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Die FDP "möchte die Personaldebatte beenden"

Er glaube nicht, dass die FDP Guido Westerwelle vor den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern stürzen werde, sagt der Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Ein schlechtes Abschneiden der Liberalen bei diesen mache ein Personalopfer aber wahrscheinlich.

Jürgen Falter im Gespräch mit Bettina Klein | 30.08.2011
    Bettina Klein: Was mit großer Wahrscheinlichkeit stets zu erwarten ist, wenn die öffentliche Kritik an einem Politiker zu laut wird: die Partei verlangt ein Ende der Debatte, ein Ende der Personaldebatte, in diesem Fall die FDP ein Ende der Debatte um Außenminister Guido Westerwelle. Ob damit das Thema wirklich vom Tisch ist, werden erst die nächsten Tage und Wochen zeigen, beginnend heute mit der Klausurtagung der Bundestagsfraktion.
    Am Telefon begrüße ich Professor Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Ich grüße Sie, Herr Falter.

    Jürgen Falter: Ja grüß Sie Gott!

    Klein: Viel Lärm also um nichts, ein Sturm namens Westerwelle im Wasserglas?

    Falter: Viel Lärm um nichts ist es nicht, denn es geht ja nicht nur um die Person Westerwelle. Es geht um die Koalition, es geht am Ende auch um Angela Merkel, denn die hat ja schließlich den Kurs von Guido Westerwelle in der Libyen-Frage voll unterstützt. Das wäre alles gar nicht ohne ihre Zustimmung gegangen. Also insofern wesentlich weiter reichende Konsequenzen als nur die eine Person.

    Klein: Wir gehen mal eins nach dem anderen durch. Wie bewerten Sie selbst denn die Darstellung, das Auftreten von Guido Westerwelle in den vergangenen Tagen?

    Falter: Na gut, man hat ihn praktisch zum Dementi tragen müssen. Er ist quasi gezwungen worden von seiner eigenen Partei zu sagen, dass seine Position in der Libyen-Frage, die er sehr offensiv vertreten hatte, wo er mit neutralen Staaten gestimmt hat, wo er quasi gegen das westliche Bündnis gestimmt hat, dass diese Position wohl doch nicht so ganz richtig war, dass die andere auch etwas für sich hatte, was ja schon ein sehr laues Dementi war, und das ist ihm auch übel genommen worden.

    Klein: Jürgen Koppelin, der Landesvorsitzende der FDP in Schleswig-Holstein, hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk – wir haben es gerade noch mal kurz gehört auch im O-Ton – die Rolle der Medien betont, die ja immer mal wieder gefragt hatten in den vergangenen zehn Tagen, weshalb der Außenminister nach den militärischen Einsätzen Großbritanniens, Frankreichs und der USA immer wieder auf den entscheidenden Anteil der Deutschen bei den Erfolgen der Rebellen verweist und ob das den Tatsachen angemessen sei. Was sollten wir denn mit dieser Medienschelte anfangen?

    Falter: Ja Gott, man schiebt gerne auf die Medien etwas, was in der Politik, in der Partei selber gärt und brodelt, und es ist ja ganz unverkennbar, dass in der FDP selber es viele, mehr im Verborgenen ausgesprochen, aber immer deutlicher auch an die Oberfläche kommende Stimmen gibt, die Westerwelle eigentlich nicht mehr für tragbar halten im Amt des Außenministers, unter anderem, weil man glaubt, man braucht noch einen Befreiungsschlag, den endgültigen Befreiungsschlag, um die Partei wieder nach vorne zu bringen. Westerwelle muss verschwinden, das denken viele, manche sagen es, und die Medien greifen das natürlich mit Begierde auf, schon deswegen, weil Westerwelle nun wirklich nicht besonders beliebt ist in den Medien.

    Klein: Also Sie halten das nicht für gerechtfertigt im Kern?

    Falter: Im Kern halte ich das nicht für gerechtfertigt, das ist keine reine Mediensache. Das ist eine Sache, die aus der Politik kommt und durch die Medien verstärkt wird und in die Politik wieder zurückgespielt wird.

    Klein: Um noch einen kleinen Augenblick dabei zu bleiben: Koppelin sprach ja auch Vorbehalte gegen den Außenminister an, die sowieso vorhanden seien, und zwar insbesondere aufseiten der Medien, und zwar auch unabhängig von seiner Politik. Nehmen Sie die auch wahr?

    Falter: Ja, das ist ohne Zweifel vorhanden, ist gar keine Frage. Das hat etwas zu tun mit dem nicht geglückten Sprung vom Oppositionspolitiker zum Regierungspolitiker, zum Staatsmann, mit den Fehlern, die Westerwelle gemacht hat am Anfang seiner Außenministerkarriere, und das waren relativ viele, und das wird natürlich gerne aufgegriffen dabei, und er hatte sich ja auch mit den Medien einige Male durchaus recht heftig angelegt. Einmal: Erinnern wir uns alle, als er einen britischen Journalisten zurechtwies, in deutschen Pressekonferenzen würde Deutsch geredet, und das so barsch, dass es sehr undiplomatisch war. Das wird nicht vergessen und das wird bei Gelegenheit eben wieder rausgeholt und gegen ihn gewendet.

    Klein: Wir sollten vielleicht auch mal differenzieren und nicht alle Medien jetzt in einen Topf werfen dabei. Aber unter dem Strich würden Sie sagen, es gibt starke Vorurteile, die wir auch in der jetzigen Debatte zu konstatieren haben?

    Falter: Es gibt Vorbehalte gegen Westerwelle in der Öffentlichkeit, nicht nur in den Medien, sondern auch in der Bevölkerung.

    Klein: Vorbehalte, aber keine Vorurteile?

    Falter: ... , aber keine Vorurteile. Das würde ich nicht meinen, dass es Vorurteile im klassischen Sinne sind. Aber man sieht dann doch lieber das Negative als das Positive. So schlecht hat er das Auswärtige Amt auch wieder nicht geführt, auch wenn er viele Fehler gemacht hat, dass man sagen würde, er ist ein unwürdiger Außenminister beispielsweise. Das ist eher Oppositions-Talk eigentlich, als dass es den Medien tatsächlich gerecht würde. Aber ein bisschen wird eine Stimmung angesprochen, die auch in der Bevölkerung da ist, und insofern verstärkt sich das nochmals.

    Klein: Sie haben gerade angesprochen, Herr Falter, dass es sehr wohl auch Stimmen in seiner eigenen Partei gebe, die sich kritisch über Westerwelle geäußert haben, wenn vielleicht nicht auch öffentlich, dann doch hinter vorgehaltener Hand. Nach dem, was wir heute hören, da klingt ja eigentlich sehr starke Unterstützung heraus, jetzt auch vor der beginnenden Klausurtagung der Bundestagsfraktion, die sagen, es gibt keine Personaldebatte und wir halten an unserem Außenminister fest. Halten Sie das für eine Momentaufnahme, oder trägt das jetzt über die nächsten Wochen?

    Falter: Das ist eine Aufnahme zwar des Moments, aber mit der Absicht, dass es mindestens bis nach der Berlin- und Mecklenburg-Wahl trägt, weil man vor diesen beiden Wahlen Westerwelle, so weit ich das sehen kann, nicht stürzen möchte. Man möchte keine zusätzliche Unruhe rein bringen. Das ist auch nicht das Anliegen von Angela Merkel, da bin ich völlig sicher. Man möchte die Personaldebatte beenden, denn das schadet ja am Ende doch irgendwie der Partei. Ich glaube nur nicht, dass es wirklich gelingen wird.

    Klein: Das heißt, Sie halten es auch für nicht ausgeschlossen, dass, wenn die Landtagswahlen vorüber sein werden, wir das gleiche Thema noch mal auf dem Tisch haben, oder sogar, was ja gestern auch so ein bisschen eine Rolle gespielt hat, dass man dann möglicherweise einen Sündenbock suchen könnte und dann der Zeitpunkt für einen Rücktritt oder für einen angeratenen Rücktritt sei, oder halten Sie das wirklich für völlige Spekulation?

    Falter: Nein, ich halte das nicht für völlig falsch, denn nehmen wir mal das Szenario, wie es sich im Augenblick aus den Umfragen heraus ergibt: Die FDP schafft es weder in Berlin, noch in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Dann braucht man ja jemanden, dem man die Verantwortung gibt, und das sollte tunlichst nicht die jetzige Führung sein. Dann wird man sagen, das ist noch ein Nachklang aus der Zeit, als Guido Westerwelle der Vorsitzende der FDP war. Und dann wird ein anderes Argument kommen, eben nicht das Außenminister-Argument, nicht das Libyen-Argument, sondern da wird man dann noch mal ein Personalopfer fordern eventuell. Da könnte ich mir vorstellen, dass der Zeitpunkt kommt, wo der Ruf nach dem Rücktritt von Guido Westerwelle so laut wird, dass er sich dem nicht widersetzen kann.

    Klein: Sie hatten es zu Beginn unseres Gespräches schon angedeutet: Schauen wir mal auf die Koalition insgesamt. Da würden manche Politiker, die Kanzlerin vielleicht auch, nicht gut aussehen, wenn sie sich vom Außenminister trennen würden, der ja im Kern nicht allein stand zunächst mit seiner Bewertung und auch mit der Enthaltung im Weltsicherheitsrat insgesamt. Fürchtet man, dass da weitere Nachfragen kommen, und hält deshalb an ihm fest?

    Falter: Ja, das ist sicherlich einer der Gründe. Wenn Angela Merkel jetzt Guido Westerwelle fallen ließe mit der Begründung Libyen, des Fehlurteils, was die Position zum Libyen-Einsatz anging, dann würde es ja sozusagen ein Schuss ins Knie sein, ins eigene Knie, denn sie hat selbstverständlich diese Position mitgetragen. Guido Westerwelle hätte niemals so im Sicherheitsrat auftreten können mit dieser Position, wenn es nicht vom Kabinett und von Angela Merkel getragen worden wäre. Sie hat in diesem Falle ganz eindeutig die Richtlinienkompetenz, und die hat sie zwar nicht laut ausgesprochen, aber sie hat das Ganze eben unterstützt, und dann hieße das, ich habe einen Fehler gemacht. Das sagen Politiker sehr, sehr ungern.

    Klein: Ist es auch unter dem Strich eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung der Kanzlerin, also nützt es mir mehr, oder schadet es mir mehr, am Außenminister festzuhalten, und im Augenblick nützt es eben mehr?

    Falter: So geht es in der Politik immer. Es ist immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung, das ist ganz klar. Das gehört zur Rationalität der Politik dazu, nicht nur der Ökonomie. Und ich bin sicher, dass man im Augenblick sich sagt, ihn fallen zu lassen würde mehr kosten, als ihn aufrecht zu halten. Außerdem: Fallen lassen kann Angela Merkel ihn von sich aus nur dem Grundgesetz nach nicht in einer Koalition, wo tatsächlich der Koalitionspartner, die Partei entscheidet, aus der er kommt, und das ist die FDP.

    Klein: Die Einschätzung von Professor Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Falter.

    Falter: Bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.