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Die "Föhnwelle" mit dem Brusthaartoupet

In den 90ern trug Thomas Kuhns in Tübingen selbstironisch Schlagerlieder vor. Diese kamen so gut an, dass er sich in Anlehnung an ZDF-Hitparden-Moderator Dieter Thomas Heck nun Dieter Thomas Kuhn nannte. Augenzwinkernd macht sich der Sänger mit seiner Bandseither über Schlager aus den 70er-Jahren lustig.

24.07.2012
    Sebastian Bargon: Dieter Thomas Kuhn, Sie stellen derzeit auf einer großen Tournee ihre neue CD "Hier ist das Leben" vor. Darauf sind neben Schlagern wie "Marleen", "Ein Lied kann eine Brücke sein" oder "Ich komm zurück nach Amarillo" einige Songs, welche die Disco-Ära verherrlichen. Wie kam es dazu, dass Sie ihr Spektrum erweitert haben und jetzt im Glitzeranzug den Disco-Sound der 70er-Jahre auf die Bühne bringen und quasi wieder auferstehen lassen?

    Dieter Thomas Kuhn: Na ja, es war so, dass wir auf der Suche waren nach neuen Songs und auf diese Disconummern gestoßen sind, die in Deutsch damals auch gemacht wurden. Das wussten wir gar nicht, dass "Nightfever" in dieser Art schon einmal interpretiert wurde, von einem Künstler, der wahrscheinlich gänzlich untergegangen ist zu dieser Zeit.

    Bargon: Zu Recht!

    Kuhn: Zu Recht, absolut zu Recht. Und dann gab es "Hier ist das Leben" von Sue Kramer und wir haben festgestellt, es gefällt uns ganz gut. Und da es einfach in die Zeit der 70er, die wir immer noch hauptsächlich behandeln, hineinfällt, haben wir uns gedacht: Dieter Thomas Kuhn darf alles und der darf auch mal Disco. Und so kam es dazu.

    Bargon: Sie wurden ja 1994 als "singende Föhnwelle" bekannt und durch Ihre selbstironisch vorgetragenen Schlager aus den 70ern ganz allmählich zur Kultfigur. Viele Kritiker waren damals über die Renaissance des schlechten Geschmacks entsetzt, aber bis heute füllen Sie große Hallen, Zelte und Klubs. Kaum, dass ein Konzert angekündigt wird, ist es schon ausverkauft. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen, Ihren Erfolg?

    Kuhn: Ja, das ist die Frage, die uns seit vielen Jahren begleitet und ich muss zugeben, ich habe bis heute keine richtige Antwort darauf, warum es so ist. Ich sage immer nur, ich freue mich, dass es so ist und ich nehme es gerne so hin.

    Bargon: Wie viel Selbstironie ist da drin oder gefallen Ihnen die alten Songs doch ganz gut, diese Schlager, die viele als sehr peinlich empfinden?

    Kuhn: Na ja, also es war schon so, dass ich alle Hits kannte, die wir da plötzlich gespielt haben, aber es war jetzt nicht so, dass ich diese Musik geliebt habe, sondern ich kam aus dem Rock, ich bin mit Pink Floyd quasi groß geworden und ein paar alten Folk-Musikern. Ich hatte ältere Geschwister. Also der Schlager war zwar präsent, meine Mutter hatte das sicherlich laufen in der Küche, aber es war jetzt nicht meine Musik. Ja und insofern haben wir festgestellt, dass wir trotzdem alles kennen.

    Bargon: Das geht vielen Leuten so. Ich meine bei Ihren Konzerten kommt ja überwiegend ein junges Publikum. Die machen aus jedem Dieter Thomas Kuhn Konzert ein ganz großes Faschingsfest mit Schlaghosen, Rüschen-Kleidern, 70er-Jahre Outfit. Oder kommen auch Menschen, welche diese Heile-Welt-Texte ernst nehmen?

    Kuhn: Ach, ich bin sicher, dass da einige darunter sind, die das für bare Münze nehmen, also die, die diese Musik in der Tat wirklich leben und lieben. Fans von Howard Carpendale oder Udo Jürgens sind sicherlich auch bei uns, wobei ich glaube, dass der Anteil relativ gering ist. Es hat sich schon so entwickelt am Anfang, dass da Hippies und Punks kamen. Es war schon diese Anti-Schlager-Haltung. Und in der Zwischenzeit geht es aber - glaube ich - nicht mehr um den Schlager an sich. Es ist, glaube ich, zu einer Marke geworden. Es ist für viele Leute ein Event, das jährlich sein muss. Es ist quasi wie die Nutella, die morgens auf dem Tisch steht ja, manche brauchen das einfach.

    Bargon: Berühmt sind ja auch Ihre After-Show-Partys. Jetzt sitzen Sie mir hier gegenüber in einer zerrissenen Jeans, im T-Shirt und haben Cowboystiefel an. Was passiert da eigentlich? Gehen Sie da unerkannt hin? Also, die Föhnwelle wird wieder entwuselt und sie mischen sich da unerkannt unter das Volk?

    Kuhn: Na, ganz unerkannt bleibt das nicht, aber ich entscheide mich manchmal dazu diese After-Show-Partys zu besuchen, wenn ich Lust dazu habe. Weil manchmal muss ja auch ich ein bisschen raus und ein bisschen Party machen. Meine Band geht gerne auf diese Partys, aber diese Partys sind nicht von uns organisiert, das ist eine reine Fangeschichte. Die wird also nicht von uns gesteuert, sondern es gibt einen Fankreis. Die sagen, sie reisen mit, sie organisieren eine Party und dann gibt es eben nach dem Konzert meistens in irgendwelchen Städten noch diese After-Show-Party. Und das spricht sich dann rum während dem Konzert, da werden auch Flyer verteilt von den Organisatoren. Das heißt, da wird irgendeine Kneipe in der Stadt angemietet oder wie auch immer. Und wenn es mir danach ist, dann besuche ich die auch gerne einmal.

    Bargon: Am 1. Oktober 1999 haben Sie Ihr Abschiedskonzert in der Stuttgarter Schleierhalle - natürlich ausverkauft - gegeben, um sich anschließend musikalisch neu zu orientieren. Was für Musik haben Sie dann gemacht?

    Kuhn: Ja, diese 01 Platte, die wir gemacht haben, es war eigentlich so eine Deutsch-Rock-Geschichte. Also ein bisschen Deutsch-Pop, Deutsch-Rock. Wir wollten so ein bisschen was Eigenes machen. Wir haben eigene Songs gespielt, die geschrieben wurden für mich und von den Textern und Komponisten, die ich sehr schätze. Da kam auch eine ganz tolle Platte dabei raus und wir sind auf Tour gegangen. Es waren, glaube, ich so zehn, zwölf, 15 Konzerte, ich weiß es nicht mehr ganz genau. Und in dieser Zeit habe ich plötzlich gemerkt, dass diese neue Art der Musik, wie wir sie dann interpretiert haben - da ist uns der Spaß abhandengekommen. Obwohl die Platte wie gesagt sehr schön war, tolle Songs. Und die Band und ich waren uns irgendwann einig und haben gesagt, hey was machen wir da? Das sind nicht wir. Plötzlich kamen die Medien und plötzlich waren wir in Vergleichen drin mit den anderen Deutsch-Poppern -Rockern, mit Pur in einen Topf. Und das wurde mir dann zu viel, wo ich dachte, nein, so war das nicht angedacht. Wir machen Musik zum Spaß und der Spaß war weg.

    Bargon: Und das Publikum ist aber auch nicht gefolgt, oder?

    Kuhn: Doch, das Publikum ist schon mit. Dass es natürlich nicht diese Dimension hat, diese Größe, die wir verlassen hatten, das war ganz klar. Aber es war einfach ganz klar für uns zu erkennen, es macht uns keinen Spaß und vielleicht waren es dann natürlich auch die Reaktionen der Fans. Wenn ich selber den Spaß nicht transportiere, wie soll dann was ankommen? Und für mich war dann die ganz logische Konsequenz, dass wir diese Geschichte lassen müssen.

    Bargon: Oder fühlten Sie sich quasi in Ihrer eigenen Kunstfigur gefangen? Also ich weiß von David Bowie, der hatte ja mal diesen Ziggy Stardust erfunden und hatte irgendwann wirklich Identitätsprobleme, wer bin ich jetzt eigentlich gerade?! Geht es Ihnen manchmal auch so oder ging es Ihnen manchmal auch so?

    Kuhn: Nein, eigentlich nicht. Also ich habe schon gemerkt, dass dieser Dieter Thomas Kuhn ein ganz großer Teil von mir geworden ist. Ich habe am Anfang immer gesagt, ja das ist eine Kunstfigur, das kann ich ganz klar trennen, aber ich habe gemerkt, das ist nicht so für die Menschen. Selbst wenn ich jetzt so unterwegs bin, wie Sie mich jetzt sehen, bin ich für die Leute Dieter Thomas Kuhn, ob ich die Föhnwelle habe oder nicht. Und das ist in diesen vielen Jahren so verwachsen, dass ich es selber gar nicht mehr trennen konnte und einfach auch festgestellt habe, dass der Spaß an der Musik, der Spaß an der Band, das ist nur dann so, wenn wir diese Schlager spielen.

    Bargon: Ich habe Sie beim Freiburger Zelt-Musik-Festival im Zirkuszelt gesehen, da hat Keb' Mo' gespielt, ein großer Bluesmusiker. Sie haben da wie ein Fan gelauscht. Was ging Ihnen da durch den Kopf? Irgendwie, der kann machen, was er will und ich muss quasi diese Erwartungen des Publikums bedienen oder haben Sie sich einfach gefreut. Mann, der hat den Blues?

    Kuhn: Also erstens kann ich auch machen, was ich möchte, das mache ich ja auch. Ich war mal wieder angetan, so ein schönes Blues-Konzert zu sehen. Weil ich das jetzt wirklich schon lange nicht mehr hatte. Ganz erstaunt bin ich - also ich war ganz weit hinten - und ich dachte der Typ sei irgendwie Mitte dreißig und habe jetzt gehört, der ist ja schon sechzig. Es hat mich sehr beeindruckt, was für eine Performance er da macht und außerdem einfach eine ganz leichte, coole Musik - toll, ich fand es gut!
    Bargon: Gibt so etwas auch Hoffnung selber bis 60, 65, 66 auf der Bühne stehen zu können?

    Kuhn: Ja, also die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich hoffe natürlich, dass wir da auch Durchhaltevermögen haben. So gut wie Keb' Mo' werde ich mit 60 wahrscheinlich nicht mehr aussehen, aber das macht nichts. Solange wir Spaß an der Musik haben, werden wir es versuchen.

    Bargon: Viele Künstler wollen ihr Privatleben ja ganz für sich behalten. Wie sieht das bei Ihnen aus? Sie sind sehr viel auf Tournee, haben aber eine kleine Familie.

    Kuhn: Ich habe eine Familie, ja. Ich bin auf meine späten Tage Vater geworden. Ich habe mir quasi zum 40. Geburtstag damals ein Kind geschenkt so zu sagen. Und ich muss sagen, es ist das Beste, was mir passieren konnte.

    Bargon: Ein kleines Mädchen, sieben Jahre alt?

    Kuhn: Genau.

    Bargon: Wie findet die ihren Vater, wenn er auf der Bühne steht?

    Kuhn: Im Augenblick himmelt sie mich noch an, und wenn wir unterwegs sind, sie liebt es sehr auch mal das ein oder andere Konzert zu besuchen und sie ist auch schon sehr früh dabei gewesen auf den Konzerten.

    Bargon: ...und kann jedes Lied mitsingen?

    Kuhn: Sie kann eigentlich jedes Lied mitsingen, ja.

    Bargon: Vielen Dank für das Gespräch.

    Kuhn: Danke auch.