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"Die Frage stellt sich heute nicht"

Angesichts mieser Umfragewerte und harscher interner Kritik an Guido Westerwelle wirft Juli-Vorsitzender Lasse Becker seiner Partei vor, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Parteichef Westerwelle stehe jedoch derzeit nicht zur Disposition.

Lasse Becker im Gespräch mit Christian Bremkamp | 13.12.2010
    Christian Bremkamp: Dauerhaft miese Umfragewerte, ein Maulwurf der US-Botschaft mitten in der Parteizentrale, in der FDP rumort es und die Kritik an der Führungsriege in Berlin wird immer lauter. Bisheriger Höhepunkt: In einem "Spiegel"-Interview bringt der Fraktionschef der schleswig-holsteinischen FDP den Zustand der Partei in Verbindung mit der untergehenden DDR. Starker Tobak also, der in Berlin verständlicherweise für wenig Freude gesorgt hat. Am Telefon begrüße ich jetzt Lasse Becker. Er ist der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. Guten Tag, Herr Becker.

    Lasse Becker: Schönen guten Tag!

    Bremkamp: Herr Becker, ist die FDP in Auflösung begriffen?

    Becker: Ich denke nicht, weil da teile ich auch die Einschätzung von Wolfgang Kubicki nicht. Ich sehe zumindest bei mir im Kreisverband vor Ort weder bei der FDP noch bei den Jungen Liberalen riesige Austrittswellen, sondern im Gegenteil. Zum Beispiel bei den Jungen Liberalen haben wir immer noch einen Zuwachs an Mitgliedern, auch wenn die Situation ohne Zweifel nicht besonders gut momentan ist.

    Bremkamp: Wie erklären Sie sich diesen Zuwachs?

    Becker: Ich glaube, weil wir es geschafft haben, dass gerade bei den Jungen Liberalen immer noch man sagt, wir kritisieren konstruktiv. Wir gehen eben hin und sagen, wir müssen mehr Inhalte umsetzen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen, und wir müssen da dann auch den Finger in die Wunde legen, wo Kommunikationspannen geschehen sind. An den Stellen müssen wir dringend arbeiten und müssen da besser werden, und das sind ohne Zweifel viele Punkte.

    Bremkamp: Aber das hat Herr Kubicki doch gerade gemacht?

    Becker: Ich glaube, Wolfgang Kubicki hat mit seiner Fehleranalyse manchen Punkt aufgegriffen, den wir Jungen Liberalen schon im Sommer kritisiert haben, gerade was die Kommunikation von Inhalten angeht. Allerdings muss man dann auch sagen, der konstruktive Lösungsansatz, der fehlt an vielen Stellen dahinter. Er könnte zum Beispiel selbst eine Menge tun für die Glaubwürdigkeit der FDP, wenn er jetzt im schleswig-holsteinischen Landtag sich mit der Frage des Jugend-Medienschutz-Staatsvertrages, die dort gerade aktuell steht, beschäftigen würde, und das wäre aus meiner Sicht auch ein konstruktiver Beitrag. Und wir müssen dann eben aber auch schauen, wie wir über die Fehleranalyse hinaus es schaffen, dass die Punkte, die durchaus richtig sind, wie zum Beispiel die fehlende Wahrnehmung bei der Wehrpflicht, dass wir da präsenter werden als Liberale.

    Bremkamp: Wie ist denn Ihr Beitrag? Wie wollen Sie denn die Partei wieder auf die Beine bringen?

    Becker: Wir als Junge Liberale haben bei unserem Kongress zum Beispiel - gerade auch ein Punkt, der von Kubicki angesprochen wurde – sehr intensiv über auch komplizierte Fragen wie Finanzmarktregulierung gestritten bei unseren Kongressen, weil da eben die Herausforderung jetzt ist, dass man Lösungsansätze liefern muss. Die Wählerinnen und Wähler sind davon enttäuscht, dass die FDP vor der Wahl gesagt hat, wir sind der Motor dieser Regierung, und zu wenig da in die Umsetzung gebracht hat. Da werden wir als Julis die FDP auch treten, dass wir eben jetzt neben der Wehrpflicht, was ein wichtiger Punkt ist, dass man die Wehrpflicht ausgesetzt hat, dass wir daneben auch noch bei anderen Punkten, bei der Steuervereinfachung, beim Schutz der Bürgerrechte, wirklich präsent sind und da auch Dinge umsetzen. Das muss man auch dann gegen die Union an mancher Stelle umsetzen, und daran werden wir natürlich mitarbeiten.

    Bremkamp: Aber, Herr Becker, kann es nicht auch sein, dass die Menschen im Land einfach keine Lust mehr auf eine FDP haben, die sich so vorrangig um Wirtschaftsbelange kümmert?

    Becker: Ich glaube, die Frage thematische Verbreiterung ist sehr, sehr richtig. Da haben Sie recht, wenn Sie sagen, wir müssen auch in anderen Themen präsenter sein. Ich habe eben zum Beispiel den Schutz der Bürgerrechte genannt. Ich glaube, auch Fragen der Nachhaltigkeit sind für uns sehr wichtig. Aber ich glaube, die Menschen haben in erster Linie keine Lust darauf, eine Partei zu sehen, die sich nur noch mit sich selbst beschäftigt, wo dann im "Spiegel" die Hälfte eines Interviews sich mit den Auflösungserscheinungen und unsäglichen Vergleichen dort beschäftigt. Wir müssen es schaffen, dass wir jetzt in der Tat an den Inhalten ansetzen, dass wir da hart für streiten, und ich will auch, sage ich ehrlich, im kommenden Frühjahr keinen Harmonieparteitag. Ich will einen Parteitag, wo wir über Inhalte und über Personal kontrovers diskutieren. Nur das werden wir nicht tun, wenn wir das schon ein Dreivierteljahr vorher über die Öffentlichkeit austragen.

    Bremkamp: Aber diesbezüglich: Ist die Parteispitze dafür personell richtig aufgestellt?

    Becker: Ich glaube, die Frage müssen wir im kommenden Frühjahr diskutieren, wie wir möglichst gut aufgestellt dort reingehen können, mit mehr Köpfen, wo vielleicht auch nicht zwingend jeder in der Parteiführungsspitze immer in einer Regierungsdisziplin, egal ob auf Landes- oder Bundesebene, eingebunden sein sollte. Aber auf der anderen Seite: Das ist eine Frage, die steht dann an, wenn wir im Mai Parteitag haben, und die steht nicht an, jetzt quasi die gesamte Winterpause über zu führen, und wir müssen jetzt die Fehler abstellen. Wir haben gerade in der Kommunikation natürlich auch Fehler gemacht, aber der Hauptfehler bleibt, wir haben zu wenig Inhalte umgesetzt, und dann kommt noch obendrauf, dass wir in der Tat auch schlecht kommuniziert haben und dass wir intensiver auch da den Kontakt, oder dass die Parteiführung da intensiver manchen Kontakt vielleicht auch an die Basis braucht.

    Bremkamp: Sollte Guido Westerwelle den Parteivorsitz abgeben?

    Becker: Die Frage stellt sich heute nicht.

    Bremkamp: Warum?

    Becker: Ich glaube, wir müssen dringend wegkommen, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Wir müssen die Frage stellen im kommenden Frühjahr, was wollen wir inhaltlich, was ist das Gesamtkonzept, was wir umsetzen wollen in dieser Regierung. Dieses Konzept, da müssen wir dann schauen, wie schaffen wir es beim Parteitag mit einer möglichst guten Mannschaft, das in Umsetzung zu bringen. Da ist die Frage einzelner Personen eine Frage, die man dann diskutieren muss, wenn der Parteitag ansteht.

    Bremkamp: Ich frage noch mal: Braucht diese Mannschaft neue Spieler?

    Becker: Ich glaube, eine Mischung der Spieler ist in der Tat wichtig. Aber das ist eine Frage, wo man dann anschauen muss, wenn die Aufstellung gemacht wird. Wir müssen diese Frage nicht quasi ein halbes Jahr medial diskutieren, und da ist ja auch der Lösungsansatz von Wolfgang Kubicki sehr eindeutig, indem er sagt, ja, wir bräuchten neue Spieler, aber eine Idee habe ich da jetzt auch nicht und ich will es auch nicht machen.

    Bremkamp: Wie erleben Sie denn eigentlich den Bundesvorstand in Berlin, wenn Sie sagen, liebe Kollegen, da läuft was falsch, wir müssen das und das ändern? Ist da Offenheit, die Ihnen entgegengebracht wird, oder eher nicht?

    Becker: Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Das hängt, glaube ich, auch von der Kritik ab, die man dort übt. An mancher Stelle, an der ich auch persönlich einzelne Akteure kritisiert habe, fällt es vielleicht dem einen oder anderen schwerer, die Kritik anzunehmen, aber in Gänze habe ich den Eindruck, dass man in dem Gremium durchaus Kritik anbringen kann, wobei man eher teilweise, glaube ich, an dem Klima der Zusammenarbeit auch noch weiter arbeiten könnte, dass vielleicht manches auch nicht unbedingt dann hinterher am nächsten Tag in irgendeiner Zeitung stehen sollte.

    Bremkamp: Können Sie das ein bisschen erläutern?

    Becker: Na ja, ich habe durchaus den Eindruck, dass ich in Gremiensitzungen der FDP häufiger reingehe und mir die Frage stelle, das, was ich jetzt hier sage auf Bundesebene, das könnte am nächsten Tag auch in der Zeitung stehe, und das ist für eine Gremienarbeit einfach nicht besonders gut, wobei das, glaube ich, in einem großen Gremium immer ein Problem ist, aber ein Problem, an dem wir auch arbeiten sollten, damit wir eben dann auch wirklich diskutieren können, offen und sehr, sehr ernsthaft diskutieren können, was sind die Fehler, die wir gemacht haben, wie haben wir uns zum Beispiel ungeschickt in der Kommunikation mancher Frage wie jetzt im Umfeld von Wikileaks verhalten, wie können wir in den Punkten besser werden. Das ist, glaube ich, etwas, wo wir auch am Diskussionsverhalten noch arbeiten müssen.

    Bremkamp: Sagt Lasse Becker im Deutschlandfunk. Er ist der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Becker: Vielen Dank.

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