Donnerstag, 25. April 2024

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Die Geschichte des Fernsehens

Als das Fernsehen nach dem zweiten Weltkrieg fast überall auf der Welt startete, fiel es nicht vom Himmel. Vorausgegangen war ein halbes Jahrhundert lang eine Entwicklung, die durch den zweiten Weltkrieg kurz vor ihrer Vollendung für ein knappes Jahrzehnt gestoppt wurde. Während der Film nur sechs Jahre brauchte, um vom Laborexperiment in ein kommerzielles Unternehmen umgesetzt zu werden, dauerte es beim Fernsehen beinahe ein halbes Jahrhundert. Die optisch-mechanischen und optisch-chemischen Verfahren der Filmproduktion ließen sich eben erheblich leichter umsetzen als die optisch-elektrischen Technologien des Fernsehens. Der Film kombiniert die Phototechnik mit einer mechanischen zur schnellen Beförderung eines lichtempfindlichen Streifens oder des entwickelten Streifens durch eine Projektionsanlage. Die Herkunft des Fernsehens hängt seit 1873 mit Erfindungen elektronischer Technologien wie des Telegraphen, des Telephons und der Bildtelegraphie zusammen.

Hans-Martin Schönherr-Mann | 09.06.2003
    Radiosender übernahmen zunächst die von Elektronikkonzernen entwickelte Fernsehtechnik und versetzen sie mit der Programmstruktur des Hörfunks, die sich ja vom Film deutlich unterscheidet. Allerdings musste sich damit der Hörfunk von einem auditiven in ein visuelles Medium transformieren. Trotzdem ahmte das Fernsehen den Film nicht bloß nach. Zunächst hatte sich der Film auf seine rein visuelle Seite konzentriert. Der Ton wurde im frühen Film ästhetisch gemieden. Insofern besaß der Film eine eigene visuelle Sprache mit Syntax und Grammatik. Diese Bildsprache des Films übertrug das Fernsehen in die Programmkategorien des Hörfunks.

    Die Geschichte dieser Entwicklung schildert das Buch von Abramson, das in seiner englischen Version seit 1987 beinahe schon ein Klassiker ist. Das Wort "Television" wurde zum ersten Mal 1900 auf einem Kongress über Elektrizität am Rande der Pariser Weltausstellung eingeführt. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundersts wurden zahlreiche Patente für unterschiedlichste Fernsehsysteme in vielen Ländern beantragt. 1921 wurde die erste visuelle Botschaft über den Atlantik von einem US-amerikanischen Radiosender an die Pariser Zeitschrift Matin übertragen. Im Rahmen eines mehrmonatigen Betriebs eines Senders in New Jersey ermöglichten Versuche mit einer neuen Kameraröhre 1933 Außenaufnahmen, die per Funk ins eineinhalb Kilometer entfernte Studio übertragen wurden. 1935 begann die BBC in London den ersten regelmäßigen Fernsehdienst, der die heutigen technischen Standards bereits weitgehend erfüllte. Am 1. Juli 1941 starteten nach langen Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Firmen um technologische, kommerzielle oder rechtliche Vorteile in den USA die ersten kommerziellen Fernsehprogramme mit Nachrichten, einer Quizsendung, der Übertragung eines Baseballspiels und einer Tanzstunde. Nach dem 7. Dezember 1941, als japanische Flugzeuge die US-Flotte in Pearl Harbour bombardierten, wurde die Fernsehindustrie bis zum Kriegsende stillgelegt, konzentrierte man sich wie in Deutschland auf Kriegsproduktion, bei der die Fernsehtechnologie weitgehend nur noch für die Waffentechnik eingesetzt wurde. Abramson schildert diese Geschichte anhand von unendlich vielen technischen wie kommerziellen Details.

    Der Herausgeber Herbert Walitsch ergänzt den Band durch eine gut 50seitige Geschichte des Fernsehens nach dem Krieg bis zum Ende des Jahrhunderts. Zwischen 1945 und 1960 avanciert das Fernsehen zum weltweiten Massenmedium. Die weiteren Stationen heißen unter anderem Farbfernsehen, Videokamera, Satellitenfernsehen.

    Daher schildert das Buch primär eine Technikgeschichte, die allerdings den gravierendsten Wandel der menschlichen Sehgewohnheiten einleitet, und somit die technologische Voraussetzung moderner Bildtheorien darstellt. Gerade diesen Aspekt haben vor allem die Geisteswissenschaften jahrzehntelang verschlafen. Nach dem nationalsozialistischen Missbrauchs des Radios diskutierten sie lieber darüber, wie man denn die Massenmedien demokratisieren könnte, anstatt sich damit zu befassen, wie das Fernsehen die menschliche Wahrnehmung und damit das Wirklichkeitsverständnis prägt.