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Die Grünen
Überall im Aufschwung - bloß nicht im Osten

Die Grünen erleben gerade einen Höhenflug. Nur im Osten Deutschlands sind die Umfragewerte niedrig. Gerade dort, in Leipzig, findet am Wochenende der Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen statt. Kommendes Jahr sind in drei östlichen Bundesländern auch Wahlen.

Von Sven Kästner | 08.11.2018
    Treffen der Grünen-Kreisverband Eichsfeld in Heiligenstadt im rustikalen Hinterzimmer des Hotels "Zur Traube".
    Der Eichsfelder Grünen tagen in rustikaler Umgebung. (Sven Kästner )
    Rustikal ist das Hinterzimmer des Hotels "Zur Traube" in Heiligenstadt: Die Wände getäfelt mit breiten, sandfarbenen Brettern, darüber hängen unzählige Geweihe. Mangels anderer Räume trifft sich der Grünen-Kreisverband Eichsfeld hier zu seiner monatlichen Sitzung.
    "Dann können wir ja erstmal einsteigen in die Tagesordnung. Wir hatten Denis eingeladen, um uns zu dem Thema ‚Herausforderungen für die grüne Politik in Thüringen‘ zu berichten."
    Das Eichsfeld liegt größtenteils im Nordwesten Thüringens, auch einige Orte in Südniedersachsen gehören dazu. In der konservativ-katholisch geprägten Region leben 100.000 Menschen. Dass nur 28 davon im Kreisverband der Grünen Mitglied sind, sieht dessen Sprecher Norbert Sondermann pragmatisch.
    "Das hört sich natürlich im Vergleich zu Göttingen, die über 400 haben, jetzt nicht so groß an. Aber für das ländliche Thüringen und auch den gefühlten oder tatsächlichen Ost-West-Unterschied ist das schon okay irgendwo."
    Sondermann stammt aus der Region und hat die Grünen hier gleich nach dem Zusammenbruch der DDR mit gegründet. Anfang der neunziger Jahre studierte er ökologischen Landbau, arbeitete später im Naturschutz. Als grünes Urgestein ist er in der Gegend bekannt, aber trotzdem blieb die Partei hier viele Jahre bei Wahlen erfolglos. 2009 dann gelang der Einzug in den Kreistag. Mittlerweile bilden die zwei Grünen-Abgeordneten dort eine Fraktion gemeinsam mit vier SPD-Kollegen.
    "Die erdrückende Mehrheit wird von der CDU ausgeübt. Ist eben so, müssen wir jetzt erst Mal so zur Kenntnis nehmen. Und Bürgermeister: So weit sind wir leider noch nicht."
    In Bayern und Hessen freuten sich die Grünen-Wahlkämpfer zuletzt über Rückenwind aus Berlin. Im konservativen Eichsfeld dagegen würde Claudius Hille, Co-Sprecher des Kreisverbandes, lieber mit kommunalen Themen punkten.
    Schwerpunkt auf regionalen Problemen
    "Unsere Betätigungsfelder sind natürlich Naturschutz und Ökologie als allererstes, verbunden mit dem ökologischen Landbau. Weil das auch aus der Gegend heraus für uns das Hauptthema ist. Manche großen Themen verschleiern dann die kommunalen Themen, und deswegen ist es wichtig und richtig, dass man die dann auch in den Fokus der Öffentlichkeit wieder rückt."
    Seit vier Jahren sind die Grünen an der Thüringer Landesregierung beteiligt - mit 5,2 Prozent Stimmenanteil als kleinster Koalitionspartner neben Linkspartei und SPD. Derzeit liegt die Partei wie in ganz Ostdeutschland auch in Thüringen bei Umfragen um die sechs Prozent. Kein Vergleich zu den jüngsten Wahlergebnissen in Hessen und Bayern.
    "Die Politisierung, die in den 60er- und 70er-Jahren in Westdeutschland stattgefunden hat, die gab es ja in dem Sinne hier so nicht."
    Glaubt der Thüringer Grünen-Landessprecher Denis Peisker. Seiner Meinung ein Grund für die Schwäche seiner Partei im Osten. Und er verweist darauf, dass die Grünen 15 Jahre lang nicht im Landtag vertreten waren.
    "Wir haben uns über Jahrzehnte praktisch nur über Ehrenamtsstrukturen über Wasser gehalten. Und man merkt natürlich schon seit 2009, seitdem wir wieder im Landtag sind, dass langsam auch die Strukturen aufgebaut werden. Das ist in meinen Augen auch eines der Erfolgsrezepte sowohl in Bayern als auch in Baden-Württemberg: die sehr starke kommunalpolitische Verankerung, die es dort einfach gibt."
    Unterschiedliches Klientel in Ost und West
    Während die Partei in Westdeutschland 60.000 Mitglieder hat, wird für die nur 5.000 Grünen zwischen Rostock und Zwickau jeder Wahlkampf zur Kraftprobe. Für Parteienforscher Oskar Niedermayer sind die fehlenden Strukturen allerdings nur ein Grund für die Schwäche der Grünen im Osten. In Thüringen, Brandenburg oder Sachsen fehle der Partei die soziale Basis.
    "Es ist natürlich so, dass das Universitätsmilieu im gesamten Osten der Republik weniger ausgeprägt ist. Weil es eben weniger gibt und weil die Universitäten kleiner sind. Und auch das Großstadtmilieu nicht so vorhanden ist. Und bei dem linksliberal orientierten, nicht schlecht verdienenden bürgerlichen Milieu - das ist eben nicht so stark ausgeprägt aufgrund der ökonomischen Entwicklung, die wir seit der Vereinigung hatten."
    Konservatives Fachwerk-Idyll: Das Zentrum von Heiligenstadt.
    Konservatives Fachwerk-Idyll: Das Zentrum von Heiligenstadt. (Sven Kästner)
    In der Flüchtlingspolitik bilden Grüne und AfD die Gegenpole. Beide profitieren nach Niedermayers Einschätzung von der Spaltung der Gesellschaft in dieser Frage. Und das regional sehr unterschiedlich.
    "Im Osten der Republik ist es eben so, dass die flüchtlingskritischeren Haltungen in der Bevölkerung deutlich stärker ausgeprägt sind. Deswegen nützt es viel stärker der AfD und wenig den Grünen."
    "Also klar, finanzielle Unterstützung, das Thema ist angekommen. Auch das Thema ‚Großplakate koordinieren‘. Haustürwahlkampf..."
    Optimistischer Blick in die Zukunft
    Auf der Versammlung der Eichsfelder Grünen beantwortet Landeschef Peisker mittlerweile Fragen zur Kampagne für die kommende Landtagswahl. Die schmale Parteibasis hier ist optimistisch, dass die Grünen auch nach dem Oktober 2019 im Erfurter Landtag sitzen werden. In diesem Jahr hat der Landesverband fast 100 neue Mitglieder begrüßt – 830 Menschen gehören jetzt der Partei an. Im Eichsfeld will auch Katharina Pätzoldt beitreten.
    "Weil ich extrem viel Wert auf so was wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit lege. Ganz viel auf feministische Sachen, also Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen oder voranzutreiben."
    Die 22-Jährige will sich bei der Sitzung des Kreisverbandes informieren. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, studiert Politikwissenschaften im nahen Göttingen und ist nach eigener Aussage fest im Eichsfeld verwurzelt. Neumitglieder wie sie geben Claudius Hille Hoffnung, der seit 28 Jahren für die Grünen hier das Fähnlein hochhält.
    "In den Jahren, da hat man dann auch viele, viele Niederlagen einstecken müssen. Ich kann damit leben. Ich weiß, dass wir nicht aus dem Stand jetzt irgendwie zehn Prozent kriegen. Aber ich denke mir, steter Tropfen höhlt den Stein. Es wird auch bei uns mal ein wesentlich besseres Ergebnis geben. Das wird schon kommen."