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Die griechische Tragödie

Ob die nächste Finanzspritze Griechenland wieder auf die Beine hilft, bleibt abzuwarten. Doch was passiert, sollten die internationalen Kreditgeber die Geduld verlieren und den Geldhahn in den nächsten Wochen zudrehen? Für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit des Landes gibt es mehrere Szenarien.

Von Christoph Birnbaum und Steffen Wurzel | 15.09.2011
    "Lefta yparchun ... "

    "Lefta yparchun" - so lautete im Herbst 2009 der zentrale Wahlkampfspruch des jetzigen griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou. "Lefta yparchun" bedeutet auf Deutsch: "Es gibt Geld". Was der sozialdemokratische Politiker vor zwei Jahren damit sagen wollte: In Griechenland gebe es genügend Geld für alle, man müsse es nur sinnvoller als bisher einsetzen.

    Bereits kurz nach seinem Wahlsieg musste Giorgios Papandreou allerdings erkennen, dass eben doch kein Geld da ist. Etwa ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt schnürten die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds bereits das erste Rettungspaket für Griechenland. Der Inhalt: Kredite in Höhe von insgesamt 110 Milliarden Euro. Etwa alle drei Monate werden einzelne Kreditraten nach Athen überwiesen. Die sogenannte "Troika", also internationale Wirtschaftsprüfer der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, begleiten diesen Prozess: mit regelmäßigen Kontrollen der griechischen Finanzen in Ministerien und Behörden.

    Die Zusammenarbeit mit der Troika laufe problemlos, das Gesprächsklima sei bestens, versicherte Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos am Freitag vor zwei Wochen, auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz in Athen. So richtig glaubte ihm das niemand. Denn in der Nacht zuvor hatten die Vertreter der Troika ihre jüngste Kontrolle abgebrochen. Nach Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung - so griechische Medien -, routinemäßig, so der Finanzminister. Fakt ist: Es knirscht gewaltig zwischen der Regierung in Athen und den Euro-Partnern. Die Troika ist offenkundig unzufrieden mit den bisherigen Sparanstrengungen Griechenlands. Denn das Land bleibt weit hinter dem zurück, was mit den europäischen Partnern vereinbart worden war. Und solange die Bedingungen nicht erfüllt seien, gebe es kein Geld, so die unmissverständliche Nachricht aus den europäischen Hauptstädten in Richtung Athen. So auch aus Berlin von Finanzminister Wolfgang Schäuble.

    "Solange sie nicht erfüllt sind, kann nicht ausgezahlt werden. Und im Augenblick habe ich noch nicht einen Bericht, der ermöglicht, dass ausgezahlt werden kann."

    Das große Problem: Es ist nicht nur ein Ziel, das Griechenland verfehlt hat, es sind etliche. Drei Beispiele. Erstens: Die Vorhersagen in Sachen Neuverschuldung, Wachstumsrate und Staatseinnahmen sind hinten und vorne nicht aufgegangen. So sollte die Neuverschuldungsquote dieses Jahr eigentlich auf 7,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken. Immer noch mehr als doppelt so viel wie erlaubt. Doch Fachleute rechnen inzwischen mit einer Quote von mindestens 8,5 Prozent. Auch die Prognose beim Wirtschaftswachstum, besser gesagt beim Schrumpfen der griechischen Wirtschaft, musste Finanzminister Venizelos nach unten korrigieren. Versprochen war ein Minus von 3,5 in diesem Jahr, vor einigen Tagen sagte er nun, er rechne mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um 3,9 Prozent. Die Steuereinnahmen schließlich bleiben so deutlich hinter den Erwartungen zurück, dass sich die Regierung am vergangenen Sonntag gezwungen sah, spontan und mit sofortiger Wirkung eine Sondersteuer auf Immobilienbesitz einzuführen. Dieses und nächstes Jahr soll sie jeweils bis zu zwei Milliarden Euro bringen. Trotz zahlreicher schlechter Vorgaben: Aus Sicht von Finanzminister Venizelos ist das Glas nicht halb leer, sondern halb voll:

    "Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Wenn wir die vereinbarten und beschlossenen Sparmaßnahmen systematisch umsetzen, werden wir unseren gesteckten Haushaltszielen sehr nahe kommen. 2012 wird es dann bergauf gehen."

    Das zweite Beispiel für die verfehlten Ziele Griechenlands: Von der versprochenen Verschlankung des Staats ist bisher nicht viel zu sehen. Die groß angekündigte Privatisierung von staatlichen Firmenbeteiligungen, Grundstücken und Immobilien verläuft gelinde gesagt schleppend, auch wenn viele Griechen das anders sehen.

    Es sei ein großes Drama, sagt dieser Athener. Der Premierminister habe Griechenland komplett verkauft. Tatsächlich hat die Regierung Papandreou den internationalen Geldgebern versprochen, dass sie in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro durch Privatisierungen einnehmen wird. Zahlreiche Griechen sind damit aber überhaupt nicht einverstanden. Vor allem in den betroffenen bisher staatlichen oder halbstaatlichen Unternehmen regt sich Protest. Auch das dürfte ein Grund sein, warum bisher gerade einmal 400 Millionen Euro, also nicht einmal ein Prozent der angepeilten Summe, zusammengekommen ist. Es ist auch nicht absehbar, dass das Verkaufstempo plötzlich anzieht. Denn wer nach dem Motto "alles muss raus" seinen Besitz verscherbelt, kann nicht wirklich damit rechnen, Spitzenpreise zu erzielen.

    Das dritte Beispiel: Der griechische Staat schafft es immer noch nicht, effizient Steuern einzuziehen. Der Chef der Behörde für Steuerfahndung Nikos Lekkas:

    "Nach offiziellen Schätzungen beläuft sich die Steuerhinterziehung auf etwa 25 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es müssen also etwa 35 bis 40 Milliarden Euro jedes Jahr sein."

    Vor einer Woche hat das griechische Finanzministerium eine Liste mit besonders großen Steuer- und Schuldensündern veröffentlicht. Sie liest sich wie eine Schildbürger-Geschichte. Denn die meisten Betriebe, die dem griechischen Staat Geld schulden, sind entweder staatliche Firmen oder bereits pleitegegangene Unternehmen.

    Damit Griechenland künftig auch mit anderen Dingen als mit Tourismus Geld verdienen kann, hat die Europäische Union vorgestern die sogenannte "EU-Taskforce" nach Athen geschickt. Ein Team von etwa 30 Fachleuten soll den griechischen Behörden dabei helfen, wachstumsfördernde Projekte aufzulegen. Konkret geht es auch darum, Griechenland zu zeigen, wie es schneller an Geld aus milliardenschweren EU-Fördertöpfen kommt. Geld, das Griechenland ohnehin zusteht, mit den Hilfskrediten hat es nichts zu tun.

    An der Spitze der EU-Taskforce steht der Deutsche Horst Reichenbach. In Athen angekommen machte er deutlich, dass es seinem Team nicht um das Diktieren von Maßnahmen gehe, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe.

    "Die griechische Regierung sitzt hinterm Lenkrad. Sie muss uns sagen, was sie will. Wir werden das respektieren, was sie als wichtigste Maßnahmen und Bedürfnisse ansehen. Und wir werden versuchen, ihnen möglichst reibungslos bei der Umsetzung zu helfen."

    Trotz aller Hilfe zur Selbsthilfe: Noch im September braucht Athen die nächste Tranche in Höhe von acht Milliarden Euro aus dem mit der Europäischen Union (EU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarten Hilfspaket. Und zum ersten Mal hat ein Minister im Kabinett Merkel, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, offiziell die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands angedeutet. Doch welche Folgen hätte es, wenn das Land zahlungsunfähig wird?

    Szenario 1: Der "ungeordnete" Staatsbankrott

    Dieser träte dann ein, wenn die griechische Regierung – beispielsweise Anfang Oktober – den eigenen Bürgern und der europäischen Öffentlichkeit mitteilen würde, ab sofort keine Gehälter und keine Pensionen mehr bezahlen und keine Schulden mehr tilgen zu können.

    "Das heißt zunächst für Griechenland, dass es zwar keine Schulden mehr bedient, und insofern ein wenig Geld spart, aber auf der anderen Seite auch kein Geld mehr vom Finanzmarkt bekommen wird, und wenn wir das Szenario so denken, dass auch die nächste Tranche nicht ausbezahlt wird, kein Geld mehr von öffentlichen Kreditgebern erhalten wird. Das heißt, das Bankensystem würde ohne äußere Hilfe zusammenbrechen und damit die Wirtschaft. Wir hätten in Griechenland eine Wirtschaftskrise, die noch viel schlimmer wäre."

    ... meint Jürgen Matthes. Doch das Horrorszenario einer ungeplanten Insolvenz ist auch gleichzeitig das unwahrscheinlichste. Viel näher liegt da:

    Szenario 2: Die "geordnete Staatsinsolvenz"

    Sie ist das, was Philipp Rösler in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Die Welt" gefordert hat, als er schrieb: "Wir brauchen die Möglichkeit einer geordneten Staateninsolvenz - wenn die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen." Gemeint ist: Griechenland soll nicht unkontrolliert in die Zahlungsunfähigkeit stürzen, sondern im Rahmen eines sorgsam vorbereiteten und von Rettungsmaßnahmen flankierten Prozesses entschuldet werden. Beispielsweise um 50 Prozent. Das hätte weitreichende Auswirkungen, etwa auf das griechische Rentensystem, das sich in erster Linie über griechische Staatsanleihen finanziert,

    "Ich denke, dass die griechische Staatsregierung auch im Fall einer solchen Zahlungsunfähigkeit versuchen müsste, weiter zu konsolidieren und weiter an den Strukturreformen zu arbeiten. Das heißt, Griechenland würde damit nicht den einfachen Weg aus der Situation gehen, aber die Situation würde auch nicht viel schlimmer, als sie es jetzt schon ist ..."

    ... meint Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Durch eine geordnete Entschuldung würde man zudem versuchen, die Risiken in Griechenland selbst zu mindern. Das gilt zu allererst für griechische Banken.

    "Die griechischen Banken wären am stärksten betroffen. Sie halten einen Großteil der griechischen Staatsanleihen. Das dürfte dazu führen, dass einige griechische Banken, vermutlich nicht alle, aber einige, auch bankrottgehen, dass die auch aufgefangen werden müssten."

    Auch bei einer geordneten Insolvenz könnte Griechenland weiter auf die Hilfe der Euroländer bauen. Jürgen Matthes vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft:

    "Genauso würde man Griechenland auch von öffentlicher Finanzierung nicht abschneiden, sondern eine Art Kredit geben, eine Überbrückungshilfe, während der Phase, in der Griechenland vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist, weil es sich in der Umschuldung befindet. Das ist ja nicht von heute auf morgen, dass eine Umschuldung stattfindet und Werte abgeschrieben werden, sondern da wird über Wochen und Monate mit den privaten Gläubigern verhandelt. Das wären Elemente eines geordneten Staatsbankrotts, wie man ihn sich vorstellen kann."

    Szenario 3: Griechenland tritt aus der Eurozone aus und führt die Drachme wieder ein

    Keine gute Lösung, meint Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Es würde – im Gegenteil – alles wohl noch schlimmer werden. Vor allem für die Griechen selbst.

    "Es ist eine Frage, ob man den Euro-Austritt in Verbindung mit einem Staatsbankrott diskutiert, oder ob man ihn ohne Staatsbankrott diskutiert. Wenn man ihn ohne Staatsbankrott diskutiert, dann würde ein Austritt am Ende auch zu einem Staatsbankrott führen. Darüber hinaus würde ein Austritt bedeuten, dass wenn man dies ankündigt, und man müsste dies ja irgendwie ankündigen, die Griechen – absolut verständlich – zur Bank gehen würden, um ihre Euros abzuheben, solange sie sie noch kriegen, um zu verhindern, dass ihre Ersparnisse an Wert verlieren. Und was passiert, wenn Menschen in Scharen zu Banken rennen, um ihr Geld abzuheben, dann weiß man, dass Banken zusammenbrechen. Ein Austritt würde zu einer großen Bankenkrise führen, die dann auch die Unternehmen, die Privatwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würden, weil die natürlich von Krediten komplett abgeschnitten wären."

    Und Ferdinand Fichtner vom DIW in Berlin ergänzt:

    "Man argumentiert, dass das Land dann etwas wettbewerbsfähiger wird und seine Exportgüter etwas besser auf dem Weltmarkt platzieren kann. Das halte ich im griechischen Fall für nicht besonders relevant, weil die Griechen ja eben gerade das Problem haben, dass sie relativ wenig Güter zum Exportieren haben."

    Welche Konsequenzen hätte eine Staatsinsolvenz für die Eurozone?

    Vor allem würden die Banken zittern müssen. Weil sie nicht genau wissen, wie stark ihre Konkurrenten in Griechenland engagiert sind, wächst jetzt schon das Misstrauen unter den Geldhäusern. Der sogenannte Interbankenhandel liegt brach - und das könnte wie schon vor drei Jahren die Krise massiv beschleunigen. Bereits jetzt spielen die Börsen, vor allem in Frankreich, bei Bankaktien verrückt, denn französische Banken sind stark in Griechenland, aber auch in anderen Krisenländern der Euro-Zone wie Italien und Spanien engagiert. So haben Crédit Agricole und Société Générale eigene Töchter in Griechenland und wurden von Moody's, der amerikanischen Ratingagentur, gerade erst heruntergestuft. Dabei sieht ein Fachmann wie Jürgen Matthes dafür eigentlich keinen Grund.

    "Griechenland ist klein, hat zwar viele Schulden, aber es ist am Ende klein, und die Abschreibungen, die da am Ende nötig wären für das europäische Bankensystem tragbar. Vielleicht muss die eine oder andere Bank noch einmal eine begrenzte staatliche Unterstützung annehmen, um Verluste aufzufangen, aber das wäre mit Blick auf das Bankensystem – wenn es sich nur auf Griechenland beschränkt – kontrollierbar."

    Was bedeutet das für die EZB?

    Auch für die Europäische Zentralbank, die EZB, gibt Jürgen Matthes – zumindest vorsichtige – Entwarnung. Zwar habe sie in großem Umfang Staatsanleihen von Euro-Schuldenstaaten aufgekauft – ein Grund, weswegen der Chefvolkswirt, der Deutsche Jürgen Stark, vor wenigen Tagen zurückgetreten ist, - aber noch seien die eingegangenen Risiken verkraftbar.

    "Man weiß nicht genau, wie viele Staatsanleihen die EZB aus Griechenland gekauft hat. Die Rede ist von 40 Milliarden, und wenn man bei einer Umschuldung sagt, da gehen 50 Prozent verloren, dann würde das einen Verlust für die EZB bedeuten. Die Frage ist, zu welchen Kursen haben sie gekauft, haben sie schon zu verminderten Kursen gekauft. Da herrscht viel an Unsicherheit. Nichtsdestotrotz: Gewisse Verluste wird es bei der EZB geben. Ob am Ende die EZB rekapitalisiert werden muss, was letztendlich der europäische Steuerzahler und auch der deutsche leisten müsste, das steht noch in den Sternen."

    Droht eine Ansteckungsgefahr für andere Schuldenstaaten in der Eurozone?

    Viele Beobachter denken in diesen Tagen an den September 2008 zurück. Auf den Tag vor drei Jahren kollabierte im Zuge der Finanzkrise die Investmentbank Lehman Brothers - eines jener Geldhäuser, die in die Kategorie "too big to fail" fielen, also als zu groß galten, um sie tatsächlich untergehen zu lassen. Damals wollte die Regierung Bush ein Exempel statuieren und zeigen, dass sie nicht jede in Not geratene Bank unterstützt - sie ließ Lehman pleitegehen. Was danach geschah, ist bekannt – und könnte sich in der europäischen Staatsschuldenkrise mit Griechenland ähnlich wiederholen. Athen als der erste Dominostein, der fällt – und dem weitere folgen? Noch einmal Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

    "Wenn der Finanzmarkt Angst bekommt in dieser Hinsicht, dann wird er womöglich weniger portugiesische, spanische, französische, italienische Staatsanleihen kaufen. Dann könnte die Lage insoweit eskalieren, als dass das die Zinsen so stark steigern könnte, dass auch Länder, die eigentlich nicht unbedingt aus ihrer eigenen Wirtschaftslage heraus gefährdet sind, am Ende doch in die Zahlungsunfähigkeit getrieben werden durch den Finanzmarkt, und große Staaten wie Frankreich und Italien sind nicht so aufzufangen, wie das mit Griechenland der Fall ist."

    Und dann wäre die Euro-Krise ganz schnell an der deutsch-französischen Grenze angekommen.

    Europas Politiker setzen darauf, dass der neue, nach den Beschlüssen des Euro-Gipfels vom 21. Juli massiv erweiterte europäische Rettungsschirm ausreicht, um die Folgen der Krise abzufedern. Der Fonds soll künftig Anleihen an den Märkten kaufen, Notkreditlinien bereitstellen und Regierungen bei der Bankenrettung helfen. Sein Volumen soll von 440 Milliarden auf 780 Milliarden Euro ausgedehnt werden, von denen Deutschland bis zu 211 Milliarden Euro an Garantien bereitstellen soll. Bis Ende des Monats – also so lange, wie Griechenland noch zahlungsfähig ist - sollen die Euro-Staaten der Erweiterung des EFSF zustimmen. Dagegen gibt es in Deutschland wachsende Widerstände - vor allem in der Union und der FDP, die dazu sogar einen Mitgliederentscheid plant. Von der Abstimmung im Bundestag am 29. September hängt deshalb viel ab – für Griechenland, für den Euro und für die Regierungsfähigkeit der Koalition von Angela Merkel. Fest steht eigentlich nur eines: Ohne einen eisernen Sparwillen der Griechen selbst wird das Land nicht zu retten sein.

    "Unser Kampf für die Rettung des Landes bedeutet, dass wir Opfer bringen müssen. Einfach ist das nicht. Deswegen kämpfen wir gemeinsam einen Titanenkampf."

    Griechenlands Ministerpräsident Papandreou vergangenes Wochenende in Thessaloniki. Während er drinnen, im Messezentrum, erneut versprach, alles für die Rettung seines Landes zu tun, warteten draußen bereits die Demonstranten auf ihn.

    "Griechenlands Regierung steckt in einem Dilemma. Die umstrittenen Reformen hat sie zwar mühsam durchgesetzt, die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung hat sich aber nicht verbessert, sondern verschlechtert. Der Großteil der Bevölkerung hat jedes Vertrauen in Staat, Regierung und Parteien verloren."

    "Ich glaube nicht, dass sich unsere Situation bessern wird. Ich glaube, dass diese ganzen Maßnahmen viel zu klein und zu wenig sind für so ein riesiges Problem. Das Problem ist so groß, dass es gar keine Lösung gibt!"

    So wie bei dieser Athenerin überwiegt bei vielen Griechen inzwischen die Resignation. Und so paradox es klingen mag: Oft plagen die Leute inzwischen so große persönliche Probleme, dass sie sich gar nicht mehr für all das interessieren, was sich in der Schuldenkrise tut. Überall in Athen trifft man auf Bettler. Die Kriminalitätsrate ist vor allem bei Einbruchs- und Raubdelikten enorm gestiegen. Außerdem nimmt die Obdachlosigkeit zu. Die Athener Hilfsorganisation Klimaka spricht inzwischen vom Phänomen der sogenannten "Neu-Obdachlosen". Sie schätzt, dass allein in der Hauptstadt 25 Prozent mehr Menschen auf der Straße leben müssen als noch vor einem Jahr. Insgesamt mindestens 20.000. Einer von ihnen ist der 39-jährige Panagiotis. Der ehemalige Chefkoch hat zu Beginn der Krise vor anderthalb Jahren seinen Job und kurz darauf seine Wohnung verloren. Heute lebt er in einem Vierbettzimmer in einem Wohnheim der Hilfsorganisation.

    "Ich bin aus allen Wolken gefallen, als das passiert ist. Ich dachte, das kann mir doch nicht passieren! Das war wie in einem schlechten Film. Es ist mir auch sehr schwer gefallen, mich damit abzufinden. Wenn es Klimaka nicht gegeben hätte, hätte ich mir vielleicht etwas angetan. Ich habe da oft drüber nachgedacht."

    Was passieren wird, wenn die internationalen Kreditgeber die Geduld verlieren und den Geldhahn in den nächsten Wochen tatsächlich zudrehen, das will sich in Griechenland niemand ausmalen. Schlangen vor den Geldautomaten bilden sich zwar noch nicht, doch viele Griechen haben bereits ihre Sparkonten geplündert und Bargeldreserven angelegt. Und nicht wenige rechnen längst mit dem Schlimmsten.

    "Das Volk wird verhungern! Das wird das Ergebnis sein. Egal, was entschieden wird. Und das gilt für alle Völker in Europa. Auch für Deutschland und Frankreich. In ein paar Jahren werden alle Völker hungern."
    Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos spricht bei einer Pressekonferenz zum Stand der griechischen Wirtschaft in Athen
    Die Zusammenarbeit mit der Troika laufe problemlos, versicherte Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos vor zwei Wochen. (AP / Kostas Tsironis)
    Griechenlands Ministerpräsident George Papandreou spricht auf einer Konferenz der regierenden Sozialisten in Athen
    Griechenlands Ministerpräsident George Papandreou: "Unser Kampf für die Rettung des Landes bedeutet, dass wir Opfer bringen müssen". (AP / Kostas Tsironis)