Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Die Griechen "verlangen nach einer anderen Politik"

Schuld an der aktuellen Lage in Griechenland tragen die beiden großen Parteien Pasok und Nea Dimokratia, sagt Robert Stadler, Redakteur der Griechenland-Zeitung in Athen. Ob die angekündigte Kabinettsumbildung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou zur Beruhigung der Lage führe, sei völlig ungewiss.

Robert Stadler im Gespräch mit Anne Raith | 16.06.2011
    Anne Raith: Der griechische Ministerpräsident Papandreou stößt derzeit auf Widerstand, egal wohin er blickt: auf den Straßen, auf denen gestern wieder demonstriert wurde, im Parlament, wo sich die Opposition gegen seine Pläne stellt, in den eigenen Reihen, in denen sich ebenso Unmut regt, und in Brüssel, wo die Mahnungen lauter werden, endlich einen innergriechischen Konsens zu finden, um die nächste Tranche der Finanzhilfen zu erhalten. Papandreous Ausweg: eine Kabinettsumbildung. Ob diese auch ein Ausweg aus der Krise sein kann?

    Mitgehört hat Robert Stadler, er ist Redakteur der Griechenland-Zeitung in Athen. Einen schönen guten Tag!

    Robert Stadler: Guten Tag!

    Raith: Herr Stadler, bevor wir uns dem Rätselraten anschließen, hat sich denn die Lage in Athen nach den gewalttätigen Protesten inzwischen wieder beruhigt?

    Stadler: Die Lage hat sich Gott sei Dank nach den Protesten gestern wieder beruhigt. Die Demonstration verlief ja relativ friedlich, es kam eben nur zu Ausschreitungen zwischen einigen Hundert Autonomen und auch Rechtsradikalen, die eigentlich das ganze Bild der friedlichen Demonstration völlig zerstört haben. Was jetzt angekündigt wurde, dass die sogenannten Empörten des Syntagma-Platzes, des zentralen Platzes in Athen, sich am Donnerstag wieder treffen wollen.

    Raith: Nun hat Papandreou eine Regierungsumbildung angekündigt. Was glauben Sie, mit welchem Plan wird er da aufwarten?

    Stadler: Die Kontakte für die Regierungsbildung sind jetzt im Gange. Man hat zuerst erwartet, dass das eventuell noch heute bekannt gegeben wird. Dann gab es wieder Gerüchte, dass das erst morgen stattfindet und Papandreou eventuell sogar zum Blitzbesuch nach Brüssel reisen wird. Die Probleme, die er im Moment hat, kommen aus seiner eigenen Fraktion. Heute sind bereits zwei Parlamentarier zurückgetreten, was an den Mehrheitsverhältnissen noch nichts ändert, weil die ersetzt werden. Also er verfügt noch über eine Mehrheit von 154, 155 Abgeordneten. Aber die Parteikritiker in der sozialistischen Pasok wollen auch eine Einberufung der Parlamentsfraktion, eine Debatte über alle Fragen, und die Presse interpretiert das zum Teil auch als Führungsfrage.

    Raith: Kann er denn unter diesen Umständen die Krise überhaupt personell lösen, wie er es ja offensichtlich vorhat mit der Kabinettsumbildung?

    Stadler: Es wird, glaube ich, schwierig werden, ob er überhaupt bis zur Vertrauensabstimmung kommt. Es könnte sein, dass parteiintern plötzlich ein "Aufstand" losbricht. Im Moment ist die Lage noch ruhig. Sollte es ihm gelingen, die parteiinternen Widerstände zu überwinden, dürfte auch die Vertrauensabstimmung für ihn kein Problem werden.

    Raith: Was glauben Sie denn, wie groß ist die Chance, diese parteiinternen Querelen noch zu besänftigen?

    Stadler: Bisher waren es drei oder vier, die durch Rücktritte die Probleme aus der Welt geschafft haben für Papandreou. Das heißt, die sind nicht als unabhängige Abgeordnete weiter im Parlament vertreten, sondern wurden ersetzt. Im Moment hat er sicher noch Chancen, diese Widerstände zu überwinden.

    Raith: Was genau wird denn intern kritisiert an Papandreou?

    Stadler: Es wird kritisiert, dass das bisher fünfte Sparpaket, das mit der Troika ausgehandelt wurde, also mit der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, nicht die Ergebnisse gebracht hat, die man sich erwartet hätte. Es wurde viel eingespart, es wurden von den Menschen Opfer verlangt, und die Haushaltsziele wurden aber trotzdem verfehlt. Das heißt, die verlangen nach einer anderen Politik.

    Raith: Glauben Sie denn, Papandreou könnte möglicherweise auch "Nichtpolitiker" beteiligen wollen an der Regierung, also im Sinne von dem, was er angekündigt hat, im Sinne einer nationalen Einheit?

    Stadler: Es gibt Gerüchte, dass zwei oder drei nichtpolitische Persönlichkeiten in das Kabinett geholt werden sollen. Ob die natürlich ihr Ja dazu geben, ist noch offen. Eine Person ist der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank Papadimos, aber hier gibt es noch keine Namen, wo man wirklich sichere Informationen hat, wer sich daran beteiligen wird.

    Raith: Könnte das denn den Unmut der Demonstranten besänftigen?

    Stadler: Das ist eine schwierige Frage. Im Moment sieht es nicht danach aus. Die sogenannten Empörten wollen sich weiterhin am Syntagma-Platz treffen, obwohl hier auch nicht ganz klar ist, in welche Richtung diese sicher berechtigt Zornigen Änderungen wollen.

    Raith: Würden Sie denn auch sagen, dass die Opposition mit Schuld daran trägt, namentlich Samaras, am Scheitern einer Art Großen Koalition, wie wir es ja eben auch in dem Beitrag gehört haben?

    Stadler: Ein großes Problem haben alle Parteien in Griechenland: Das ist, was aus Umfragen immer wieder hervorgeht, dass das Vertrauen in diese Parteien eigentlich von Umfrage zu Umfrage abnimmt. Die Schuld an der Lage in Griechenland, was die Schulden betrifft, tragen sicher die beiden großen Parteien, Pasok und Nea Dimokratia, sagen wir zu gleichen Teilen. Sie haben in den letzten 30 Jahren offensichtlich eine verfehlte Schuldenpolitik betrieben. Und die Nea Dimokratia darf sich sicher nicht aus der Verantwortung stehlen, weil während ihrer Regierungszeit von 2004 bis 2009 das Budget-Defizit sich verdoppelte, von 7,5 auf 15,5 Prozent.

    Raith: Und Antworten hat sie ja jetzt auch nicht?

    Stadler: Sie hat wahrscheinlich auch keinen Spielraum, eine andere Politik zu machen. Die Geldgeber verlangen Sparmaßnahmen und wie es Papandreou richtig gesagt hat, ohne Gegenleistung werden wir keine weiteren Kredite bekommen.

    Raith: Was ist dann in dieser, ja sehr verfahrenen Situation überhaupt zu erwarten? Was glauben Sie?

    Stadler: Es wird wahrscheinlich Giorgos Papandreou versuchen, eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Die Frage ist, ob er dem Druck, der aus der Gesellschaft kommt, ob er dem Druck aus der eigenen Partei, ob er dem Druck der kleineren Parteien, die natürlich nicht das große Sagen haben, nach Neuwahlen, ob er dem Stand halten kann. Die Frage für Griechenland selber ist natürlich, ob Neuwahlen zu diesem Zeitpunkt überhaupt Sinn machen und ob das an der Sparpolitik, die mit den Geldgebern ausgehandelt wurde, viel ändern wird.

    Raith: Aber was sagen Sie? Bringen Neuwahlen etwas für Griechenland, oder stürzt das Land dann erst recht ins Chaos, wenn dann auch noch Wahlkampf geführt wird?

    Stadler: In einer Demokratie ist alles möglich. Das könnte relativ schnell über die Bühne gehen, innerhalb von 14 Tagen etwa, wenn ich mich richtig erinnere. Es besteht natürlich die Gefahr, dass keine klaren Mehrheitsverhältnisse zustande kommen, aber dann hätte man eine zweite Chance, auf einer breiteren politischen Basis die mit der Troika vereinbarte Politik durchzusetzen.

    Raith: Das heißt, für Sie wären in dieser verfahrenen Situation Neuwahlen durchaus eine Möglichkeit?

    Stadler: In der Demokratie sind Wahlen immer eine Möglichkeit.

    Raith: Aber eine Möglichkeit auch hin zum "Besseren"?

    Stadler: Eventuell auch zum Besseren, aber es ist natürlich auch ein Risiko darin, wenn die Regierungsbildung beispielsweise relativ lange dauert und das Land praktisch für gewisse Zeit unregierbar ist. Also wenn, dann müsste das alles in einem relativ schnellen zeitlichen Rahmen durchgeführt werden.

    Raith: Und für wie realistisch halten Sie das in Anbetracht der Proteste, die ja, wie Sie eben erwähnt haben, am Donnerstag schon wieder anstehen?

    Stadler: Ich meine, es gibt Ermüdungserscheinungen bei allen Protesten, wenn sie über eine lange Zeit gehen. Ich glaube nicht, dass die so schnell aufhören werden, aber Wahlen nehmen doch einen gewissen Druck weg. Wenn demokratisch entschieden worden ist, wer das Land weiterführen soll, kann ich mir gut vorstellen, dass dieser Druck von der Straße, um das jetzt einfach zu sagen, nachlässt.

    Raith: Einschätzungen zur Regierungskrise in Athen von Robert Stadler, er ist Redakteur der Griechenland-Zeitung dort. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stadler: Auf Wiederhören!