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Die grausame Folter darstellen

Seit dem Beginn der syrischen Revolution im März 2011 gehen fast täglich Bilder von Misshandlungen und Folter um die Welt. Im Libanon haben Überlebende ein Bühnenstück entwickelt, das auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg aufgeführt wird.

Von Martina Sabra | 02.05.2013
    Ein Theaterraum in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Auf der Bühne agieren sieben Männer. Die Kulisse zeigt ein Gefängnis. Es ist das schlimmste Gefängnis Syriens, Tadmor. Die herrlichen Ruinen der antiken Stadt Palmyra sind ganz nah, doch Tadmor ist die Hölle. Fünf Männer verkörpern Gefangene, zwei stehen als Gefängniswärter auf der Bühne. Der ältere Wärter erklärt seinem jüngeren Kollegen, wie er zuschlagen soll, wenn die Häftlinge ihre Zellen verlassen, um ihr Essen zu holen.

    Die Männer auf der Bühne haben das, was sie spielen, selbst erlebt. Koordiniert und begleitet wird das Projekt von Monika Borgmann. Die in Beirut lebende Journalistin und Filmemacherin und ihr Mann Loqman Slim setzen sich seit vielen Jahren mit dem Dokumentationsprojekt "UMAM" unter anderem für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen ein, die Syrien als Besatzungsmacht im Libanon bis zum Jahr 2005 verübte.

    "Diese sieben Männer haben zwischen acht und 15 Jahren in syrischen Gefängnissen gesessen und sind dort auf die grauenhafteste Weise gefoltert worden. Alles, was man sieht, kommt von den Männern. Wir haben den Männern die nötige Unterstützung gewährt. In den letzten Monaten hat ein Filmemacher, aber auch ein Schauspieler mit ihnen zusammengearbeitet. Aber alles, was in der Performance zu sehen ist, kommt von den Männern selbst. Und diese Männer haben auch beschlossen, wer von diesen sieben Opfer und wer Täter ist."

    Die Männer, die jetzt auf der Bühne stehen, waren seit den 1980er- und 1990er-Jahren in syrischer Willkürhaft. Fast alle kamen im Jahr 2000 im Rahmen einer Amnestie frei und kehrten in den Libanon zurück. Doch öffentlich über die grausamen Erfahrungen zu sprechen, war unmöglich. Nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch wegen der politischen Lage. Syrien hielt das kleine Nachbarland besetzt. Kritische Äußerungen über die Machthaber in Damaskus waren lebensgefährlich. Das änderte sich zwar mit dem Abzug der Syrer aus dem Libanon in 2005. Doch erst, als im Frühjahr 2011 die syrische Revolution begann, und Handyvideos von Misshandlungen und Folter um die Welt gingen, wurde die Auseinandersetzung mit eigenen Foltererfahrungen möglich. Monika Borgmann:

    "Auf YouTube oder im Internet sind fast dieselben Geschichten zu sehen, wie diese Männer sie erlebt haben. Und alle diese Elemente haben dazu geführt, dass diese Männer heute erzählen wollen, was ihnen passiert ist. Sie wollen erzählen, für all die Libanesen, die noch in syrischen Gefängnissen vermutet werden. Und sie wollen für alle Syrer erzählen, die heute dasselbe erleiden."

    Die Performance der libanesischen Überlebenden arbeitet mit sparsamen Bildern und stark reduzierten Dialogen. Durch die künstlerische Verfremdung und den Wechsel der Rollen – mal Täter, mal Opfer, mal Richter – können die Männer sich zumindest teilweise von den eigenen Erlebnissen distanzieren.

    "Das Verlassen der Zelle bedeutete jedes Mal einen Wettlauf mit dem Tod, weil sobald man die Zelle verlassen musste, wurde man geschlagen. Und man wusste nicht, ob man es überleben würde. Das Essen wurde in den Hof gestellt, in Behälter. Drei Männer mussten die Zelle verlassen, um die Behälter in die Zelle hineinzuholen, dabei hagelte es Schläge. Das Stück zeigt, wie einer der Geschlagenen stirbt. Und das war Alltag, das war jeden Tag so."

    Eine besonders eindringliche Szene der Performance zeigt, wie die Beziehung zwischen Opfern und Tätern funktioniert. Der ältere Gefängniswärter erklärt dem neuen Kollegen, dass er auf keinen Fall Mitgefühl mit den Häftlingen zeigen dürfe. Er zeigt ihm den Leichnam eines toten Kollegen, der wegen einer zu freundlichen Begrüßung gehängt worden ist.

    "Die Gefangenen haben Angst vor dem Tod, aber auch die Wärter haben Angst vor dem Tod. Und die Wärter wissen genau, wenn sie nicht die nötige Grausamkeit an den Tag legen, dann droht ihnen dasselbe Schicksal wie den Gefangenen. Das sind die Strukturen eines faschistischen Systems, sei es in Syrien oder wo auch immer."

    Grausamkeit und Folter gibt es nicht nur in der arabischen Welt. Der sogenannte "deutsche Stuhl", nach dem die Performance benannt ist, wurde von deutschen "Experten" nach Syrien gebracht. Gefangene werden auf dem sogenannten "deutschen Stuhl" bäuchlings so positioniert, dass die Wirbelsäule Schaden nimmt oder brechen kann. Alle Akteure der Live-Performance sind auf dem sogenannten "deutschen Stuhl" gefoltert worden. Auch aktuell werden Syrer darauf gequält, zu Invaliden gemacht und getötet.

    Mit ihren Traumata müssen die Opfer fertig werden, mit der individuellen Schuld die Täter. Zur Wiedergutmachung können alle beitragen. Indem die Hintergründe aufgedeckt werden, die Folter möglich machen. Und indem man den Überlebenden zuhört.