Freitag, 29. März 2024

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Die Goldenen Zwanziger
Jazz trifft Romantik und Moderne

Die Saxofonistin Asya Fateyeva spürt der Geschichte ihres Instruments nach und widmet sich zugleich den Goldenen Zwanzigern und deren stilistischer Vielfalt - mit wenig bekannten Werken der Kammermusik. Das so entstandene Album "Jonny" ist eine farbenreiche Klangerkundung, meint unser Kritiker.

Am Mikrofon: Marcus Stäbler | 31.05.2020
    Eine junge Frau, mit langen braunen Haaren, steht seitlich vor einen schwarzen Hintergrund. In der Hand hält sie ihr Saxofon, der obere Teil des Instruments ist auf ihrer Schulter abgelegt.
    Saxofonistin Asya Fateyeva führt auf unbekannte Pfade der Musikgeschichte (Marco Borggreve)
    Musik: Suite aus "Jonny spielt auf"
    "Jonny" heißt das Album, inspiriert von Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf". Asya Fateyeva spielt eine kurze Suite aus der Oper in der Besetzung für Saxofon und Klaviertrio, mit Kollegen wie dem Geiger Florian Donderer und der Cellistin Tanja Tetzlaff, die sie auf der ganzen CD begleiten. Im fein austarierten Miteinander erkunden die Interpreten mit ihrem Programm bisher kaum bekannte Stücke des Kammermusikrepertoires. Darunter auch einen Tango aus Kreneks Oper "Jonny spielt auf", die 1927 in Leipzig ihre Premiere feierte.
    Musik: Suite aus "Jonny spielt auf"
    Ein Ausschnitt aus der Suite zu "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek, in einem Arrangement von Thomas Böttger für Saxofon und Klaviertrio. Kreneks Oper erlebte alleine in ihrer ersten Spielzeit über 400 Aufführungen, sie wurde zum erfolgreichsten Bühnenstück der Weimarer Republik und damit zu einem Inbegriff für die Energie und den Freiheitsdrang der Goldenen Zwanziger. Auch deshalb haben die Nazis wiederholt Aufführungen des Stücks gestört und später, nach der Machtübernahme, als vermeintlich "entartete Musik" gebrandmarkt und verboten.
    Musik: Suite aus "Jonny spielt auf"
    So wie Krenek einen schwarzen Jazzmusiker zur Hauptfigur einer Oper macht, so werden die traditionellen Gattungsgrenzen in dieser Zeit generell aufgeweicht und überspült. Die so genannte "ernste Musik" trifft auf Schlager, Blues, Neue Sachlichkeit und Jazz. Ein neuer Ton weht durch die Welt der Musik, oft verkörpert vom Saxofon, das zunehmend auch als Instrument der Kunstmusik gesehen und genutzt wird. Wie in der Hot-Sonate, also der "heißen" Sonate von Erwin Schulhoff aus dem Jahr 1930.
    Musik: Schulhoff, Hot-Sonate, 2. Satz
    Asya Fateyeva spielt ein Arrangement der Hot-Sonate von Erwin Schulhoff für Saxofon und Streichquartett, mit Florian Donderer und Emma Yoon an den Geigen, mit der Bratscherin Yuko Hara und der Cellistin Tanja Tetzlaff.
    Inspiration durch Rhythmen und Klangfarben
    Im Vergleich mit der originalen Klavierfassung wirkt das Quartettarrangement eine Spur weniger perkussiv – obwohl auch die Streicher prägnant artikulieren. Die gleichmäßig pochende Begleitung im dritten Satz der Schulhoff-Sonate klingt ganz trocken und wie von einem ei nzigen Instrument angeschlagen, das erinnert stellenweise ans Zupfen eines Banjos. Darüber entfaltet Asya Fateyeva eine Fülle an Farben, sie variiert virtuos zwischen leicht glissandierenden und klar angesetzten Tönen und verschiedenen Stärkegraden des Vibrato.
    Musik: Schulhoff, Hot-Sonate, 3. Satz
    Die Inspiration durch die Rhythmen und Klangfarben des Jazz ist ein zentraler, aber nicht der einzige Aspekt auf dem aktuellen Album von Asya Fateyeva. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen fächert sie ein breites Spektrum an Stilen auf und offenbart damit den faszinierenden Reichtum in der Musik der 20er und beginnenden 30er Jahre.
    Dazu gehört auch ein Quintett für Altsaxofon und Streichquartett von Adolf Busch aus dem Jahr 1925. Busch ist uns heute vor allem als herausragender Geiger und Gründer des legendären Busch Quartetts in Erinnerung, er hat aber auch ein umfangreiches kompositorisches Schaffen hinterlassen, vor allem in der Kammermusik. Darin bekennt sich Adolf Busch ganz klar zum Erbe der Romantik, sein Quintett scheint den Geist aus den späten Werken von Johannes Brahms zu beschwören – und trotz dieses Schulterblicks zurück ins 19. Jahrhundert findet Busch einen eigenen Ton. Melancholisch im ersten, wirbelnd im zweiten Satz und nostalgisch im Andante sostenuto, von Asya Fateyeva mit süßem Klang zum Leben erweckt.
    Musik: Busch, Quintett, 3. Satz
    Auch das sind die Goldenen Zwanziger: Das Schwelgen in wehmütigen Melodien und üppigen Harmonien der Romantik, wie im Quintett für Altsaxofon und Streichquartett von Adolf Busch.
    Liebevolle Sorgfalt
    Einen weiteren reizvollen Kontrast präsentieren die Interpreten mit dem anschließenden Stück, dem Quartett op. 22 von Anton Webern, für die ungewöhnliche Besetzung von Klarinette, Violine, Tenorsaxofon und Klavier. Was bei Adolf Busch noch weit ausgreifende Linien waren, ist jetzt, wie so oft bei Webern, zu knappen Gesten verdichtet. Eine Musik von höchster Konzentration. Hier stehen die fein nuancierten Klänge im Vordergrund, die zarten und zerbrechlichen Töne. Die Aufnahme besticht mit einer geradezu liebevollen Sorgfalt.
    Musik: Webern, Quintett op. 22, 1. Satz
    Asya Fateyeva, Shirley Brill, Florian Donderer und Stepan Simonian mit dem Quartett op. 22 von Anton Webern. Da wird das Trommelfell oft nur leicht gekitzelt – anders als im Trio von Paul Hindemith, dem für mein Empfinden einzigen etwas schwächeren Stück des Programms. Neben dem jeweils ganz eigenen Zauber und der Klangfantasie der anderen Werke wirkt Hindemiths Trio für mich deutlich weniger inspiriert.
    Musik: Hindemith, Trio op. 47
    Einen ganz anderen Charme und musikalischen Witz als dieses Trio versprühen die Arrangements aus der Dreigroschenoper von Kurt Weill, mit denen das Programm endet. Erst hier gönnen die Interpreten sich und den Hörerinnen und Hörern ein paar Hits des Repertoires. Dass sie damit bis zum Schluss warten, ist einer von vielen Belegen für ihre Entdeckerlust. Die wenig bis gar nicht bekannten Stücke bekommen den Vortritt, sie sollen nicht im Schatten der Schlager stehen.
    Schöne Schlußpointe
    Nach rund einer Stunde dann plötzlich etwas Vertrautes zu erleben, ist eine schöne Schlusspointe. Zumal Asya Fateyeva und ihre Kollegen auch da wieder ebenso natürlich wie intelligent musizieren. Die Melodie im berühmten Song über Mackie Messer ist so sprechend phrasiert, als würde das Saxofon Silben und Textbetonungen formen. Einziger Einwand: Vielleicht klingt das Saxofon eine Spur zu clean, zu wenig nach Halbwelt, Gosse und Verbrechen. Aber das ist natürlich Geschmackssache.
    Musik: Weill, Mackie Messer
    Die "Moritat von Mackie Messer" aus der Dreigroschenoper von Kurt Weill, in einem Arrangement von Dirk Beisse – mit der Saxofonistin Asya Fateyeva, den Streichern Florian Donderer, Emma Yoon, Yuko Hara und Tanja Tetzlaff und dem Pianisten Stepan Simonian. Ein Ausschnitt aus dem Album "Jonny", das bei Berlin Classics erschienen ist.
    Werke von Erwin Schulhoff, Adolf Busch, Anton Webern, Ernst Krenek, Paul Hindemith, Kurt Weill
    Asya Fateyeva, Florian Donderer, Emma Yoon, Yuko Hara, Tanja Tetzlaff, Stepan Simonian, Shirley Brill
    Berlin Classics 0301312BC