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Die Grünen und ihr Milieu(schutz)

Wenn Wohlhabendere dorthin ziehen, wo früher Klein- und Normalverdiener lebten, dann spricht man von Gentrifizierung oder Verdrängung. Die Viertel wandeln sich und Alteingesessene werden herausgedrängt, wie beispielsweise im Frankfurter Norden. Dort hatten die Grünen im Frühjahr versprochen, Gentrifizierung zu bekämpfen.

Von Anke Petermann | 18.08.2011
    Jörn Rebholz und Félix Dufour besprechen im Straßencafé die Immobilienentwicklung im Frankfurter Nordend. Rebholz fürchtet über kurz oder lang Opfer von Luxussanierung, horrender Mieterhöhung und Verdrängung aus dem begehrten Gründerzeit-Quartier zu werden. Dufour hat die Initiative Stadtviertelkultur gegründet, die mit überdimensionalen Todesanzeigen und Grablichtern auf bedrohte Häuser und damit auf den Prozess der Gentrifzierung aufmerksam macht.

    "... kann sein, dass es mich trifft ... "

    Rebholz und seine Mitmieter sind wohl mit dem Schrecken davon gekommen. Zunächst hatte eine Immobilienfirma das Haus aufteilen und in Eigentumswohnungen umwandeln wollen, doch dieser Kaufinteressent sprang wieder ab. Glück für die Mieter - keiner hätte eine dieser Wohnungen zum Quadratmeterpreis von 3000 Euro erwerben können. Alle im Haus, darunter das Akademikerpaar Rebholz und eine alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin, teilten die Befürchtung,

    "... dass praktisch niemand mehr, der jetzt noch im Nordend wohnt, noch mal auf die Wohnungssuche im Nordend machen kann, weil die Preise mittlerweile so gestiegen sind, dass das Nordend als Wohngebiet für uns nicht mehr in Frage kommt."

    Mit fast 43 Prozent der Stimmen bei der Kommunalwahl im vergangenen März sind die Grünen im Nordend Volkspartei. Die Hoffnungen vieler verängstigter Mieter konzentrieren sich seitdem auf den designierten Planungsdezernenten Olaf Cunitz. Der gibt zu, die Kommunalpolitik habe lange verschlafen,

    "... dass durch die Umwandlung in Eigentumswohnungen und die Luxussanierungen es zu einer Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung kommt, und wir wollen mit der Umwandlung der Erhaltungssatzung in eine echte Milieuschutzsatzung dem versuchen, ein Stück weit einen Riegel vorzuschieben."

    Erhaltungssatzungen regeln derzeit eine einheitliche Bebauung im gründerzeitlichen Nordend und anderen historisch gewachsenen Frankfurter Quartieren. Die künftigen Milieuschutz-Satzungen sollen darüber hinaus die soziale Mischung in begehrten Vierteln sichern. Bei Eigentümerwechsel soll dann ein Vorkaufsrecht für die Stadt greifen. Was nicht heißt, stellt Olaf Cunitz klar, dass die Stadt möglichst viele Immobilien aufkaufen will,

    "... sondern es geht vor allem darum, dass die Stadt einen Fuß in die Tür bekommt, wenn ein solches Immobiliengeschäft stattfindet. Und die Stadt hat dann die Möglichkeit mit dem potenziellen Käufer in Gespräche zu treten und mit ihm auszuhandeln, dass bestimmte Maßnahmen nicht stattfinden, wie zum Beispiel Luxussanierungen oder Umwandlung in Eigentumswohnungen. So dass die Stadt nicht massenhaft Grundstücke aufkaufen muss, aber trotzdem einen steuernden Effekt über das Vorkaufsrecht erzielt."

    Ob eine Milieuschutz-Satzung tatsächlich garantiert, dass das Nordend künftig auch Wohnraum für Normal- und Kleinverdiener bietet, da ist selbst der designierte Planungsdezernent von den Grünen skeptisch. In München etwa hätten die Satzungen - seiner Wahrnehmung nach - die Preise kaum drosseln können. Ihre potenziellen Wähler nehmen den Grünen diese Skepsis übel, legen sie als Hilflosigkeit aus.

    Felix Dufour besteigt sein Fahrrad und muss einem Geländewagen ausweichen. Der Rate hat enorm zugenommen - vor allem

    "... die Edel Geländewagenrate."

    Der Gründer der Bürgerinitiative radelt durchs Nordend und zeigt weitere Fixpunkte fortgeschrittener Gentrifizierung. Ein ehemaliges Sechs-Parteien Mietshaus etwa, das nun von einer Familie bewohnt wird. Eine Rentnerin musste nach 30 Jahren ausziehen, weil sie nach der Sanierung plus Balkon die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Félix Dufour hält vor einem eleganten, neuen Mehrfamilienhaus. Die Besitzer der 250-Quadratmeter-Penthouse-Wohnungen - Quadratmeter-Preis um 4.700 Euro - kennt der Abendschüler nicht, aber

    "Ich kenn' Leute, die hier im Hinterhaus wohnen, die wissen schon Bescheid, die haben noch ein Jahr, dann müssen sie ausziehen, weil ihr Haus dann auch saniert und dem angeglichen wird."

    "Träume kann man leben. Und darin wohnen" - mit diesem Spruch wird die sogenannte Residenz vermarktet - Luxus pur mit Fußbodenheizung und Elektro-Rolläden, Bädern im Edeldesign und Sprechanlage mit Video-Monitoring. Ein Traum für Architekten, Makler, gut Betuchte. Ein Albtraum für Anwohner in der Straße, die den Sog fürchten, den ein solches Objekt in der Immobilienbranche entwickeln kann. Félix Dufour findet es frustrierend, dass sich in Frankfurt am Main auch die städtischen Wohnungsgesellschaften an der Luxussanierung beteiligen. Beispiel Wiesenhüttenstift, vormals Altenheim.

    "Dass immer mehr so Kabuffs, Wohnanlagen entstehen, wo die Eigentumswohnungen verkauft werden, die dann eine schöne Front haben, aber überhaupt nicht mehr mit dem Rest des Viertels korrespondieren, da parken die dicken Autos davor, die Kinder spielen drinnen und nicht mehr draußen, das ist wie eine Burg."

    Die Wohnungsgesellschaften würden dazu beitragen, den Immobilienmarkt zu entspannen, kontert der grüne Planungsdezernent Olaf Cunitz in spe.

    "Das Entscheidende ist: da ist kein günstiger Wohnraum in teueren umgewandelt worden, sondern es ist zusätzlicher Wohnraum geschaffen worden, und prinzipiell muss man sagen, brauchen wir in Frankfurt auch hochpreisigen Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Es gibt viele ältere Menschen, die wieder in Stadt zurück ziehen wollen, die sehr finanzstark sind, die gute Renten haben. Für die brauchen wir auch Angebote."

    Die grüne Wählerklientel kann diesen Argumenten zu großen Teilen nicht folgen, manche liebäugeln schon mit der Linken. Die Partei also, die die Eigentumsrechte stärker beschneiden will. Schreitet jedenfalls die Gentrifzierung im Nordend und anderswo weiter voran, könnte aus dem kommunalpolitischen Höhenflug der Grünen in Frankfurt am Main eine Bauchlandung werden.