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"Die Gefahr besteht auch in Demokratien"

Die Menschenrechte dürfen nach den Worten des zuständigen Beauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, trotz der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht aufgeweicht werden. Sie müssten auch für Terrorverdächtige gelten, sagte der CDU-Politiker zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. In Demokratien bestehe die Gefahr, dass Sicherheit für wichtiger gehalten werde.

Günter Nooke im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.12.2008
    Sandra Schulz: Der Tag gilt als Meilenstein im Kampf für die Menschenrechte, obwohl die Erklärung rein rechtlich gesehen nicht verbindlich ist. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist das Dokument mit Übersetzungen in mehr als 360 verschiedene Sprachen der meist übersetzte Text der Welt: die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Heute vor 60 Jahren, am 10. Dezember 1948, trat Eleanor Roosevelt, die Witwe des ehemaligen US-Präsidenten, vor den Vereinten Nationen ans Rednerpult.

    Eleanor Roosevelt: Präambel. Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie inne wohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet, verkündet die Generalversammlung die vorliegende allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal. - Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

    Schulz: Eleanor Roosevelt, die Vorsitzende des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen, heute vor 60 Jahren. - Wie weit sind wir seitdem gekommen? Darüber wollen wir jetzt sprechen mit Günter Nooke. Er ist der Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung und mir nun telefonisch zugeschaltet. Guten Morgen!

    Günter Nooke: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Nooke, ist Ihnen heute Morgen zum Feiern zumute?

    Nooke: Etwas schon. Diese Idee universal geltender Menschenrechte, alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren, unabhängig von Herkunft, unabhängig unter welchen Umständen sie leben, gleich welche körperlichen und geistigen Leistungen und Fähigkeiten sie besitzen, das ist schon eine Idee, die lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Insofern gibt es schon insgesamt über die 60 Jahre gesehen eine positive Bilanz zu ziehen. Wenn ich allerdings daran denke, was mir so auf den Tisch kommt, alltäglich und auch in den letzten Tagen, dann fällt die Bilanz natürlich durchwachsen aus. Zum 60. Jahrestag geht es mir aber schon eher darum, dazu aufzurufen, diese Idee der Universalität, dass es nämlich für alle Menschen überall auf der Welt gilt, noch mal zu verteidigen oder dazu aufzurufen, sie zu verteidigen, damit es eben nicht nur immer wieder neue Menschenrechte gibt, die wir erfinden, und schöne Konventionen, die in irgendwelchen UN-Texten oder nationalen Verfassungen und Gesetzen stehen, sondern dass wirklich ein elementarer Menschenrechtsschutz für alle Menschen überall endlich durchgesetzt wird, denn zwischen Wirklichkeit für den einzelnen vor Ort und dem, was wir für schöne Reden halten oder Gesetze und Texte schreiben, gibt es doch einen großen Unterschied.

    Schulz: Herr Nooke, was kommt Ihnen denn auf den Schreibtisch?

    Nooke: Wenn ich sehe, dass zum Beispiel in Venezuela der Präsident jetzt meint, dass doch Partei und Staat jetzt dafür sorgen sollen, dass er bis 2021 quasi weiterregieren kann - er hat sich ja schon quasi Ermächtigungsgesetze besorgt -, wenn ich sehe, dass in St. Petersburg das Büro der "Memorial"-Menschenrechtsorganisation quasi durchsucht wurde, eine Razzia gemacht wurde, wo Archivmaterial und Dateien beschlagnahmt wurden, wenn ich sehe, dass in Birma, wo die Mönche im September/Oktober 2007 demonstrierten, jetzt über 215 Menschen verurteilt wurden, ein Mönch zu 88 Jahren, sechs überhaupt zu lebenslanger Haft, das ist alles etwas, wo ich sage, natürlich müssen wir darüber reden - und der ganze Kontinent Afrika ist noch gar nicht erwähnt. Nehmen Sie nur Simbabwe als Beispiel, wo ein Friedensnobelpreisträger und Bischof Tutu aus Südafrika im Grunde dazu aufruft, Mugabe mit militärischen Mitteln zu entmachten, dann sehen Sie, wie viele Probleme gerade auch mit autoritärer und diktatorischer Herrschaft bestehen, wie viel Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzer noch tagtäglich nicht nur üblich ist, sondern ja auch Leute ermutigt, weiter Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Da sind wir mit dem Strafgerichtshof aber in den letzten zehn Jahren auch wieder ein Stückchen weitergekommen, wenn Sie nur daran denken, dass auch ein Präsident wie El-Baschir im Sudan sich eventuell dort verantworten muss. Also ich glaube, die Bilanz ist schon so, dass wir auch heute viele Menschenrechtsverletzungen noch deutlicher wahrnehmen als früher, auch durch Medien natürlich, andererseits aber auch nicht vergessen sollten, dass es Fortschritte gibt. Das geht aber nur sehr langsam.

    Schulz: Ja, Herr Nooke. Wir wollen auch die Situation hier in Deutschland in den Blick nehmen. Es hat gestern eine ziemlich deutliche Aussage von Bundespräsident Horst Köhler gegeben. Er hat gewarnt: Wo Menschenrechte verletzt würden, dürften wir nicht schweigen, was auch für unser eigenes Land gelte. Wissen Sie, was er damit meint?

    Nooke: Natürlich gibt es auch in Demokratien, auch in Rechtsstaaten Menschenrechtsverletzungen, aber ich will schon noch mal deutlich machen, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt, ob Staaten selbst systematisch Menschenrechte verletzen, oder ob in einigen Gegenden dieser Welt überhaupt nicht Staaten existieren wie im Ost-Kongo, wo vielleicht der Schutz der Zivilbevölkerung dann gar nicht organisiert werden kann, oder ob es einzelne Verletzungen gibt, oder eben Probleme, die wir natürlich ernst nehmen müssen, bei der Terrorismusbekämpfung in Deutschland, auch bei der zum Beispiel Pflege älterer Menschen. Das sind aber keine Menschenrechtsverletzungen in dem Sinne, wo der Staat irgendwie jetzt bewusst Menschen nicht so behandelt, wie es ein Recht auf Nahrung, auf Gesundheit, auf Bildung vorsieht. Ich denke, dass aber natürlich ein Problem der Europäischen Union auch darin besteht, wie wir mit Migranten, die aus Nordafrika zum Beispiel zu uns kommen, über das Mittelmeer oder andere Wege, umgehen. Insofern: Keine Demokratie hat eine völlig reine Weste. Aber ich denke, wir sollten auch an diesem Tag den Rechtsstaat und den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und sozialen Rechtsstaat, in dem wir hier in Deutschland leben, nicht gering achten. Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren in meiner Tätigkeit zo viel Elend in der Welt gesehen, als dass ich hier zu sehr die deutsche Position an diesem Tag heute thematisieren würde.

    Schulz: Eine Geringschätzung soll das gewiss nicht sein, Herr Nooke, aber die Beobachtungen aus den letzten Monaten, aus dem letzten Jahr zeigen doch, es gibt zum Beispiel in Deutschland eine neue Debatte über Folter. Kann man davon sprechen, dass die Menschenrechte in Deutschland wirklich noch an Boden gewönnen?

    Nooke: Ich glaube, dass es keinen einzigen verantwortlichen Politiker oder sogar ein Mitglied der Bundesregierung gegeben hat, das laut über irgendwie Folter nachgedacht hat. Das absolute Folterverbot gilt. Dass dies in wissenschaftlichen, juristischen Kreisen diskutiert wird, ist eine andere Situation. Was wichtig ist, ist, dass wir nicht plötzlich denken - und das ist die Gefahr; deshalb habe ich gesagt, wir müssen die Universalität der Menschenrechte retten -, kollektive Sicherheit in Deutschland ist plötzlich wichtiger als der Schutz der Privatsphäre und auch natürlich die persönlichen Freiheitsrechte beim Kampf gegen den Terrorismus weiter zu achten. Das ist der entscheidende Punkt, dass wir im Kopf wirklich wissen, Menschenrechte sind Rechte, die jedem einzelnen Menschen erst mal zustehen, ob er jetzt verdächtigt ist, eine Straftat begangen zu haben oder nicht. Wir können auch nicht sagen, jetzt wird gegen den Terrorismus ein großer Kampf angesagt und dann gelten für einige diese Menschenrechte nicht mehr. Das ist die große Gefahr, dass wir im Kopf plötzlich nicht mehr diese fantastische Idee, dass alle Menschen frei und an Würde und Rechten gleich geboren sind, diesen Universalitätsanspruch nicht mehr wirklich ernst nehmen. Die Gefahr besteht, glaube ich, auch in Demokratien, wenn man sich selbst verteidigen will.

    Schulz: Der Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung, Günter Nooke, heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank.