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"Die Glocke kann ja das Problem nicht lösen"

Umwelt.- Das Problem um das ausströmende Öl im Golf von Mexiko ist noch immer nicht gebannt. Professor Kurt Reinicke vom Institut für Erdöl- und Erdgastechnik der TU Clausthal erklärt im Interview mit Uli Blumenthal, warum die bisherigen Maßnahmen nicht zum Erfolg führten.

10.05.2010
    Uli Blumenthal: Der Versuch, das undichte Bohrloch im Golf von Mexiko mit einer 100 Tonnen schweren Stahlbeton-Glocke abzudichten, ist am Wochenende gescheitert. In der riesigen Konstruktion hatten sich Eiskristalle aus Gas und Wasser gebildet. Sie verstopften die Öffnungen, durch die das Öl später abgepumpt werden sollte. Die zwölf Meter hohe Glocke erhielt dadurch Auftrieb. Ich bin jetzt telefonisch verbunden mit Professor Dr. Kurt Reinicke von der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld, vom Institut für Erdöl- und Erdgastechnik. Herr Professor Reinicke, welche Lehren lassen sich aus dem gescheiterten ersten Versuch jetzt ziehen?

    Kurt Reinicke: Die Lehren, die sich ziehen lassen ist, dass man im Grunde genommen jetzt mit dieser Technik anders umgehen muss. Diese Bildung von Gashydraten ist ja dadurch zustande gekommen, dass Gas im System war. Das hat man in der Größenordnung nicht erwartet. Dieses Gas hat sich mit Wasser und unter diesen Druck – und Temperaturbedingungen, die dort unten herrschen, verbunden und hat dort Eiskristalle gebildet, die dann zu diesen Verstopfungserscheinungen geführt haben. Das, was man jetzt machen muss, ist: Man muss zu einer Lösung kommen, die eben die Bildung dieser Gashydrate verhindert. Das ist entweder chemisch möglich, durch die Zudosierung von Methanol, beziehungsweise ist es auch dadurch möglich, dass man dort unten Temperaturbedingungen einstellt, unter denen es eben zu dieser Bildung nicht mehr kommen kann.

    Blumenthal: Das heißt einmal, dass man da unten regelrechte Heizelemente anbringt, um die Glocke zu erwärmen, um diese fünf Grad nach oben zu treiben und diese Hydratbildung zu verhindern.

    Reinicke: Also, ob die fünf Grad reichen, weiß ich nicht ganz genau. Ich hätte jetzt erwartet, dass man dort höher gehen muss, möglicherweise zehn oder 15 Grad. Aber ich meine, dazu müsste man jetzt die genaue Zusammensetzung dieses Öls beziehungsweise des Gases kennen. Das, was man auf jeden Fall tun muss, ist, dass man in der Tat dort diesen Behälter irgendwie aufheizen muss, um in die Größen von 15 bis 20 Grad zu kommen – das wäre jetzt meine Einschätzung.

    Blumenthal: Wie sinnvoll ist dann die Überlegung, die in den Agenturen zu lesen ist? BP stellt sich vor, auch eine kleinere Glocke zu bauen. Wenn diese große jetzt schon aufgeschwommen ist – eine kleinere hat ja eher die Gefahr, dass sie hochtreibt, oder ist das genau andersherum?

    Reinicke: Ich denke mir, dass diese kleinere Glocke deshalb von BP ins Gespräch gebracht wird, weil eben eine kleinere Metallglocke sich schneller oder leichter aufheizen lässt als dieser große Behälter, den man dort jetzt auf dieser Leckstelle gehabt hat. Aber ich meine, genaue Informationen zur Motivation von BP, diese Glocke zu verkleinern, liegen mir auch nicht vor. Das Ding ist aus Metall – man könnte sich vorstellen, dass man über eine Widerstandsheizung oder auch durch eine andere Art der Heizung dort eben zu einer Auffahrt zu dieser Glocke kommt, um diese ... zu vermeiden.

    Blumenthal: Das ist eine gewisse Fixierung auf diese Glocke als Möglichkeit der Abdichtung. Welche anderen Möglichkeiten kommen eigentlich noch parallel in Betracht? Immer wieder wird davon gesprochen, diese Lecks abzudichten.

    Reinicke: Die Glocke kann ja das Problem nicht lösen. Denn die Glocke kann im Grunde genommen nur verhindern, dass das Öl in der Größenordnung, in der es bislang an die Wasseroberfläche gelangt, weiterhin an die Wasseroberfläche gelangt. Das ist also nur ein Notbehelf,um im Grunde genommen Zeit zu schaffen, um dort zu einer möglichen Abdichtung dieses Bohrloches zu kommen. Denn ich meine, das muss das Ziel sein. Dieses Bohrloch muss unter Kontrolle gebracht werden. Dazu gibt es jetzt diese laufenden Entlastungsbohrungen, die erste Entlastungsbohrung bohrt nach Angaben von BP bei 9000 Fuß insgesamt – muss man also auf 18.000 Fuß runter. Das ist also schon mal ein ganzes Stücks des Wegs. Aber man will natürlich nicht bis zur Fertigstellung dieser Entlastungsbohrung das Öl ungehindert austreten lassen. Deshalb eben diese Versuche, auf alle möglichen Arten jetzt den Ölaustritt zu reduzieren, beziehungsweise, wenn er dann tatsächlich an die Oberfläche kommt, dann an der Oberfläche dafür Sorge zu tragen, dass das Öl nicht bis an die Küste kommt.

    Blumenthal: Welche Möglichkeit bietet das Abschneiden der Steigleitung und das Einsetzen eines größeren Rohres?

    Reinicke: Das Abschneiden der Steigleitung bedeutet im Grunde genommen, dass man Fließwiderstände, die es im Moment noch gibt, beseitigt. Das heißt also, man muss sicher sein, dass die Maßnahme, die man dann einleitet, Erfolg hat. Denn sonst tritt mehr Öl aus dem Bohrloch ins Meer.

    Blumenthal: Die Abdichtung des Bohrlochs im Golf von Mexiko ist beim ersten Versuch misslungen. Das waren Einschätzungen und Informationen von Professor Dr. Kurt Reinicke von der Technischen Universität Clausthal, vom Institut für Erdöl- und Erdgastechnik.