisch sich anschauen, ist Sprache eine so unglaublich komplexe Stimulusfolge, dass wir unser Gehirn bewundern müssen, dass es das aufdröselt und Bedeutungen daraus zieht. Das heißt, die Fähigkeit, in kurzen Abfolgen sehr komplexe Stimuli zu decodieren und sehr schnelle Bewegungen zu erzeugen, geht mit Sprache einher und ist eine linkshemisphärische Leistung. Die Idee zumindest von einigen Autoren ist, dass dort die Assoziation zu unserer Feinmotorik liegt, die ja nun auch eine Abfolge von schnellen, präzisen mit hoher Koordination durchzuführenden Bewegungsabläufen ist, dass es daher kein Zufall ist, dass beide sich zumindest in der Mehrheit der Menschen in der gleichen Hirnhälfte niedergelassen haben. "

Also eine Hirnhälfte für alle schnellen, präzisen Bewegungen. Das klingt logisch und es kann erklären, warum die meisten Menschen Rechtshänder sind. Aber der überwiegende Teil der Linkshänder hat sein Sprachzentrum und die Feinmotorik in verschiedenen Hirnhälften. Diese Verteilung scheint ungünstiger zu sein und ungünstige Varianten sollten nach Charles Darwin irgendwann aussterben. Linkshänder halten sich aber tapfer seit gut und gerne 2 Millionen Jahren in der menschlichen Population. Bringt Linkshändigkeit also irgendeinen Vorteil?
" Es muss gar keinen Vorteil bringen, linkshändig oder rechtshändig zu sein. Wenn wir bei dem Gen-Modell bleiben, müssten einfach nur die Leute einen Vorteil haben, die eine Kombination von D und C Allel haben. Solange die auf irgendeine Art fitter sind und sich besser fortpflanzen, bleibt immer ein gewisser Anteil Linkshänder in der Population. In der Genetik nennt sich das ausgeglichener Polymorphismus - das beste Beispiel dafür ist die Sichelzellanämie, eine in Afrika verbreitete Erbkrankheit. Menschen mit zwei Allelen leiden unter der Krankheit, Menschen ohne Sichelzellenallel sterben an Malaria, aber Menschen mit einem Allel für die Krankheit und einem normalen bekommen keine Sichelzellanämie und haben gleichzeitig einen gewissen Schutz gegen Malaria."

Mythen und Legenden Teil 3 - Linkshänder sind anfälliger für Krankheiten.

" Das ist auch ein Mythos, begründet 1982 von einem Mann namens Norman Geschwind, einem Neurologen aus Boston. Er hatte unter Linkshändern eine auffällige Häufung bestimmter Krankheiten entdeckt, besonders Allergien. Danach gab es Dutzende von Studien, die versuchten, seine Ergebnisse nachzuvollziehen. Denn wenn es einen Zusammenhang gäbe, wäre das ja extrem interessant - aber keine einzige Studie konnte Geschwinds Theorie bestätigen. Und das obwohl seine Daten sehr eindeutig waren. Aber er hatte einen simplen Fehler gemacht: Er ist in einen Linkshänderladen gegangen und hat die Kunden dort gefragt: ich mache eine Studie zu Krankheiten, könnten Sie mir alle Krankheiten nennen, die Sie je hatten? "

" Er hat also eine interessierte Gruppe von Linkshändern direkt nach Krankheiten gefragt, und da ist es nicht überraschend, dass die Leute ihm alle Krankheiten genannt haben, die sie hatten. Die Rechtshänder dagegen waren eine zufällige Stichprobe aus der Bevölkerung und sie sind nicht auf dieselbe Weise befragt worden. Wenn Sie die Studie ordentlich machen würden, also mit einer zufälligen Stichprobe von Rechts- und von Linkshändern, denen Sie nicht erzählen, worum es in der Studie geht, und allen Probanden dieselben Anweisungen geben, würden Sie keine Unterschiede finden. Es ist ein Mythos."

University College London, Gower Street. Im Keller des Anatomiegebäudes hat der Genetiker Steve Wilson sein Labor. Seine Probanden sind wesentlich kleiner und einfacher gestrickt, als die von Chris McManus und Onur Güntürkün: es sind 6 Tage alte Zebrafische. Zu hunderten wuseln sie in weißen Plastikdosen, eine neben der anderen stehen die Dosen ordentlich aufgereiht in Steve Wilsons Labor. Die winzigen Zebrafische haben genauso wie die Menschen ein stark asymmetrisches Gehirn und asymmetrische Verhaltensweisen. Sie schauen ihre Artgenossen immer mit dem linken Auge an, ihr Fressen begutachten sie dagegen mit dem rechten Auge.

Wilson und seine Kollegen wollten herausfinden, ob die Vorliebe für das eine oder andere Auge von den Genen abhängt. Sie hatten beobachtet, dass eine bestimmte Gruppe von Genen dafür sorgt, dass es bestimmte Nervenzellen ausschließlich in einer Hirnhälfte gibt. Also war die Frage, was passiert, wenn man die Gene so verändert, dass diese Nervenzellen in der anderen Gehirnhälfte auftauchen? Durch Zufall fanden die Forscher einige Fische mit genau dieser Mutation und konnten sie züchten.

" Wir haben die Fische dann aufgezogen und gefragt: wenn die Gene links aktiviert sind, und die Gehirnstruktur auf der linken Seite ist, wie sieht es dann mit der Äugigkeit der Fische aus?"

Und die war genau umgekehrt! Die mutierten Zebrafische schauten ihre Artgenossen plötzlich mit dem rechten Auge an, ihr Fressen dagegen mit dem linken. Das war der erste Beweis dafür, dass es - zumindest bei Zebrafischen - eine Verbindung zwischen Genen, Gehirnstruktur und Äugigkeit gibt.

" Beim Menschen bleiben die genetischen Grundlagen der Händigkeit sehr umstritten, aber die Zebrafischstudien können viel zum Verständnis beitragen, wie Gene die Hirnasymmetrie beeinflussen. Wir können die Prinzipien untersuchen, die dazu führen, dass sich die Nervenzellen in der rechten Hirnhälfte von denen in der linken unterscheiden. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wirken bei Menschen ähnliche Faktoren wie bei Zebrafischen."

Mythen und Legenden - Teil 4: Linkshänder sind kreativer als Rechtshänder

" Bei diesem Mythos bin ich mir nicht sicher. Wenn Sie sich die Linkshänderseiten im Internet angucken, dann finden Sie dort ellenlange Listen berühmter Linkshänder. Zum Beispiel Paul McCartney ist Linkshänder - aber für jeden linkshändigen Paul McCartney finden Sie neun rechtshändige berühmte Popmusiker. Man müsste beweisen, dass es überdurchschnittlich viele kreative Linkshänder gibt - und da fehlt einfach die Datengrundlage. Ganz abgesehen davon, dass auf solchen Linkshänderlisten viele berühmte Leute stehen, die erwiesenermaßen Rechtshänder waren, wie zum Beispiel Albert Einstein..."

Güntürkün: " Linkshänder neigen häufiger zu Asthma, Linkshänder haben eine ganze Reihe von Immunerkrankungen häufiger, Linkshänder sind häufiger mathematische Genies, Linkshänder sind häufiger Stotterer, Linkshänder sind häufiger homosexuell, Linkshänder sind wesentlich häufiger in künstlerischen Berufen tätig etc etc. Das heißt eine ganz große Anzahl von Dingen, die von Erkrankungen bis hin zu großen Fähigkeiten bis hin zu sexuellen Einstellungen neigen, sind mit Linkshändigkeit assoziiert. Das ist das, was so ein großes Rätsel der Linkshändigkeit ausmacht, denn eigentlich ist nicht einzusehen, warum so etwas langweiliges wie der Wechsel der Führungshand assoziiert sein sollte mit verschiedenen Eigenschaften, die so gar nichts mit Händigkeit zu tun haben könnten. Deshalb gibt es eine ganze Reihe von Theorien, die davon ausgehen, dass Linkshändigkeit eine minimale Veränderung in der tieferen Organisation des Gehirns ist, und zwar eingebrannt ist in unser Gehirn zu einer Zeit, in der wir noch gar kein Gehirn hatten, nämlich in einer embryonalen Phase, in der das spätere Hautgewebe und in der das spätere Gehirn noch aus einem gemeinsamen Urgewebe stammen. Nur so kann man sich erklären, dass zum Beispiel Linkshänder auch auf der Ebene der Haut systematisch anders zu sein scheinen als Rechtshänder. Bei Linkshändern zum Beispiel ist der Haarwirbel am Hinterkopf nicht eindeutig in seiner Drehungsrichtung festgelegt. Bei den allermeisten Menschen, und bei den Rechtshändern ist es die absolut erdrückende Mehrheit, dreht der Haarwirbel im Uhrzeigersinn. Bei den Linkshändern ist das pari pari. "

Der Haarwirbel und das Nervensystem entwickeln sich zwischen der zehnten und 16. Schwangerschaftswoche aus derselben äußersten Zellschicht eines Embryos, dem Ektoderm. Ein amerikanischer Genetiker namens Amar Klar hatte vor drei Jahren beobachtet, dass 50 Prozent seiner linkshändigen Probanden einen gegen den Uhrzeigersinn drehenden Haarwirbel hatten. Und daraus geschlossen, dass beide Merkmale sich auf Grundlage desselben genetischen Mechanismus entwickeln. Dieses Ergebnis weckte die Neugier der Forscher an der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn. An 43 rechtshändigen Männern untersuchten sie, ob es auch einen Zusammenhang zwischen der Haarwirbeldrehrichtung und dem Sitz des Sprachzentrums im Gehirn gibt. Einer der Autoren der Studie ist der Neuropsychologe Christian Hoppe.

" Wir konnten tatsächlich belegen, dass ein Zusammenhang zwischen atypischer Haarwirbeldrehrichtung und atypischer Sprachdominanz besteht. Das zeigte sich darin, dass in der Gruppe der Männer mit atypischer Haarwirbeldrehrichtung tatsächlich ein erhöhter Anteil von atypischer Sprachdominanz gefunden wurde..."

Nun ließ der Haarwirbel den Forschern keine Ruhe mehr. Der Physiker Andreas Jansen und seine Kollegen von der Universität Münster begannen, diesen Zusammenhang zu überprüfen. Sie suchten bei 1200 Probanden nach einem Zusammenhang zwischen Händigkeit, der Drehrichtung des Haarwirbels und - bei einer kleineren Gruppe - dem Sitz des Sprachzentrums.

" Es gibt einen Fragebogen den man ausfüllen kann, da sind zehn verschiedene Eigenschaften untersucht, meinetwegen womit werfe ich einen Ball, mit welcher Hand, wie mache ich eine Streichholzschachtel auf, wie schreibe ich usw, wo man die Händigkeit sehr gut bestimmen kann. Haarwirbel wurde so angeguckt und mit Dopplersonographie zusätzlich noch bei einer kleineren Gruppe noch Sprachdominanz bestimmt."

Diese funktionelle transkranielle Dopplersonographie ist eine Erfindung der Münsteraner Forscher. Ohne in den Schädel eindringen zu müssen, können sie damit kostengünstig und schnell den Sitz des Sprachzentrums bestimmen. Interessant für diese Untersuchung waren die Probanden, die entweder Linkshänder waren oder einen atypischen Haarwirbel hatten - insgesamt 200.

" Wenn man sich dieses Kopfgestell anguckt, kann man sehen, dass das in drei Ebenen eingestellt werden kann ... ."

In einem engen, fensterlosen Raum steht die Doktorandin Stefanie Scharfe und befestigt eine Art grauer Plastikkrone auf dem Kopf ihrer Probandin. Rechts und links in Höhe der Schläfen sitzen zwei blaue Ultraschallsonden an der Krone. Die bewegt Stefanie Scharfe vorsichtig hin und her und lauscht dabei auf das Geräusch aus den Lautsprecherboxen hinter ihr.

" Jetzt muss ich einen Winkel einstellen, indem ich die Arterie treffe, das ist Fummelarbeit. Da habe ich mal ein Geräusch und das muss ich dann verfolgen."

So hören sich die mittleren Hirnarterien an, wenn sie Blut zu den beiden Frontallappen bringen, die in der rechten und linken Gehirnhälfte sitzen. In einem der beiden Frontallappen - bei den meisten Menschen links - sitzt das sogenannte Broca-Zentrum, in dem Sprache produziert wird. Wenn dort gearbeitet wird, sich der Proband also Worte ausdenkt, braucht es mehr Sauerstoff. Deshalb misst Stefanie Scharfe mit ihren Ultraschallsonden, wie schnell das Blut in den beiden Arterien fließt, während die Probandin vor einem Bildschirm sitzt und eine Sprachaufgabe löst.

" Ich gebe Ihnen ein Startzeichen und dann schließen Sie die Augen, dann ertönt irgendwann so ein Ping-Signal, dann sollen Sie die Augen öffnen. Mit einer Zeitverzögerung erscheint dann ein Buchstabe, den Buchstaben werden Sie dann erkennen und sollen sich dann zu diesem Buchstaben Worte ausdenken, die mit diesem Buchstaben beginnen. Also zum Beispiel M wie Maus, Mann, Möwe da haben sie ca. 20 Sekunden Zeit zu und da schaffen Sie so zwischen 5 und 8 Worten bei manchen Buchstaben ist es etwas schwieriger."

Bei den allermeisten Probanden maß die Doktorandin einen stärkeren Blutfluss auf der linken Kopfseite als auf der rechten - Und zwar völlig unabhängig davon, in welche Richtung der Haarwirbel drehte. Den Ergebnissen der Münsteraner zufolge gibt es also doch keinen Zusammenhang zwischen Haarwirbeldrehrichtung und Sitz des Sprachzentrums. Und auch keinen zwischen Händigkeit und Drehrichtung des Haarwirbels. Der einzige Zusammenhang, den sie fanden, ist ein altbekannter: die linkshändigen Probanden hatten ihr Sprachzentrum öfter rechts als die Rechtshänder.

" Also Sie sehen, wir forschen seit hundert Jahren an einem scheinbar einfachen Phänomen und wissen es immer noch nicht so richtig."

Mythen und Legenden - letzter Teil

" Das Interessanteste an diesen ganzen Mythen ist, dass sie so extrem resistent Gegenbeweisen gegenüber sind. Und ich vermute, das liegt daran, dass die Menschen wollen, dass Linkshänder seltsam sind und weniger lange leben. In fast allen Kulturen ist links gleichbedeutend mit schlecht und rechts gleichbedeutend mit gut. Und warum? Ganz einfach, weil die meisten Menschen Rechtshänder sind. Die Mehrheit gewinnt, das ist immer so."