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Die Gefahr der Liebe

"Der Jongleur" entführt in die Welt der Gaukler und Tänzer, der Variétés und Cafés, und in die Welt der mystischen Momente. Zum dritten Mal hat Margriet de Moor eine Erzählung dem Thema Gefahr gewidmet, diesmal geht es um die Gefahr der Liebe. Die niederländische Autorin ist eine Virtuosin der leisen Worte und der zarten Andeutungen.

Von Simone Hamm | 07.05.2008
    In der kleinen Pension in Amsterdam wohnen Artisten: Gaukler, Tänzer, Kraftmenschen, Zwerginnen. Sie arbeiten in verschiedenen Varietés und Cafés. Es ist Nachkriegszeit, es ist Winter und es ist kalt. "Der Jongleur" heißt der neue, kleine Roman von Margriet de Moor.

    Zwei Grundthemen ziehen sich durch das schmale Buch: zum einen die Gefahr, die lähmen kann und ängstigen, zum anderen die magischen, die mystischen Momente - der Moment, in dem sich jemand verliebt, der Moment, in dem jemand starke Zuneigung fasst oder blanke Ablehnung empfindet. Margriet de Moor:

    "Das ist, was mich interessiert hat, warum man auf den ersten Blick jemanden gerne mag, Sympathie spürt - und jemand anderen überhaupt nicht. Dann ist noch nichts zwischen diesen Menschen, zwischen dir und dem anderen, passiert. Da haben wir den Jongleur Peter Newton, und wir haben einen Zauberer Charles Bluut. Und als Charles Bluut so hereinkommt in diese Pension, da sieht er auf dem Dachboden in einer Lichtecke den Jongleur, der trainiert. Und von diesem Moment an - und da haben wir es, das ist so ein mysteriöses Moment - von diesem Moment an spürt Charles das Bedürfnis, sich anzufreunden mit dem Jongleur. Umgekehrt ist es völlig anders: Peter, der Jongleur, mag diesen Zauberer überhaupt nicht."

    Der Zauberer Charles Bluut steigert sich hinein in die Faszination, die er für den Jongleur empfindet, verfolgt ihn, lauert ihm auf, lässt ihn sogar verprügeln. Und dann will er der strahlende Held sein, der Peter Newton retten wird.

    "Pieter (…) hatte nie gewusst, dass die Vertraulichkeit eines Mitmenschen unheilvoll wie eine Nachtlandschaft sein konnte."

    Margriet de Moor arbeitet mit einem außergewöhnlichen Stilmittel. Sie benutzt nicht den inneren Monolog, sondern den inneren Dialog:

    "Ich habe das Buch sehr spielerisch geschrieben. Es gibt oft einen Dialog interieur. Bekannt in der Literatur ist natürlich der Monolog interieur. Aber hier gibt es so Dialoge, die scheinen aus der Luft zu kommen."

    Der Zauberkünstler ist dem Jongleur gefolgt. Sie sitzen in der Straßenbahn. Der Zauberer erzählt von seinem Vater. Denken tut er etwas ganz anderes:

    "'Weißt Du, heute Abend treffe ich mich mit dem Mädchen, in das Du verliebt bist. Das finde ich, um die Wahrheit zu gestehen, ganz besonders aufregend (…). Du und ich, wir haben etwas ganz reizendes gemeinsam.' Peter rührte sich nicht. Was sollte er mit der Biografie des Zauberkünstlers, die ihm hier aufgedrängt wurde? (…) Der Unmut, dass er hier neben einem Klotz von Mann eingeklemmt war, der irgendetwas Unergründliches von ihm wollte, braute sich zusammen zu einem gewaltigen 'Nein!'."

    In der Pension lebt auch Daisy, eine junge blasse polnische Frau, die eigentlich nichts Besonderes an sich hat und nichts Besonders kann. Sie nennt sich Miss Daisy, ist Tänzerin und arbeitet im Varieté. Der bleiche, schmale Jongleur beobachtet sie genau. Margriet de Moor:

    "Er ist sehr blass, er ist ein bisschen wie ein Engel, so etwas. Er ist nicht völlig menschlich, würde man sagen. Und dann hat er sich verliebt in Daisy, und Daisy liebt ihn nicht. Sie ist erotisch angezogen von dem Zauberer, weil sie nach seinen Händen schaut. Das sind Hände, die manipulieren - auf eine ganz andere Weise als Peters Hände -, die sind natürlich auch immer wichtig bei dem, was er macht. Daisys Blick fiel auf die Hände des Zauberers - da haben wir es wieder, das magische Moment - und in diesem Moment hat sie sich verliebt in ihn."

    Der Zauberer ist nicht wirklich interessiert an Daisy. Aber geschmeichelt. Er will sie benutzen. Er will er sie dem Jongleur weitergeben, sozusagen als Opfergabe. Das hat etwas Tragisches, aber auch Hochkomisches. Als der Zauberer Daisy verführt, bittet er sie, die Vorhänge offen zu lassen. Er möchte aus dem Fenster gucken. Denn dann kann er die Bälle des Jongleurs sehen, der im Hof übt, die Bälle, die hochschießen und herabfallen.

    "Die Nummer eins im Kartenspiel der Wahrsager ist meist der Jongleur, der Gaukler, der etwas weiß, was im restlichen Spiel noch verborgen ist."

    Margriet de Moor: "Was mich fasziniert hat, ist das Jongleurspiel. Jongleure haben immer Angst. Ich habe das auch erlebt in einer Pension, wo viele Artisten wohnten. Dort hat man in der Küche immer gemütlich Kaffe getrunken, miteinander geredet. Alle Artisten zusammen. Nur der Jongleur war niemals dabei – der war immer auf seinem Dachboden, dort, wo genügend Raum war, um zu üben. Er hat immer geübt. Er hat immer Angst gehabt… Er hat mehr Angst als Trapezartisten."

    Und das ist das zweite große Thema der Margriet de Moor: die Angst, die Gefahr.

    "(Die Artisten) sind Menschen, die wussten, dass sie am Abend etwas vollbringen mussten, etwas Schnelles, Schweres, Hohes oder einfach auf den Kopf Gestelltes, jedenfalls etwas, das auf keinen Fall schief gehen durfte. Einige lagen noch im Bett und sannen über sehr schöne, hypothetische Verfeinerungen nach, andere tasteten in ihren Träumen die vergangenen Jahre nach den Momenten ab, bei denen alles gut ging, wirklich alles, und das Leben, dieses flehende Tier, plötzlich eine weißglühende Zunge hervorstieß."

    Drei kurze Romane hat Margriet de Moor zum Thema Gefahr geschrieben: In der "Verabredung" betrügt ein Tierarzt seine Frau. Diese Frau verunglückt tödlich. Hat sie etwas geahnt? Was sie wirklich hat sie wirklich gewusst? In der "Kreutzersonate" schießt sich ein junger Mann aus Liebeskummer eine Kugel in den Kopf - er überlebt schwer verletzt und erblindet. Jahre später verliebt er sich erneut - in eine junge Geigerin. Er ist blind auch vor Eifersucht und es geht eine tödliche Gefahr von ihm aus.

    Margriet de Moor: "In der 'Verabredung' ist es eine Straße, die gefährlich ist – auch etwas völlig Absurdes. Die Hauptfigur von der 'Verabredung', das ist kein Mensch, das ist eine Strasse, eine gefährliche Strasse, die viele tödliche Opfer fordert. In der 'Kreutzersonate' ist die Gefahr die Musik. Die Musik benimmt sich in der 'Kreutzersonate' ziemlich schlecht. Und dann ist hier im 'Jongleur' die Gefahr der Dinge. Das Buch 'der Jongleur' ist über Dinge. Das sind diese Keulen, diese Sachen, die, wenn Peter das nicht ganz virtuos macht, dann fallen sie. Das Muster das er macht, wirkt nicht mehr. Das ist die Gefahr. Und natürlich verbunden damit – die Gefahr der Liebe."

    "Die Verabredung" ist ein Roman, der von trügerischer Sicherheit, geheimen Wünschen, Tod und Verrat handelt. In der "Kreutzersonate" zieht Margrit de Moor die Leser langsam hinein in einen Strudel aus Leidenschaft, Eifersucht, Wahnsinn und Janacek Musik. Auch in "Der Jongleur" kommt die Bedrohung nicht plötzlich. Wie gefährlich die Hingabe an den Beruf, wie gefährlich eine unerwiderte Liebe sein kann, dass zeigt sich erst nach und nach.

    Margriet de Moors Liebesgeschichte ist noch nicht einmal 200 Seiten lang. Ihre Sprache ist kurz, knapp und dabei unerhört elegant. Da gibt es kein überflüssiges Wort, keine unnötige Seitenhandlung. Die niederländische Autorin ist eine Virtuosin der leisen Worte, der zarten Andeutungen. Doch die Spannung steigert sich, das Grundmotiv, die Gefahr kristallisiert sich immer deutlicher heraus: Zunächst übt der Jongleur nur wie ein Besessener, der Kraftmensch hat nur ein bisschen Fieber, Daisy ist zunächst nur fasziniert von dem Zauberer und genießt seine Nähe. Aber die Übungen, das Fieber, das Verliebtsein sind gefährlich. Ganz langsam entwickelt Margriet de Moor den Albtraum. Geheimnisvoll ist Margriet de Moors Geschichte, und noch lange nicht jedes Rätsel wird gelöst.

    So erfahren wir nichts über die Zimmerwirtin Mevrow Minna - außer dass sie die Musik von Hörnern liebt. In der ganzen Pension hört man Hornkonzerte. Hat sie einmal einen Hornisten geliebt?

    Margriet de Moor: "Frau Minna ist natürlich auch eine sehr mysteriöse Frau. In der ganzen Erzählung wird von den Artisten erzählt. Und dann ganz am Ende dreht das Bühnenlicht auf Frau Minna. Und - was muss das Licht zeigen? Das Licht kann nichts zeigen. Man hört nur. Man hört nur die Hornmusik. Das ist Frau Minna. Das ist sie. "

    Die Geschichte von Mevreow Minna ist nur ein Mysterium von vielen, von geheimnisvollen Blicken, mystischen Begegnungen und gefährlichen Liebschaften. Aber ihr, der unscheinbaren Nebenfigur, der rätselhaften Wirtin, deren Gäste sie niemals irgendetwas fragen, widmet Margriet de Moor den letzten Satz:

    "Er hatte bemerkt, das Mevrow Minnas Lider heftig zuckten."

    Margriet de Moor: Der Jongleur
    Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen,
    Carl Hanser Verlag, München,
    160 Seiten, 16,90 Euro