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Die Finnen wählen ihr Staatsoberhaupt

Behalten die Umfragen recht, so wird die 63-jährige Amtsinhaberin Tarja Halonen von der Sozialdemokratischen Partei, bei den Präsidentschaftswahlen in Finnland das Amt ein zweites Mal übernehmen. Dass Halonen aller Voraussicht nach die Wahl gewinnen wird, räumen selbst viele ihrer Gegner ein. Offen scheint nur, ob es gleich im ersten Wahlgang gelingen wird.

Von Stefan Tschirpke | 12.01.2006
    Helsinki im Januar: Frostwetter, vereiste Gehwege, Dunkelheit, aber an vielen Ecken freundliche Gesichter auf bunten Wahlplakaten. Über die Präsidentenwahl sind sich Beobachter einig: Amtsinhaberin Tarja Halonen steuert auf eine zweite sechsjährige Amtszeit zu.

    Offen und spannend bleibt aber die Frage, ob es Halonen am Sonntag bereits im ersten Wahlgang schafft oder ob es Ende Januar zu einer Stichwahl kommt.
    In Umfragen erhält die 63-Jährige knapp über 50 Prozent der Wählerstimmen. Tarja Halonen ist die offizielle Präsidentschaftskandidatin der Sozialdemokratischen Partei:

    "In meiner Antrittsrede vor sechs Jahren versprach ich, dass ich eine Präsidentin des ganzen Volkes sein will. In meiner Arbeit habe ich aufrichtig versucht, dieses Versprechen einzulösen. Ich will es offen bekennen: Ich bin dankbar, dass mir die Bürger so viel Vertrauen entgegengebracht haben. Dieses Vertrauen hat mich dazu veranlasst, eine zweite Amtszeit anzustreben."

    Mit der Amtsführung von Tarja Halonen war eine deutliche Mehrheit der Finnen zufrieden:

    " Eine gute Präsidentin. Recht sachlich, dennoch zugleich locker. Nicht sehr hervorgetreten, jedenfalls kamen von ihr keine radikalen Dinge."

    "Sie ist volksnah und jemand, der auch für die armen Leute noch Verständnis aufbringt."

    "Sie ist vernünftig und ihrer Linie treu geblieben."

    Zweifellos wäre schon ein zweiter Wahlgang enttäuschend für Halonen und auch für die Sozialdemokratische Partei - gar nicht zu reden von einer Niederlage. Skeptisch äußert sich ein profunder Kenner des politischen Systems in Finnland, der emeritierte Professor für Staatsrecht der Universität Helsinki Tuomo Martikainen:

    "Ich rechne mit einem zweiten Wahlgang. Halonen benötigt für einen Sieg in der ersten Runde rund 1,7 Millionen Stimmen. Sozialdemokraten und Linke Allianz ergeben zusammen eine Unterstützung von 35 Prozent. Halonen muss über 15 Prozent von anderen politischen Lagern bekommen. Vielleicht erhält sie 5 Prozent von den Grünen. Wo sollen aber die restlichen 10 Prozent herkommen? Einen Sieg bereits im ersten Wahlgang halte ich für unwahrscheinlich."

    Das sehen die Anhänger von Tarja Halonen ganz anders, wie hier auf einer Wahlkampfveranstaltung im südfinnischen Tampere:

    "Klappt es im ersten Durchgang? Jaaa! Brauchen wir eine zweite Runde? Nein!"

    "Das ist sonnenklar! 60 Prozent für Tarja!"

    Dass Halonen aller Voraussicht nach die Wahl gewinnen wird, das räumen selbst viele ihrer Gegner ein. Ihre hohen Umfragewerte haben dem Wahlkampfklima und dem Interesse an der Wahl jedoch nicht geschadet. Und die politischen Parteien nehmen den Wettbewerb um das Präsidentenamt ernst - nicht zuletzt mit Blick auf die Parlamentswahlen 2007.

    Hinter den Kulissen wird bereits eifrig Parteienwahlkampf geführt. Nur die Linke Allianz, Anfang der 90er Jahre von Linkssozialisten und Kommunisten gegründet, signalisierte frühzeitig ihre Unterstützung für Halonen und verzichtete auf einen eigenen Kandidaten. Alle anderen Parteien schicken in der Politik erfahrene Anwärter ins Rennen - die Zentrumspartei den amtierenden Ministerpräsidenten Matti Vanhanen:

    "In der Präsidentenwahl sollte es vorrangig um die Außenpolitik gehen, nicht um Innenpolitik. In der Innenpolitik habe ich als Ministerpräsident Leistung gezeigt."

    Die Konservative Partei, die in der Opposition ist und auf eine Rückkehr in die Regierung hofft, bietet ihren Ex-Parteichef und früheren Finanzminister Sauli Niinistö auf. Niinistö ist derzeit Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank.

    "Die Bürger wissen gut, dass der Präsident an den langen Wartezeiten auf Operationstermine in Krankenhäusern nichts ändern kann. Aber sie wollen meine persönliche Meinung dazu wissen."

    Beide Konkurrenten des bürgerlichen Lagers liegen in Meinungsumfragen fast gleich auf und kämpfen erbittert um den Einzug in die zweite Runde. Vor allem für Ministerpräsident Vanhanen steht viel auf dem Spiel. Ein dritter Platz hinter Sauli Niinistö wäre für Vanhanen eine peinliche Schlappe. Dieser Wahlkampf biete den Wählern eine erfreulich abwechslungsreiche Ausgangskonstellation, urteilt Martikainen:

    "Tarja Halonen ist das Angebot der politischen Linken. Die Konservativen besitzen eine echte bürgerliche Alternative. Irgendwo dazwischen steht Ministerpräsident Matti Vanhanen von der Zentrumspartei. Den Austritt aus der Europäischen Union fordert der Kandidat der Liberalen. Für einen sofortigen NATO-Beitritt Finnlands plädiert hingegen Henrik Lax von der Schwedischen Volkspartei. Ein schönes Meinungsspektrum, in dem der Wähler leicht jene Alternativen findet, die seinen eigenen Auffassungen entsprechen."
    Mit unermüdlichem Einsatz eilen die acht Kandidaten von Auftritt zu Auftritt, von Helsinki im Süden über Vaasa an der Westküste bis Rovaniemi in Finnisch-Lappland. In Rundfunk und Fernsehen dominiert der Wahlkampf seit Wochen sämtliche Magazine und Talkshows.

    Auch die Bürger zeigen Interesse. Das Staatsoberhaupt steht von jeher als Institution hoch im Kurs. Noch heute denken ältere Finnen mit Wehmut an den langjährigen Präsidenten Urho Kekkonen, der in seinen besten Zeiten in der Innenpolitik mit eiserner Hand regierte. Parteienpolitik genießt dagegen keinen guten Ruf. Der Staatsrechtler Martikainen:

    "Es herrscht ein ziemlich politik- und parteifeindliches Klima. Darauf beruht teilweise auch die Beliebtheit der Präsidentin. Sie wird als über den Niederungen der Politik stehend wahrgenommen. Die Bürger wählten sie direkt und betrachten sie daher als Sachwalterin ihrer Interessen. Es gibt auch immer noch Sehnsucht nach einer starken Führungspersönlichkeit."

    Die Sehnsüchte und Erwartungen der Bürger stehen in deutlichem Widerspruch zur allmählich schwindenden Bedeutung des Präsidenten im politischen System.

    Die Finnen wählten im Jahre 2000 mit Tarja Halonen ihr erstes weibliches Staatsoberhaupt. Zur selben Zeit trat eine neue Verfassung in Kraft, die die Macht des Präsidenten gegenüber der Regierung und dem Parlament deutlich einschränkt. Halonen übernahm ein Amt, das mit sehr viel weniger innenpolitischen Kompetenzen versehen ist. Auch Angelegenheiten der Europäischen Union fallen weitgehend in den Zuständigkeitsbereich des Ministerpräsidenten und der Regierung.

    Geblieben ist dem Staatsoberhaupt vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik. Aber auch auf diesem Feld ist der Präsident nicht wie einst ein unabhängiger Akteur, sondern zur Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Regierung verpflichtet. Geblieben sind ihm darüber hinaus der Oberbefehl über die Armee in Friedenszeiten und Ernennungsbefugnisse.

    Gerade in Ernennungsfragen zeigte Tarja Halonen, dass sie durchaus gewillt ist, die verbliebenen innenpolitischen Kompetenzen auszuschöpfen. Ein delikates Schauspiel bot die Ernennung eines Mitglieds der finnischen Zentralbank. Da sich die parlamentarischen Vorschlagsgremien auf keinen Kandidaten einstimmig einigen konnten, machte die Präsidentin resolut von ihrem Recht Gebrauch und setzte eine eigene Kandidatin durch. Ihre Begründung:

    "Für mich steht prinzipiell im Vordergrund, was für die Zentralbank gut ist und nicht, für wen die Zentralbank gut ist!"

    Auch solche Ohrfeigen machten Tarja Halonen beim Bürger populär, der ansonsten vom realen Machtverlust des Staatsoberhaupts kaum Notiz nimmt. Nach wie vor betrachtet rund ein Drittel der Finnen den Präsidenten als den wichtigsten Faktor in der Innen- wie Außenpolitik. Aber auch für jene, die seine verringerte Macht erkennen, bleibt der Präsident eine Instanz mit Einfluss.

    "Jetzt kommt es eben auf Persönlichkeit und Meinungsführerschaft an. Um sein Volk in heutiger Zeit zu führen, muss der Präsident die Dinge überzeugend darlegen können."
    Meinungsführerschaft demonstrierte Tarja Halonen oftmals in ihrer Amtszeit. Zu ihren wichtigsten innenpolitischen Anliegen zählten soziale Gerechtigkeit, der Schutz von Minderheiten und ihr Lieblingsthema: die Verteidigung der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft.

    "Viele tun ja so, als ob das System der Wohlfahrtsgesellschaft eine veraltete Bürde ist, von der man sich trennen sollte. Ich will jene nur daran erinnern, dass dieses Wohlfahrtssystem gute Ergebnisse erzielt und sich als wettbewerbsfähig erwiesen hat. Indem wir die Wohlfahrtsgesellschaft erneuern, wird sie auch künftig eine solide Grundlage sein."

    Auf die Frage, welche konkreten sozialen Probleme sie in Finnland sehe und was sie als Präsidentin dagegen unternehmen würde, antwortet Tarja Halonen:

    "Ein Problem ist zum Beispiel die schleichende Zunahme von Ungleichheit. In Finnland ist eine neue Armut entstanden, die nicht wie die frühere Armut sofort sichtbar ist. Die Situation von alleinstehenden Müttern oder kinderreichen Familien hat sich verschlechtert. Ich gebe nicht der Regierung dafür die Schuld, aber ich ermahne sie, solche Probleme zu lösen."

    Mit solchen Positionen können sich nicht nur sozialdemokratisch oder noch weiter links orientierte Finnen identifizieren. Besonders stark - bis in bürgerliche Schichten hinein - ist Halonens Rückhalt unter Frauen.

    "Es sind Werte wie soziale Gerechtigkeit, die sie hervorhebt. Diese Werte können nie genug betont werden! Die Welt ist sehr grausam."

    Ihre Gegner griffen die Präsidentin insbesondere wegen ihres Engagements in Fragen der Globalisierung an. Unter anderem führte Tarja Halonen den Ko-Vorsitz in einer internationalen Kommission über die sozialen Dimensionen der Globalisierung. Ein finnischer Manager nimmt kein Blatt vor den Mund:

    "In ihrer Amtszeit hat Finnlands internationales Gewicht keinesfalls zugenommen, eher ist das Gegenteil der Fall. Früher diskutierten Spitzenpolitiker wie Bush d. Ältere oder Gorbatschow mit dem finnischen Präsidenten. Halonen unterhält bestenfalls gute Beziehungen zum Präsidenten von Tansania."

    Besonders aus dem Umfeld der Wirtschaft wurden Stimmen laut, die Tarja Halonen als naive Weltverbesserin kritisierten und ihr die Vernachlässigung finnischer Wirtschaftsinteressen vorhielten. Der konservative Präsidentschaftskandidat Sauli Niinistö plädiert für eine stärkere Rolle des Präsidenten als Botschafter der Wirtschaft im Ausland:

    "Zwischen unserem guten internationalen Image und dem unzureichenden Niveau von ausländischen Investitionen in Finnland klafft ein Widerspruch. Der Präsident ist auch im Ausland Meinungsführer, indem er die besten Seiten der Wirtschaft seines Heimatlandes betont. Zum Beispiel in Begegnungen mit ausländischen Wirtschaftskreisen."

    Auch Ministerpräsident Matti Vanhanen präsentierte sich den Wählern als Interessenvertreter der Wirtschaft:

    "Unter neuem Wind verstehe ich, dass wir unsere Stellung auf den globalen Märkten absichern müssen. Ich habe immer wieder unterstrichen, dass ich als Präsident sehr viel dafür tun würde, für finnische Produkte auf dem Weltmarkt zu werben."

    In der Außen- und Sicherheitspolitik vollzog Finnland in der Amtszeit von Tarja Halonen keine dramatischen Kehrtwenden. Auf dem globalen Parkett bleibt vor allem Halonens Rede vor der UN-Vollversammlung in Erinnerung, in der sie den Irak-Krieg der USA als völkerrechtswidrig kritisierte. In Finnland gab es wegen der Kritik an der einzigen Supermacht Schelte. Halonen wurde ein unterkühltes Verhältnis zu den USA unterstellt - ein Vorwurf, den die Präsidentin stets energisch zurückwies.

    In den bilateralen Beziehungen zum östlichen Nachbarn Russland pflegt Finnland einen betont sachlichen Umgangston. Für finnische Unternehmen steht in Russland viel auf dem Spiel. Deutliche Worte in Bezug auf Rückschritte in der demokratischen Entwicklung in Russland, die Einschränkung von Bürgerrechten oder den Tschetschenien-Krieg waren nur von der Präsidentschaftskandidatin der Grünen Heidi Hautala zu vernehmen. Vorsichtiger formulierte es Ministerpräsident Vanhanen:

    "Wichtig ist, dass Russland sein Versprechen einlöst und die Demokratie weiterentwickelt. Wir betonen, dass sich Russland selbst dazu verpflichtet hat. Der finnische Präsident sollte Russland in diesem Bestreben ermuntern."

    In der Sicherheitspolitik blieb Finnland seiner militärischen Bündnisfreiheit verpflichtet. Ein NATO-Beitritt wird aber als Option nicht ausgeschlossen. Im außen- und sicherheitspolitischen Bericht der Regierung, einer Art Weißbuch zur Sicherheitspolitik, ist diese Linie bis auf weiteres festgeschrieben. Das Parlament hat das Weißbuch mit großer Mehrheit verabschiedet. Finnland beteiligt sich unterdessen aktiv sowohl am Programm der NATO-Partnerschaft für Frieden als auch am Aufbau der Schnellen Kriseneingreiftruppen der Europäischen Union. Im Gespräch ist sogar eine Einladung zu Manövern der Schnellen Eingreiftruppen der NATO.

    All diese Aktivitäten provozieren die Frage, wie es eigentlich noch um die Glaubwürdigkeit der militärischen Bündnisfreiheit Finnlands bestellt ist. Sämtliche Politiker sind sich wohl bewusst, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung einen NATO-Beitritt kategorisch ablehnen. Es war Henrik Lax, der Präsidentschaftskandidat der kleinen Schwedischen Volkspartei, der den NATO-Beitritt zum Hauptthema seines Wahlkampfs machte:

    "Ich bin überzeugt, dass ein kleines Land dem Bündnis beitreten sollte, um künftig eine glaubhafte Verteidigung aufrechtzuerhalten und zu vermeiden, dass sein Gebiet zu einem militärischen Vakuum wird. Finnland muss sich endlich von seiner Zuschauerrolle aus der Zeit des Kalten Krieges verabschieden. Es muss zu einem aktiven internationalen Akteur werden. Die NATO bildet dafür ein natürliches Forum, das sehr wichtige Fragen entscheidet und sich auf Krisen aller Art vorbereitet."
    Der Vorstoß von Lax erhielt in den Reihen seiner Partei nicht unbedingt Beifall. Tarja Halonen, bekannt für ihre skeptische Haltung zu einem NATO-Beitritt, bekräftigte die offizielle Linie der Regierung:

    "Die NATO-Option besteht, aber wir gründen unsere Sicherheit auf eine nationale Verteidigung und unsere Aktivitäten im europäischen wie internationalen Krisenmanagement. Falls eine neue Sachlage entsteht, zum Beispiel eine äußere Bedrohung oder eine radikale Veränderung der Sicherheitsstrukturen, dann muss neu überlegt werden."

    Am weitesten lehnte sich in der NATO-Frage neben Lax noch der konservative Präsidentschaftskandidat Sauli Niinistö aus dem Fenster. Niinistö sprach davon, dass Finnland einer europäischeren NATO beitreten könnte. Doch sicherheitspolitischen Experten blieb hierbei vieles im Unklaren:

    "Ich halte einen NATO-Beitritt durchaus für möglich, ja sogar für wünschenswert. Aber ich vertrete auch konsequent die Ansicht, dass sich die NATO und auch die europäische Verteidigung verändern. Die Gesamtentwicklung führt dazu, dass die NATO in irgendeiner Form europäischer wird."

    Kaum ist das neue Staatsoberhaupt gewählt, wird Helsinki sechs Monate lang europapolitischer Mittelpunkt sein. Anfang Juli übernimmt Finnland von Österreich die EU-Ratspräsidentschaft. Die Europa-Stimmung hat sich in Finnland seit den EU-Verfassungsreferenden in Frankreich und Holland spürbar abgekühlt. Die Finnen gehören neben den Österreichern momentan zu den kritischsten EU-Mitgliedern. Präsidentschaftskandidatin Tarja Halonen zieht folgende Schlussfolgerung:

    "Wir müssen uns Gedanken darüber machen, warum die EU nach Meinung vieler Bürger nicht ausreichend auf die alltäglichen Sorgen der Menschen, auf Fragen der sozialen Sicherheit reagiert. Zum Beispiel das Beschäftigungsproblem. Ich glaube nicht, dass es die Bürger besonders interessiert, wie das internationale Profil der EU in einer Einzelfrage aussieht. Sie erwarten von der EU, dass sie Wohlstand und Sicherheit gewährleistet."