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Die Gesundheitspolitik zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie

Trotz aller Reformbemühungen der letzten Jahre steigen die Kosten im Gesundheitswesen weiter an: Gegenwärtig werden in Deutschland jährlich rund 240 Milliarden Euro im Gesundheitssektor ausgegeben. Diese Summe entspricht nahezu dem Volumen des Bundeshaushalts. Den Löwenanteil mit 140 Milliarden Euro verschlingt die gesetzliche Krankenversicherung. Fest steht daher, dass es so nicht weitergehen kann.

Von Martin Steinhage | 06.09.2005
    "Noch haben wir ein sehr gutes Gesundheitssystem mit qualitativ hochwertiger Breitenversorgung ohne Warteschlangen und Rationierungen. Doch die umlagefinanzierte Gesetzliche Krankenversicherung droht an den Zukunftsherausforderungen zu scheitern. "

    …mahnt Reinhard Schulte, der Vorsitzende des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Seiner Analyse widerspricht kaum jemand, der sich in der Gesundheitspolitik auskennt. Denn die Lage ist in der Tat dramatisch: Trotz aller Reformbemühungen der letzten Jahre steigen die Kosten weiter an: Gegenwärtig werden in Deutschland jährlich rund 240 Milliarden Euro im Gesundheitssektor ausgegeben. Diese Summe entspricht nahezu dem Volumen des Bundeshaushalts. Den Löwenanteil mit 140 Milliarden Euro verschlingt die Gesetzliche Krankenversicherung. Fest steht daher, dass es so nicht weitergehen kann. - Für Experten wie den Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Bert Rürup bedeutet dies zwangsläufig:

    "Wir brauchen eine weitere Gesundheitsreform, die auf der einen Seite die eingeleiteten Ausgaben-Reformen fortsetzt, d.h. wir müssen weiter die Wettbewerbsintensität zwischen den Leistungserbringern erhöhen, und wir müssen uns der Finanzierungsfrage stellen. "

    Verschärft wird die Situation durch den medizinisch-technischen Fortschritt, der segensreich ist, aber kostentreibend wirkt. Zugleich gehen die Einnahmen der Krankenkassen zurück - wegen der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, und aufgrund der demographischen Entwicklung mit immer mehr Rentnern im Verhältnis zu immer weniger Berufstätigen. Kurzum: Der Finanzbedarf des Systems wächst, aber die Einnahmen schrumpfen. Die Gretchenfrage also lautet: Wie muss eine Reform aussehen, die den Bürgern weiterhin eine hohe medizinische Versorgung gewährleistet, und die zugleich bezahlbar bleibt? Auf diese Frage haben die politischen Parteien sehr unterschiedliche Antworten. Gleich drei Parteien – die SPD, die Grünen und die Linkspartei – plädieren für den Umstieg in eine Bürgerversicherung. In diese so genannte "solidarisch finanzierte Gesundheitskasse" sollen auch Beamte, Selbständige und Besserverdiener einzahlen. Sie sind bislang in den allermeisten Fällen privat krankenversichert. – Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, SPD:

    "Das sind die Grundzüge der Bürgerversicherung: Versicherungspflicht für alle, Verpflichtung für alle Kassen, jeden für das medizinisch Notwendige zu versichern ohne Ansehen des Risikos zu gleichen Bedingungen und dann in einen Wettbewerb treten um die beste Qualität. Eine Gesellschaft, in der sich der medizinische Fortschritt so entwickelt, und in der sich auch die ökonomischen Bedingungen verändern, muss mehr Solidarität brauchen und nicht weniger, wenn für alle eine gute Gesundheitsversorgung sichergestellt werden kann. "

    Bei der Bürgerversicherung sollen neben dem Arbeits-Einkommen auch Kapitalerträge herangezogen werden. – Für den Gesundheitsökonom Professor Karl Lauterbach ist diese Erweiterung der Einnahmebasis nur folgerichtig:

    "Wir haben jetzt die Situation, dass die Gesetzliche Krankenversicherung im wesentlichen durch Beiträge auf Löhne, Gehälter und Renten finanziert wird. Das ist nicht mehr lange durchzuhalten. Das macht den Faktor Arbeit sehr teuer, es ist ungerecht, denn weshalb sollten andere Einkommensarten nicht herangezogen werden. "

    Anders als die Sozialdemokraten wollen Grüne und die Linkspartei auch Mieteinnahmen berücksichtigen. - Die SPD will die geltende Beitragsbemessungsgrenze von monatlich rund 3.500 Euro zunächst nicht anheben. Das heißt, Einkünfte, die über diesem Limit liegen, bleiben bei der SPD bis auf weiteres unberücksichtigt. Was Besserverdiener freuen wird. - Die Grünen wollen dagegen diese Obergrenze moderat anheben, die Linkspartei sogar erheblich. Im Grundsatz aber ist man sich einig; auch für Ministerin Schmidt gilt bei der Bürgerversicherung:

    "Wer wenig verdient, muss wenig zahlen, und wer mehr verdient, muss mehr zahlen. Und wir wollen auch die beitragsfreie Mitversicherung der Familie erhalten."

    Allerdings hat die Bürgerversicherung logischerweise auch erhebliche zusätzliche Ausgaben, wenn sie neue Mitglieder aufnimmt. - Kein Problem, versichert Professor Lauterbach:

    "Beamte, Gutverdienende, Selbständige haben alle überdurchschnittliche Einkünfte oder überdurchschnittlich sichere Arbeitsplätze. Aber sie sind nur durchschnittlich oft krank. Wenn also diese neuen Gruppen alle überdurchschnittlich viel verdienen, aber nur durchschnittlich oft krank werden, ist es natürlich eine wesentliche Entlastung für die Krankenversicherung. "

    Die Anhänger der Bürgerversicherung argumentieren, ihr Modell entlaste den Faktor Arbeit. Wenn nämlich das System mehr Einnahmen generiere und zugleich weniger Ausgaben habe, könnten die Kassenbeiträge deutlich sinken. Das wiederum sei günstig für die Versicherten - und für den Arbeitgeber, der weniger für Lohnnebenkosten aufwenden müsse. Insofern sei die Bürgerversicherung ein Beitrag zur Beschäftigungspolitik. – Der Ökonom Professor Bert Rürup widerspricht dieser Auffassung:

    "Unverändert bleiben bei diesem Konzept die Arbeitsentgelte etwa 90 Prozent der Beitragsgrundlagen. "

    Mit anderen Worten: Bei der Bürgerversicherung werden Arbeits- und Gesundheitskosten nicht entkoppelt – was sich beschäftigungshemmend auswirken könne, befürchtet Rürup. In der Wirtschaft teilt man diese Überzeugung - so etwa Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA:

    "Die Bürgerversicherung ist leider nicht geeignet, um die Finanzierungsprobleme der Gesetzlichen Krankenkassen zu lösen. Das Problem der Sozialversicherung liegt im wesentlichen darin in Deutschland, dass sie sehr abhängig ist von Löhnen und Gehältern, also vom Arbeitsverhältnis. Die Bürgerversicherung bleibt im Kern eine lohnbezogene Versicherung."

    Schärfer noch die Kritik von Union und FDP: Das rot-grüne Konzept löse kein einziges Problem, sondern schaffe nur neue. – Wolfgang Zöller, Gesundheitsexperte der CSU:

    "Wer die Bürgerversicherung will, will eine Einheitskasse. Wer eine Einheitskasse will, läuft Gefahr, dass wir sehr schnell eine Staatskasse haben. Dann haben wir Staatsmedizin, und überall, wo Staatsmedizin auf der Welt praktiziert wird, sehen Sie, dass sie für den Versicherten die schlechteste aller Lösungen ist. "

    Mit der Einführung der Bürgerversicherung wäre die Trennung von gesetzlichen und privaten Kassen in ihrer heutigen Form aufgehoben. Was aber würde dann aus den privaten Krankenversicherungen - kurz "PKV" genannt - und deren Mitgliedern? – Birgitt Bender, in der Bundestagsfraktion der Grünen zuständig für Gesundheitsfragen, wiegelt ab:

    "Die Bürgerversicherung schafft die PKV in ihrer Funktion als Vollversicherer nicht ab. Im Gegenteil. Wir sind daran interessiert, dass die privaten Krankenversicherer das Produkt Bürgerversicherung anbieten. Ein Wettbewerb bei gleichen Rahmenbedingungen mit den Gesetzlichen Kassen ist nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. "

    Die Realität sähe freilich anders aus: Wer heute privat versichert ist, könnte dies zwar bleiben - der Weg zurück zu AOK, BEK oder Ersatzkasse wäre indes möglich. Zudem müssten die privaten Anbieter – anders als heute - jede und jeden versichern: den Armen wie die chronisch Kranke, den Kleinverdiener wie den moribunden Greis. Und dies mit einem Bürgerversicherungs-Tarif und in Konkurrenz zu den Gesetzlichen Kassen. - Mehr Wettbewerb käme so ins System, sagen die Anhänger der Bürgerversicherung. Das klingt wie Hohn in den Ohren der privaten Krankenversicherungen. Denn ihnen würde ihr Kerngeschäft in der heutigen Form in den nächsten Jahrzehnten buchstäblich wegsterben. Kein Wunder, dass die Branche Sturm läuft gegen die rot-grünen Pläne. - Reinhard Schulte vom Verband der Privaten Krankenversicherung:

    "Nichts, aber auch rein gar nichts wäre damit gewonnen. Ganz im Gegenteil. Der innovations- und effizienzfördernde Wettbewerb würde beseitigt, und unsere Kinder und unsere nachwachsende Generation würde zusätzlich belastet. Sie wären die Hauptverlierer einer solchen Zerschlagung."

    Dagegen haben die privaten Krankenversicherungen kein Problem mit dem Reform-Konzept der Union: Denn die so genannte "solidarische Gesundheitsprämie" von CDU und CSU belässt es bei der Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Kassen. - Andreas Storm, Sozialexperte der Unions-Bundestagsfraktion, zu den Intentionen im Konzept der Schwesterparteien:

    "Mit sehr solidarischen Gesundheitsprämie wird sichergestellt, dass die Finanzierungsgrundlage der Gesetzlichen Krankenkassen wesentlich stabiler wird als beim bisherigen System. "

    Alle gesetzlich Versicherten zahlen beim Unions-Modell den gleichen Beitrag. Die Familienmitversicherung entfällt, nur Kinder sind beitragsfrei. Sozial Schwache erhalten Zuschüsse aus Steuermitteln. Die genaue Höhe der Prämie lässt die Union noch offen. In Rechenmodellen gingen die Experten bei CDU und CSU bislang von einer Pauschale in Höhe von etwa 170 Euro pro Kopf und Monat aus. Maximal rund 110 Euro davon trägt der Versicherte selbst, den Rest übernimmt der Arbeitgeber bzw. bei Ruheständlern der Rentenversicherungsträger. – Andreas Storm:

    "Es gibt gleichzeitig eine Einkommensgrenze, die bei etwa gut sieben Prozent liegen würde. Das bedeutet, ein Rentner, der 1000 Euro Rente hat, zahlt dann maximal etwa 70 Euro selbst, und die Differenz zu der persönlichen Prämie von 110 Euro, die würde über den Solidarausgleich finanziert als Prämienverbilligung aus den Mitteln, die auch von den Arbeitgebern bereitgestellt werden. "

    …wobei diese Mittel allein nicht ausreichen würden. Zusätzliche Gelder aus Steuerzuschüssen wären nötig. In der Union wird noch diskutiert, aus welchen Quellen sich der steuerfinanzierte Sozialausgleich speisen soll. Das Unions-Konzept ist aus einem Kompromiss entstanden, weswegen es auch so vergleichsweise kompliziert ist. Die CDU hatte ursprünglich ein reines Kopfpauschalen-Modell favorisiert, so wie dies maßgeblich von Professor Rürup mit entwickelt worden ist. Bei diesem Modell wird der Faktor Arbeit dauerhaft entlastet, da der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung an einem Stichtag eingefroren und an den Arbeitnehmer ausbezahlt wird - und fortan von diesem als Einkommensbestandteil zu versteuern ist. Dieses Kopfpauschalen-Modell hatte die CSU als unsozial und politisch nicht durchsetzbar abgelehnt. Herausgekommen ist nun aber eine Lösung, die – anders als von der Union gerne behauptet – die Arbeitskosten nicht von den Gesundheitskosten entkoppelt. - Von einem wirklichen Systemwechsel kann daher auch beim Unions-Konzept nicht die Rede sein, sagt Professor Rürup:

    "Das ist kein überzeugendes Konzept. Das ist ein Mischmodell. Wir haben einen immer noch Einkommens- und damit Arbeitskosten-abhängigen Arbeitgeberanteil. Und Sie haben auf der anderen Seite, sagen wir mal, floatende Arbeitnehmerpauschale, und der Charme des Pauschalkonzeptes kommt hier nicht oder nur sehr unzureichend zum Tragen. "

    Rürup steht mit seiner Kritik keineswegs allein. – So bedauert Alexander Gunkel von der BDA:

    "Das Unionsmodell ist nur der halbe Weg zu einer Prämie. Es krankt insbesondere daran, dass weiterhin der Arbeitgeber mit der Hälfte zur Finanzierung beiträgt. Jede Lohnerhöhung führt auch im Unionsmodell weiter zu höheren Pesonalzusatzkosten. "

    Gleichwohl machen die Arbeitgeber, wie im übrigen alle Wirtschaftsverbände, keinen Hehl daraus, dass sie trotz aller Mängel das Unions-Modell letztlich doch gegenüber der Bürgerversicherung bevorzugen würden – weil es aus ihrer Sicht wenigstens ansatzweise in die richtige Richtung gehe. Die Anhänger der Bürgerversicherung werfen dem Unions-Konzept soziale Unausgewogenheit vor, Begründung: Es entlaste hohe Einkommen und gut verdienende Singles. Familien, Rentner und Kleinverdiener aber würden deutlich schlechter gestellt. Die Gesundheitsprämie sei zudem höchst bürokratisch organisiert, und mache Millionen von Bürgern zu Bittstellern. Der in Aussicht gestellte Sozialausgleich aus Steuermitteln würde schon bald den Staat finanziell überfordern. - CDU-Mann Andreas Storm hält dagegen:

    "Das ist insofern völlig falsch, weil wir ja eine Garantie abgeben, nämlich die Garantie, dass die Beitragszahler auch im neuen System nicht mehr bezahlen als beim alten System. "

    Einen anderen Weg geht die FDP: Die Liberalen haben ein Konzept entwickelt, dass viel radikaler ist als die Vorstellungen der Konkurrenz. Es orientiert sich am Grundgedanken des ursprünglichen Kopfpauschalen-Modells, nämlich Arbeits- und Gesundheitskosten voneinander abzukoppeln. Ein weiterer Kernbestandteil des FDP-Modells ist die Abschaffung aller gesetzlichen Krankenkassen – mit der Folge, dass jeder Erwachsene sein Gesundheitsrisiko bei einem privaten Anbieter absichert. - Daniel Bahr von der Bundestags-Fraktion der FDP:

    "Jeder hat eine Pflicht zur Versicherung. Wie er diesen Versicherungstarif wählt, ist aber über die Grundversorgung hinaus völlig in seiner eigenen Entscheidung. Wir haben also nicht mehr eine Zwangsversicherung so wie wir sie heute mit der Gesetzlichen Krankenkasse kennen, sondern wir haben private Versicherungen, die aber verpflichtet sind, jeden zu nehmen. "

    …was ein gewichtiger Unterschied ist gegenüber dem heutigen Geschäftsmodell der "Privaten", die sich ihre Kundschaft aussuchen können. Auch die FDP will bei ihrem so genannten "freiheitlich privatem Versicherungsmodell" den Sozialausgleich über das Steuersystem organisieren: Wer sich die Grundversorgung nicht leisten kann, wird über den Fiskus alimentiert. Aber: Medizinische Leistungen, die darüber hinausgehen, kann nur in Anspruch nehmen, wer auch das nötige Kleingeld dafür aufbringt. – Und Daniel Bahr ergänzt: Der derzeitige Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung wird zunächst weiter abgespeckt:

    "Das heißt, in einem ersten Schritt müssen wir bestimmte Leistungen komplett ausgliedern, in die Finanzierung jedes Einzelnen zurückgeben, sagen, das ist nicht mehr Bestandteil des Leistungskatalogs. Ich nenne ein Beispiel: Zahnersatz. Gleiches gilt fürs Krankengeld. Ich halte auch eine Diskussion über die Ausgliederung der privaten Unfälle für richtig…"

    Anders als die politische Konkurrenz sehen die Liberalen bei ihrem Modell den Aufbau eines Kapitalstocks für Altersrückstellungen vor, an dem sich alle Versicherten beteiligen müssten. So soll der demographischen Entwicklung mit einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung begegnet werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben hat indes einen Makel: Es ist nahezu unbezahlbar. Daher geben die Arbeitgeber diesem - eigentlich für sie maßgeschneiderten - Modell keine große Chance. - Noch einmal Alexander Gunkel von der BDA:

    "Ein anderes Problem besteht darin, dass eine private Krankenversicherung, die Altersrückstellungen hat – und genau das plant die FDP - 500 bis 700 Milliarden Euro erst einmal Kapital bilden müsse, damit diese Altersrückstellungen aufgebaut würden. Auch das ist kurzfristig nicht umsetzbar."

    Auch die Union betrachtet das FDP-Modell als nicht realisierbar. Aus Sicht von Rot-Grün ist das Konzept der Liberalen völlig inakzeptabel, weil es unsozial sei, und zudem Ausdruck einer plumpen Klientel-Politik zugunsten der Privaten Krankenversicherer. Eine – vorläufige – Bilanz fällt ernüchternd aus: Keines der drei Modelle, mit denen die verschiedenen Parteien derzeit werben, wirkt überzeugend. Selbst viele Sozialdemokraten zweifeln am Konzept der Bürgerversicherung, und die Gesundheitsprämie hat auch in der Union selbst nur wenige Freunde. Das FDP-Modell gilt parteiintern ebenfalls als unausgereift. Weder Bürgerversicherung noch Gesundheitsprämie sind geeignet, dem Arbeitsmarkt Impulse zu verleihen und verfehlen damit eine ganz wesentliche Anforderung an ein geeignetes Reform-Konzept. Zudem haben alle diskutierten Modelle nur die Stabilisierung der Einnahmeseite im Visier - und vernachlässigen völlig die Frage, wie das Gesundheitssystem durch Einsparungen auf der Ausgabenseite verbessert werden könnte. – Professor Rürup:

    "Eine Reform der Finanzierungsseite ist kein Ersatz für ausgabenseitige Reformen. Nämlich die Effizienz und die Ausgabenträchtigkeit eines Gesundheitssystems kann nie durch Reform der Finanzierungsseite gelöst werden. Das wollen Bürgerversicherung und Pauschale beides nicht, d.h. das sind Reformen der Finanzierungsseite, die keine ausgabenseitigen Reformen ersetzen."

    Weniger Ausgaben im Gesundheitswesen durch mehr Wettbewerb – diese Losung führen zwar stets Politiker aller Parteien gern im Munde; doch tatsächlich geschieht kaum etwas. Gegen die Macht der Lobbyisten scheinen auch Bundesgesundheitsminister machtlos zu sein – Ulla Schmidt nicht weniger als ihre zahlreichen Vorgänger.

    "Nur wenn wir diese Strukturen aufbrechen, wenn wir wirklich daran arbeiten, dass dieser Lobbyismus und mangelnde Flexibilität zurückgedrängt werden, werden wir dazu kommen, dass man wirklich eine gute medizinische Versorgung anbietet, und dass wir das, was uns lieb ist, auch für die Zukunft und für unsere nachwachsenden Generationen retten können."

    Diese rituellen Beschwörungsformeln aber sind bislang stets folgenlos geblieben – es gilt der Status quo: Wie in der Planwirtschaft bestimmt das Zwangskartell der Kassenärztlichen Vereinigungen – das ist der Zusammenschluss der niedergelassenen Ärzte - die Preise für medizinische Leistungen und verhindert damit Kostentransparenz und -effizienz. Von rund 270 Gesetzlichen Krankenkassen sind gut neun Zehntel überflüssig, das Einsparpotential allein für Verwaltungsausgaben liegt im dreistelligen Millionenbereich. Apotheker dürfen sich nach wie vor nicht zu Ketten verbinden, und die Arzneimittelpreis-Verordnung wird nicht einmal eingeschränkt - und so weiter, und so fort… Die Folgen dieses eklatanten Mangels an echtem Wettbewerb, dieser Summe an Fehlsteuerungen und Fehlanreizen, liegen auf der Hand: Das Gesundheitswesen bleibt chronisch krank. Die Zeche zahlen die Patienten. Wie aber kann es vernünftigerweise weitergehen? Bert Rürup glaubt nicht, dass bereits in der nächsten Legislaturperiode der große Reformschub kommt:

    "Die Umstellung des Systems auf einen Schlag relativ kurzfristig – sehe ich angesichts der desolaten Finanzlage unserer Haushalte nicht. Das ist ein Plädoyer, eben Sorgfältigkeit vor Schnelligkeit walten zu lassen und sich auch einen schrittweisen Übergangsplan vorzustellen."

    Solch ein Übergangsplan könnte unter einer Kanzlerin Merkel in Richtung Prämien-Modell gehen: Vielleicht zunächst mit einem eingefrorenen Arbeitgeberbeitrag, und dann in einem zweiten Schritt mit der Umstellung auf steuerfinanzierte Kassenbeiträge aller Kinder. - Denkbar wäre auch, dass sich am Ende doch ein wirkliches Kopfpauschalen-Modell durchsetzt. Ebenso schließen Experten nicht aus, dass in solch ein Modell auch die privaten Krankenversicherer einbezogen werden könnten, womit wiederum ein Kernelement der Bürgerversicherung Berücksichtigung fände… Das sind freilich alles Spekulationen. Tatsache ist hingegen, dass sich das System der Gesetzlichen Krankenversicherung Stillstand nicht wird leisten können. Sollten einschneidende Reformen ausbleiben, könnte das System in seiner heutigen Form zusammenbrechen, befürchtet nicht nur der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach:

    "Wenn die Gelegenheit verpasst würde in der nächsten Legislaturperiode, dann wird es schwer werden, die solidarische Krankenversicherung am Netz zu halten. Denn die Beitragssätze werden wieder steigen, wenn die Effekte der Gesundheitsmodernisierungsreform verbraucht sind."