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Die Große Koalition nach der EU-Wahl
Neuer Streit um Klimaschutzgesetz

Nach den herben Verlusten bei der EU-Wahl ist zwischen Union und SPD wieder Streit über den Klimaschutz entbrannt. Während die SPD eine CO2-Obergrenze durchsetzen will, heißt es von der CDU, Klimaschutz sei zu einer "Ersatzreligion" geworden. Auch große Wirtschaftsverbände bringen sich in Stellung.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 27.05.2019
Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, stellt eine Umweltbundesamt-Studie zu Plänen für weniger Einwegkaffeebecher vor. Bei dieser Gelegenheit erläuterte Schulze die neue EU-Richtlinie für Einwegplastik
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will feste CO2-Obergrenzen festlegen (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
Ein Blick zurück: Es ist Mitte Februar, als Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein im Gespräch mit dem "Handelsblatt" ordentlich Öl ins Feuer gießt. Anlass: Der koalitionsinterne Streit um die deutschen Klimaziele. Die Zeitung schreibt anschließend vom "leisen Tod des Klimaschutzgesetzes" – und im Bundesumweltministerium schrillen die Alarmglocken.
"Auch der Verkehr muss seinen CO2-Fußabdruck reduzieren. Auch in der Landwirtschaft, in der Industrie wird noch eine ganze Menge passieren müssen. Wir brauchen dieses Gesamtkonzept. Da geht’s nicht um einzelne kleine Maßnahmen. Damit werden wir leider nicht weiterkommen", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Kurzerhand schickt Svenja Schulze ihren Gesetzentwurf nur wenige Tage später direkt ins Kanzleramt. Die Bundesumweltministerin möchte damit feste CO2-Obergrenzen festlegen für den Verkehr, die Landwirtschaft und den Gebäudesektor.
Doch es geht nicht voran. Deshalb macht die Sozialdemokratin jetzt erneut Nägel mit Köpfen. Ihren Gesetz-Entwurf hat Schulze nun zur Abstimmung an die anderen Ressorts weitergeleitet. Wie es heißt, gegen den Willen des Kanzleramts.
Klimaschutz sei zu einer "Ersatzreligion" geworden
Hintergrund dürfte die herbe Niederlage der SPD am gestrigen Wahlsonntag sein. Generalsekretär Lars Klingbeil am Morgen in der ARD:
"Wir müssen Konsequenzen ziehen aus diesem Wahlergebnis. Wie sind wir beim Klimaschutz aufgestellt, wie kommen wir da zu Entscheidungen…"
Indem gehandelt wird, meint Parteifreundin Schulze, sie könne nicht länger auf die Befindlichkeiten der Unionsparteien CDU und CSU Rücksicht nehmen. CDU-Wirtschaftsexperte giftet zurück, der Klimaschutz sei zu einer "Ersatzreligion" geworden. Dieser Umgang dürfte das Klima in der Bundesregierung nicht gerade verbessern, zumal, kurz vor der zweiten Sitzung Klimakabinetts am kommenden Mittwoch.
Doch die Widerstände sind auch andernorts groß – mehrere Wirtschaftsverbände sträuben sich gegen ein nationales Klimaschutzgesetz:
"Das lehnen wir insofern ab, als dass Deutschland selber nur einen ganz geringen Bruchteil der CO2-Emissionen zu verzeichnen hat. Und wir müssen zu internationalen Abkommen kommen," sagt Reinhold von Eben-Worlée im Gespräch mit unserem Programm.
Der Präsident der Familienunternehmer befürchtet Wettbewerbsnachteile. Auch der Bundesverband der deutschen Industrie warnt vor einer Klimaschutzpolitik zulasten der Unternehmen:
"Wir geraten immer mehr zwischen die großen Pole USA und China. Das heißt, wir brauchen eine selbstbewusste, starke Europäische Union. Dazu müssen wir alle Länder der Europäischen Union aufrufen," fordert BDI-Chef Dieter Kempf im ARD-Fernsehen.
Klimaschutz eine große Chance für Investitionen
Unisono plädieren viele der großen Wirtschaftsverbände in Deutschland für eine Ausweitung des europäischen CO2-Zertifikatehandels. Das sei allemal besser als eine rein deutsche CO2-Abgabe:
"Es ist ja geradezu wiedersinnig, das auf nationaler Eben zu betreiben. Das muss einfach größere Märkte erreichen. Das muss den ganzen Binnenmarkt im Grunde erreichen. Und damit ist das ein klar europäisches Projekt," meint Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer der Maschinen und Anlagenbauer.
Der Bundesverband Deutscher Banken will unterdessen Taten statt Worte sehen, jetzt, nach der Europawahl. BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig sieht im Klimaschutz eine große Chance für Investitionen:
"Da gibt es Schätzungen, die reden von Größenordnungen von 180 Milliarden Euro oder mehr Investitionsbedarf pro Jahr. Für nachhaltige Projekte, und diese enormen Summen müssen natürlich finanziert werden. Da kann und soll die Finanzindustrie in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen."
Überraschend schließlich die Einschätzung der Automobilindustrie. Ihr Interessenverband liegt seit Jahren überkreuz mit der deutschen und europäischen Klimaschutzpolitik. VDA-Präsident Bernhard Mattes findet jedoch:
"Wir sind schon grün. Und jetzt brauchen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen. Ladeinfrastruktur ist wichtig, digitale Infrastruktur ist wichtig: Das muss von der Politik kommen", sagt in der ARD der oberste Lobbyist der Automobil-Industrie.