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Die fetten Jahre sind vorüber

Das Schweizer Bankgeheimnis, seit 1934 geradezu ein Markenzeichen des neutralen Alpenstaats, ist kein verlässliches mehr, seitdem klamme Regierungen auf der Jagd nach Steuersündern die eine oder andere Daten-CD mit geklauten Informationen über illegale Finanztransaktionen erwerben. "Paradies perdu" ist denn auch der treffende Titel einer Neuerscheinung über das Ende des Schweizer Bankgeheimnisses.

Von Daniel Blum | 12.07.2010
    Wer hat's erfunden? Die Schweizer. Die Gemächlichkeit! Von wegen, alles nur ein Klischee. Manchmal können die Schweizer auch ganz, ganz schnell machen. Wenn sie jemand antreibt ... 2008 durften Millionäre aus aller Welt ihr hart verdientes Vermögen noch unversteuert auf Schweizer Bankkonten schmuggeln. 2009 machten die USA und die Weltgemeinschaft dann mächtig Druck. Amerikanische Staatsanwälte brachten die Schweizer Großbank UBS in Bedrängnis, und die OECD drohte der Schweiz, sie auf einer Schwarzen Liste anrüchiger Schwarzgeldstaaten an den Pranger zu stellen. Die Schweizer Behörden knickten ein und überließen den USA die Kontodaten tausender Amerikaner. Und 2010? Mittlerweile hat der Alpenstaat etwa zwei Dutzend Doppelbesteuerungsabkommen mit den wichtigsten Staaten des Westens abgeschlossen, jüngst auch mit Deutschland. Das heißt: Wenn ein deutscher Steuerfahnder die Kontodaten eines verdächtigen Bundesbürgers verlangt, dann bekommt er sie auch. Für die millionenschweren Steuersünder aus aller Welt ist die Schweiz jetzt kein jährlicher Besuch mit dem Geldkoffer mehr wert. "Paradies perdu" kommentiert Lukas Hässig in seinem gleichnamigen Buch vom – so der Untertitel - "Ende des Schweizer Bankgeheimnisses".

    Die fetten Jahre für die Schweizer Banken waren vorbei. Notgedrungen mussten sie akzeptieren, was in den Großstaaten Mehrheitsmeinung ist: Steuerhinterzieher gelten als Parasiten, die sich zu Lasten der Gemeinschaft bereichern. Ihr egoistisches Verhalten erhöht die Kosten, welche die übrigen Bürger für Straßen, Soziales, Bildung und anderes aufzubringen haben.

    Und deshalb liest die Öffentlichkeit hierzulande auch immer wieder gerne und in allen schmutzigen Einzelheiten, wie es den reichen Steuersündern jetzt mal endlich an den Kragen geht. Schadenfreude ist hässlich, macht aber gute Laune. Nun, für Lukas Hässig ist die Preisgabe des Schweizer Bankgeheimnisses keine Justizposse, sondern ein Politdrama. Um das zu verstehen, braucht man als Deutscher ein bisschen Einfühlungsvermögen. Hässig ist Schweizer, und für unsere Nachbarn hört beim Thema Bankgeheimnis der Spaß auf. Fast achtzig Jahre ist es her, als 1932 die Pariser Polizei drei Bankiers aus Basel verhaftete und in den Knast steckte, weil sie der Haute-Société bei der Steuerhinterziehung geholfen hatten. Das passiert uns nicht noch mal, schworen die Schweizer Staatsmänner und hatten einen waghalsigen Einfall: Sie schützten ihre Bankiers, indem sie ihnen ihrerseits mit dem Gefängnis drohten. Wer Kontodaten preisgebe, wandere wegen "Geheimnisverrats" in den Bau, regelte jetzt das Schweizer Strafgesetz. Und das Ausland respektierte, dass die Schweizer Bankiers verschwiegen sein durften. Zum Wohle der Kunden – und dem der Banken: Millionäre stapelten in den Kellern der Schweizer Bankhäuser ihr Bargeld.

    Das Bankgeheimnis war nicht nur ein Wettbewerbsvorteil für eine Branche, sondern symbolisierte den Willen der Schweizerinnen und Schweizer zum Sonderfall. Standhaftigkeit und Unabhängigkeit waren damit verknüpft. Die Folge dieser psychologischen Überhöhung war, dass das Spezialgesetz für viele Bürger des Landes einen ähnlich hohen Stellenwert wie die direkte Demokratie genoss. Es war zur Heiligen Kuh geworden, die niemals geschlachtet werden durfte.

    Aber dann doch geschlachtet wurde. Wie es dazu kam, hat Lukas Hässig minutiös recherchiert. Der Züricher ist studierter Betriebswirt und hat lange Jahre als Wirtschaftsredakteur bei renommierten Zeitschriften gearbeitet. Hässig rekonstruiert präzise die politischen Abläufe im In- und Ausland. In Interviews und Hintergrundgesprächen haben ihm wichtige Beteiligte ihr Ränkespiel geschildert: Staatsanwälte und Volksvertreter, Lobbyisten, Bankiers und Behördenleiter zogen Strippen, blufften, drohten – und arrangierten sich schließlich im Sinne des Auslands. Das soviel Druck gemacht hatte wie nie zuvor: Die öffentlichen Haushalte sind hoch verschuldet, und bei der Jagd auf Steuergelder wollte man auf das Schweizer Brauchtum des Bankgeheimnisses keine Rücksicht mehr nehmen. Vorneweg setzte eine Großmacht der kleinen Schweiz die Daumenschrauben an: Amerikanischen Staatsanwälten ging ein Überläufer ins Netz - ein Landsmann, der vier Jahre lang für die größte Schweizer Bank, die UBS, gearbeitet hatte. Als die ihm eine Bonuszahlung verweigerte, verpfiff er die schmutzigen Geschäfte ihrer US-Dependance der dortigen Justiz. Daraufhin verklagte die US-Steuerbehörde die UBS, sämtliche versteckten Konten von amerikanischen Steuerzahlern offenzulegen. Die Schweizer Politik fürchtete einen Präzedenzfall und erlaubte der UBS nach monatelangem Tauziehen, die Kontodaten freiwillig herauszugeben.

    Das Bauchgefühl sagte den Eidgenossen, dass etwas Dramatisches, Einschneidendes, Unwiderrufliches passiert war. Die kleine, wehrhafte Nation, die vor 718 Jahren durch ein Bündnis auf einer grünen Wiese im Widerstand gegen fremde Herrscher gegründet worden war, hatte sich der Macht eines Großreichs gebeugt. Unerhört schien dies, unverantwortlich und unsäglich.

    Von dieser Empörung trägt auch Lukas Hässig ein bisschen im Herzen. Als Bürger einer kleinen Nation von den großen herumgeschubst zu werden, löst bei ihm keine Feierstimmung aus. Doch in der Sache steht er auf der Seite der Sieger: Das Geschäftsmodell der Schweizer Banken, gezielt Schwarzgeld aus dem Ausland anzuzapfen und damit zum eigenen Wohle zu wirtschaften, war längst ein Anachronismus geworden. Wer in der Weltgemeinschaft mit weißer Weste dastehen will, darf nicht so offenkundig seine Geschäfte durch Gaunereien machen. Zur Preisgabe des Bankgeheimnisses gab es also keine Alternative – wohl aber dazu, wie dieser Prozess von den Schweizern gestaltet wurde. Politiker und Wirtschaftsführer verschlossen die Augen, hielten sich die Ohren zu und verharrten trotzig im Schwarzgeldsumpf. Die Weltgemeinschaft schob sie mit vereinten Kräften und Schritt für Schritt auf sicheres Terrain. Und nach jedem Stückchen Bewegtwerden verkündeten Schweizer Politiker und Bankiers, sie seien freiwillig mitgegangen und weiter, weiter ginge es nun wirklich nicht – das sei den zuschauenden Kunden hiermit feierlich versprochen. Ein Schmierentheater – mit hohem Unterhaltungswert. Das Lukas Hässig übrigens sehr ansprechend schildert, in einer ungemein variablen, temperamentvollen Sprache, die kunstvoll, aber nie manieriert wirkt. So muss ein Sachbuch geschrieben sein! Oder besser gesagt: ein Geschichtsbuch.

    In den Augen Europas ist die Spezialität des kleinen Nachbarlandes bereits auf dem Abfallberg der Geschichte gelandet. Der Schweizer Finanzplatz, der es dank seines Bankgeheimnisses in 75 Jahren zur Blüte gebracht hat, ist für die vermögende Auslandsklientel zum Paradies perdu geworden.

    Daniel Blum über Lukas Hässig: Paradies Perdu - Vom Ende des Schweizer Bankgeheimnisses. Erschienen bei Hoffmann und Campe, 224 Seiten zum Preis von 22 Euro, ISBN: 978-3-455-50155-1.