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"Die globale Klimaerwärmung schließt grundsätzlich Wetterextreme nicht aus"

Autoscheibe kratzen, frieren, ausrutschen: Nahezu jeder in Deutschland bekommt derzeit die eisige Kälte draußen zu spüren - auf welche Art auch immer. Aber sagen Klimaforscher nicht dauernd, es würde stets wärmer? Wissenschaftsjournalist Volker Mrasek erläutert im Interview, warum sich Kältewelle und Klimaerwärmung keineswegs ausschließen.

06.02.2012
    Arndt Reuning: Temperatur-Negativrekorde in ganz Europa, beißende Kälte und Dauerfrost, Schnee und Eis in Nordafrika. Wie passt die aktuelle Wetterlage in das Bild einer globalen Klimaerwärmung? Das mögen vielleicht Kritiker dieser Theorie fragen. Bei der Beantwortung hilft uns nun mein Kollege Volker Mrasek. Herr Mrasek, die andauernde Kälte - steht sie im Widerspruch zu den Modellen der Klimaforscher oder ist uns der Klimawandel abhanden gekommen?

    Volker Mrasek: Kann man so nicht sagen. Nein, sie steht auch nicht im Widerspruch. Man muss zunächst einmal sehen, dass wir jetzt grundsätzlich von einer Wetterepisode reden und sich Klima ja über viel längere Zeitskalen abspielt. Und wenn man sich den bisherigen Winterverlauf anschaut, dann war der ja auch zunächst erstmal viel zu mild. Wir erinnern uns an Weihnachten ohne Schnee. Das heißt am Ende, wenn wir Bilanz ziehen, kriegen wir vielleicht einen ganz normalen Winter. Das muss man erstmal sehen. Sehen muss man auch, dass die derzeitige Eiseskälte bei uns nur ein regionales Phänomen ist. Es gibt Klimaforscher und Einrichtungen, die gerade jetzt aktuell darauf hinweisen, dass der Winter weiter westlich nach aktuellen Berichten viel zu warm ist, zum Beispiel in Island. Also wir haben diese regionale Perspektive. Und schließlich muss man sagen, die globale Klimaerwärmung schließt grundsätzlich Wetterextreme nicht aus, im Gegenteil: Es gibt viele Studien, die sagen, der Klimawandel begünstigt Wetterextreme. Und zwar Ausschläge nicht nur ins Rote, also ins Heiße im Sommer, sondern auch Ausschläge ins Blaue, ins Kalte, wie jetzt im Winter. Und es gibt sogar ganz aktuelle Studien, die den Verdacht nahelegen, dass die globale Klimaerwärmung und ihre Folgen sogar verstärkt zu strengeren Wintern hier in Mittel- und Osteuropa führen können.

    Reuning: Das klingt zunächst einmal ja eher kontra-intuitiv. Wie könnten denn die Mechanismen hinter diesen Phänomenen aussehen?

    Mrasek: Es gibt einen Mechanismus in der Atmosphäre, der hat mit der Zirkulation zu tun, der da bemüht wird - und mit der Arktis und ihrem Einfluss auf das Wetter bei uns. Die Arktis ist ja eine Weltregion, die sich, verglichen mit anderen, besonders stark auch jetzt schon erwärmt hat. Und wir kennen alle eine Folge oder haben von ihr gehört: die Meereisbedeckung im arktischen Ozean geht zurück. Und in einigen der letzten Sommer besonders stark. Und es dauert dann viel länger, wenn es wieder kalt wird - Herbst, Winter - bis das Meer dann wieder zufriert. Und wo die weiße Eisdecke fehlt, wird die Sonnenstrahlung nicht mehr reflektiert, sondern da kommt ja der Ozean drunter zum Vorschein. Der ist dunkel, der schluckt das Licht und erwärmt sich. Und diese Wärme gibt das Meer dann in der Folgezeit, im Herbst und Winter, an die Atmosphäre ab. Die ist dann kälter. Und der Deckel ist ja auch nicht mehr da. Wo die Eisdecke nicht da ist, kann ja die Wärme aus dem Ozean in die Atmosphäre gehen - kein Deckel mehr drauf. Damit verringert sich der Temperaturgegensatz zwischen der Arktis und unseren mittleren Breiten hier und damit auch der Luftdruckunterschied in Bodennähe - auch wiederum zwischen der Arktis und mittleren Breiten. Und da kommt das ins Spiel, was wir kennen, also Azoren-Hoch und Island-Tief. Diese beiden Drucksysteme sind dann nicht mehr so stark ausgeprägt. Und die normalerweise für uns wetterbestimmenden Drucksysteme im Atlantik sind dann nicht mehr so stark. Die Folge ist: Es setzt sich nicht mehr die milde atlantische Meeresluft bei uns durch, sondern eher kalte polare Luft aus der Arktis, wo sich dann ein starkes Hochdruckgebiet ausbildet. Das ist genau die Situation, die wir jetzt sehen: also eine Klimaerwärmung, die zu einer stärker erwärmten Arktis führt, kann über diese Wechselwirkung, sagen die Forscher, zu stärkeren Wintern bei uns führen.

    Reuning: Bleiben wir einmal bei den Kritikern. Fritz Vahrenholt, ehemaliger Umweltsenator in Hamburg, hat gerade ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Die kalte Sonne". Er vertritt darin die These, dass die Sonne in eine strahlungsarme Phase getreten ist und dass der Klimawandel nun daher fast zum Stillstand gekommen ist. Haben wir vielleicht diesen Einfluss der Sonne auch etwas unterschätzt in den Klimamodellen?

    Mrasek: Kann man nicht sagen. Also es gibt eine Phalanx von Klimaforschern und Solarphysikern, die sich mit dem Thema seit Jahren auseinandersetzen. Und man darf sagen, heute ist etabliert: Die Sonne hatte einen Effekt, was die Klimaerwärmung anbelangt. Sie war besonders zwischen 1900 und 1940 stark aktiv. Aber ihr Einfluss hat nach 1960 doch stark nachgelassen. Und da sind es im Wesentlichen die Treibhausgase, die zu einer Erwärmung führen. Jetzt erwartet man in der Tat, dass die Aktivität der Sonne zurückgehen wird, vielleicht sogar für Jahrzehnte. Aber das klingt nach einer guten Nachricht, ist aber auch nicht so sehr beruhigend. Es gibt britische Forscher vom Wetterdienst und von der University of Redding auch wieder Wissenschaftler, die sich lange schon mit dieser Thematik beschäftigen. Und die haben das mal durchgespielt und haben gesagt: Selbst wenn wir in eine Phase wie um das Jahr 1700 herum kommen, wo die Sonne besonders inaktiv war und es kälter war, wird das die Erwärmung höchstens um 0,1 Celsius abfedern können. Und wir daran erinnern, was Klimaforscher uns erzählen, die Treibhausgase können zu einer Erwärmung von 1,5 oder 2 oder sogar 3 Grad führen, weiß man, selbst das wird uns wahrscheinlich nicht helfen.