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"Die Grünen. Eine Erfolgsgeschichte"

Die Ökos sind ohne Zweifel das alles überwölbende gesellschaftliche Großphänomen unserer Epoche. Das Stück "Die Grünen. Eine Erfolgsgeschichte" von Jarg Pataki und Viola Hasselberg kann das nicht abbilden.

Von Cornelie Ueding | 11.06.2011
    Die Erfolgsgeschichte der Grünen auf der Bühne, vom "Urknall" bis zum Aufschlag "In der Mitte der Gesellschaft", getextet und inszeniert von Jarg Pataki und Viola Hasselberg auf der Basis von Originaltexten: Diese Mixtur aus Slogans, Interviews, Zeitungsberichten, Aufrufen, Redetexten, Durchsagen, Protokollen, offenen Briefen und Wahlkampfforderungen bleibt auch dann eine eher fragwürdige Spielvorlage fürs Theater, wenn sie auf neun Schauspieler in Form von Einzelrufen, Zurufen, Wiederholungen, chorischem Sprechen und monologischen Zusammenfassungen verteilt wird. Leider hat der Dreistundenabend über den Aufstieg der Grünen von der außerparlamentarischen Opposition bis zum Stuttgarter Triumph den Charme einer freiwilligen Auftragsarbeit und wird in der Grünen-Stadt Freiburg, haarscharf an der Grenze zur gesinnungsmäßigen Anbiederung, ausführlich zelebriert. Dabei überschlagen sich die Akteure geradezu im Chaos der Visionen, aus dem dann doch der Weltgeist des Regierungshandelns herausgepurzelt ist. Es wird geschubst und gehopst, gekeilt und getreten, gekreischt und gebrüllt, dass es - nein, eben keine Wonne ist, vielmehr dröhnende Öde. Polit-Revue - schön wär's. Farce - weiß Gott nicht.

    Halb betulich, halb moralisierend, naiv bis überdeutlich, mäßig witzig, dafür gnadenlos repetitiv wird dem geneigten Zuschauer in Form einer Blumen-Strickkleid- und Sandalen-Parade, untermalt mit Flöten, Trommeln und Hexentanz, vorgeführt, wie das aussieht - grün. Was es bedeutet, wurde von Repräsentanten der Partei in eher schlicht gestrickten, erklärenden Monologen - aufgesagt. Soviel Klischee war selten, so wenig Erkenntnis, Psychologie und, der entscheidende Baufehler des Stückes: gesellschaftspolitischer Kontext auch. Die reine Innenschau. Selbstläufer-Aktivismus von Puppen (nicht von Menschen) und ins Leere gehende Parolen in einem sich theatralisch wie politisch dahinschleppenden Theater-Abend.

    Wäre da nicht der nachträglich und sehr verspätet angekündigte und leider nur von wenigen besuchte Prolog zum Grünen-Projekt, die zweite Uraufführung des Tages, ebenfalls inszeniert von Jarg Pataki. Dort wurde das Phänomen Petra Kelly einer knappen, differenzierten, analytischen und zugleich einfühlsamen Autopsie unterzogen: Kämpferin mit Kopf und Herz. Die knappe Montage zeigt in schnellen Bildern Vexierbilder eines Politikerinnenlebens gleichzeitig aus den Innen- und Außenschau. Videomitschnitte, Zitate aus Reportagen, Materialien aus Petra Kellys Leben ließ Pataki zum Teil überblenden mit Videoaufnahmen der gleichzeitig im Spielraum agierenden, wunderbar präzisen Petra-Kelly-Darstellerin Uta Krause.

    Bald verschmolz sie mit der "authentischen" Filmvorlage, dann wieder wurde sie zu einem Double, das der "echten" Petra Kelly - aber welche ist die echte? - über die Schulter schaute und ihr beim Sich-selbst-Spielen zusah; manchmal kehrte sie für Momente ganz zu sich selbst zurück, fragte, ratlos im Zuschauerraum sitzend, in die Runde, was man denn von ihr wolle, welche Petra Kelly man sich wünsche: Versatzstück eines Mythos oder Homestory, Mutter Teresa oder Don Quichote, Visionärin, Heilige, Hysterikerin... Die minimalistische Studie balancierte virtuos auf dem Hochseil der Vieldeutigkeit und vermochte es bei aller Distanziertheit anzurühren und bei aller punktuellen Nähe - Abstand zu halten.

    Mehrfach reißt der Lebensfilm und die Protagonistin selbst bezweifelt noch im richtigen Film zu sein. Oder sie fürchtet - und das ist in ihrem Fall tragischerweise keine Einbildung - der Film liefe längst ohne sie weiter, die Geschichte der Grünen würde geschrieben, weitergeschrieben, ohne dass sie noch mit von der Partie wäre. Und alles Aufbegehren käme zu spät. Denn schon legen sich die Stimmen ihrer Nachlassverwalter über die lebende Tote. Jahrzehnte später - und das war in diesem Falle der sehr konkrete Bezugspunkt von Patakis Inszenierung - anlässlich der parteiinternen Feier Ihres 60. Geburtstags, wurde in schöner Deutlichkeit von den PR-Strategen Geschichtsklitterung gewünscht: wie denn ließe sich Kelly als Evita-Verschnitt? Die Revolution frisst ihre Kinder? Nein: die Bewegung schluckt das Unverdauliche. Und diese genaue, kurze szenische Studie Aufführung - bewahrt das Engagement, den Zweifel, und auch den Selbstzweifel.