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"Die geben dir eine Tüte mit Nudeln, Obst oder Milch"

Jeder vierte Spanier gilt inzwischen als armutsgefährdet, mehr als acht Millionen Bürger suchen in ihrer Not Hilfe bei den städtischen Sozialämtern. Das bedeutet, dass viele auf kostenlose Lebensmittel angewiesen sind.

Von Hans-Günter Kellner | 16.10.2012
    H-Milch, Säfte, Reis und Fertiggerichte stapeln sich in hohen Regalen. Das Lager gehört der sogenannten Lebensmittelbank, einer Organisation, die gespendete Nahrungsmittel sammelt und an andere Hilfswerke weiterleitet. Die Nachfrage ist riesig. Im letzten Jahr hat die Organisation mehr als 10.000 Tonnen verteilt - und trotzdem reicht die Hilfe für gerade mal für 20 Prozent der Bedürftigen. Rosa Vinagre, Sprecherin der Lebensmittelbank in Madrid, erklärt:

    "Wenn wir von Hunger sprechen, denken wir an Bilder aus Afrika. Das gibt es hier nicht. Aber bei manchen reicht das Geld nur noch für eine Mahlzeit am Tag. Andere verzichten auf das Frühstück. Was wir heute oft sehen: ein junges Ehepaar mit einem Kind, beide arbeitslos. Bevor sie ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können, sparen sie am Essen. Lebensmittel bekommen sie ja auch über die Hilfswerke, die Wohnung würde im Notfall niemand zahlen."

    Und so verteilen in Madrid mehr als 400 Hilfswerke Nahrung, die sie von der Lebensmittelbank bekommen. Das Essen stammt aus Überschussproduktionen der Europäischen Union, aber zum größten Teil aus Spenden, von Unternehmen und auch Privatleuten:

    "Die Menschen sind mit der Krise solidarischer geworden. Die Probleme treffen jetzt einfach jeden. Früher konnte man denken, dass Arbeitslosigkeit und soziale Not weit entfernt sind. Heute kennt jeder jemanden in der Familie oder im Freundeskreis, der entlassen worden ist oder die Wohnung nicht mehr bezahlen kann. Das schärft das Bewusstsein, wir merken das."

    Weil in den Sozialämtern die Kassen leer sind, sind oftmals die karitativen Organisationen die letzte Anlaufstelle. Vor dem Hilfswerk Acogem unweit des Atocha-Bahnhofs von Madrid stehen die Menschen seit vier Uhr morgens in einer langen Schlange um Essen an. So auch Paloma, die aus der Dominikanischen Republik stammt:

    "Das Essen reicht nur für kurze Zeit, für einen oder zwei Tage, mehr nicht. Ich suche hier eigentlich vor allem Arbeit. Wenn ich da ein bisschen Lebensmittel mitnehmen kann, gut. Aber selbst wenn ich heute zu essen bekomme, löst das meine Probleme nur für einen Augenblick. Ich brauche Arbeit. Das ist so dringend. Ich lebe schon so lange hier und musste nie irgendwo um etwas bitten."

    Diese zwei Männer aus Ecuador sind noch früher gekommen, stehen darum etwas weiter vorne in der Reihe:

    "Die geben Dir eine Tüte, mit Nudeln, Obst oder Milch, solche Sachen. Manchmal geben sie dir auch zwei Tüten. Aber das reicht nie länger als für drei Tage. Es werden immer mehr Leute, die hier anstehen. Damit jeder was bekommt, gibt es für jeden Einzelnen eben weniger."

    "Früher gab's Reis, Zucker und solche Sachen, aber jetzt nicht mehr. Ein bisschen Nudeln, eine Tüte Milch, es ist sehr wenig. Das reicht für zwei oder drei Tage. Es kommt darauf an, wie viel man isst. Wir gehen aber auch zu anderen Organisationen. Da bekommen wir dann noch ein bisschen mehr. Aber so oder so muss man Lebensmittel dazu kaufen."

    Doch mit den 450 Euro Sozialhilfe für eine ganze Familie müssen auch Wohnung, Kleidung oder Schulbücher bezahlt werden. So bleiben die Bedürftigen auf die Lebensmittelverteilung angewiesen und ziehen an einem Tag zur Caritas, am nächsten zum Roten Kreuz oder der evangelischen Kirche und freitags eben zu Acogem. Dort erzählt im überfüllten Büro die Leiterin, Celia Fernández, von ihren Sorgen:

    "Wir kaufen Lebensmittel mit privaten Spenden. Dann bekommen wir noch Nahrungsmittel vom Roten Kreuz - aber nur alle drei oder vier Monate. Die Lebensmittelbank gibt uns drei Mal im Monat etwas. Heute hätte sie uns eigentlich frisches Obst geben müssen. Aber heute es gab kein's, es kamen Zwiebeln und Knoblauch."

    Und sie kann niemandem versprechen, dass es besser wird. Draußen blicken die Menschen in ihre kaum gefüllten Einkaufstüten. Der Lohn für die vielen Stunden Anstehen fällt dürftig aus:

    "Ein paar Karotten, Zwiebeln, zwei Knoblauchköpfe, zwei Pfirsiche und zwei Pflaumen. Das reicht vielleicht für zwei Stunden."